Begegnungen 2013

Journalismus funktioniert, wenn er am kleinen Ort die grosse Geschichte erzählt, oder aktuelle Themen mit Menschen plausibel darstellt. Das habe ich 2013 als Autor der Blick-Gruppe versucht. Grossem Dank verpflichtet bin ich all jenen Menschen, die mir ihre Zeit schenkten – und den Fotografinnen und Fotografen, mit denen ich unterwegs war.

Januar

nottwilParadies Nottwil
Gleich neben dem famosen Paraplepiker-Zentrum in Nottwil betreibt der Bund seit dieser Woche in einem unterirdischen Militärspital eine Asyl-Unterkunft. Die Gemeinde heisst die Afrikaner Willkommen.
Schnee bedeckt die Strasse, als die Schwarzen vorfahren. Der Reisecar hält am Metallzaun, der Fahrer steigt aus, öffnet die Gepäckfächer. «Verlasst den Bus! Holt euer Zeugs! Folgt mir!», geheisst er seine Fracht – 37 Afrikaner, die in der Schweiz um Asyl bitten, alles junge Männer in bauchigen Jeans, Pullovern und zu dünnen Jacken.

Einer grinst. «Hello everybody», sagt Kwaku (35), schnappt sich den Plastiksack mit seiner Habe. Er ist Ghanaer. Ein Senegalese steigt aus, ein Gambier, einer aus Guinea-Bissau – dazu 33 Nigerianer. «Ich liebe Schnee», witzelt Kwaku, trottet fröstelnd vorbei am Zaun und am dickhalsigen Wächter der Securitas, verschwindet im dunklen Loch, das in den Untergrund führt.

Seit Donnerstag leben 37 Afrikaner im unterirdischen Militärspital der Gemeinde Nottwil LU, neben dem famosen Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ). Nächste Woche kommen weitere Asylbewerber hier an, ebenso die Woche darauf – und in der Gemeinde Nottwil hat kaum jemand etwas dagegen. mehr

kandel“Wir kennen erst 5 Prozent des Gehirns”
Der renommierte US-Gehirnforscher Eric Kandel erklärt den WEF-Besuchern, warum sie sich nicht an alles erinnern.
Nicht nur Bosse und Banker reisen nach Davos. Am WEF treffen Wissenschaftler, Autorinnen und Künstler auf Politiker. Die besten Gespräche ergeben sich oft spontan. Ein älterer Herr mit bunter Fliege sitzt im Kongresszentrum, liest in einem Café eine Zeitung. «Nehmen Sie Platz», sagt Eric Kandel (83), einer der renommiertesten Neuroforscher der Welt. 2000 erhielt der Amerikaner den Nobelpreis für Medizin für seine Entdeckung bei der Signalübertragung im Nervensystem.

Herr Professor Kandel, Sie sind am Weltwirtschaftsforum …
Eric Kandel: … fragen Sie mich ja nicht, wie die Wirtschaftskrise zu lösen ist. Davon habe ich keine Ahnung. Mein Spezialgebiet sind Hirn und Erinnerung.

Trotzdem sind Sie hier. Warum?
Davos bringt sämtliche Sparten zusammen. Nur wenn alle miteinander reden, können wir die Komplexität der Welt verstehen. mehr

michael_dell_hossli“Wo sind die Jobs, die wir brauchen?”
Bereits zum 18. Mal ist der Computer-Milliardär Michael Dell in Davos. Eine kurze Begegnung auf der Strasse.
Freitagnachmittag vor dem Kongresszentrum in Davos. Wer ist das bekannte Gesicht auf der anderen Seite der Strasse? Oh ja, Michael Dell (47), Gründer und Chef von Dell Computer, dem weltweit drittgrössten Computerhersteller. Er war 19 Jahre alt, als er 1984 die Firma mit 1000 Dollar startete. Heute beläuft sich sein Vermögen auf 14,6 Milliarden Dollar. «Guten Tag, Mister Dell, haben Sie Zeit für ein kurzes Interview?» – «Natürlich, leider habe ich meinen Mantel drinnen gelassen, allzu lange halte ich es in dieser Kälte sicher nicht aus.»

Dann legen wir sofort los. Es gibt Gerüchte, dass sich Dell von der Börse zurückzieht und schon bald zu einer privaten Firma wird. Ist das wahr?
Michael Dell: Vielen Dank für diese freundliche Frage, aber dazu sage ich nichts. Gegenfrage: Benutzen Sie bei Ihnen auf der Redaktion denn Computer von Dell? mehr

vasella_hossliWaren Sie Ihr Geld wert, Herr Vasella?
Der abtretende Novartis-Präsident über seine Beziehung zu Geld, die Lust, nochmals als Arzt zu arbeiten – und warum er lieber debattiert als streitet.
Herr Vasella, was wird Novartis ohne Daniel Vasella sein?
Daniel Vasella: Die Novartis. Grosse Konzerne überleben ihre Leute, sonst sind sie falsch aufgestellt.

Schwierig wird es für Ihre Nachfolger. Wie können diese aus Ihrem Schatten treten?
Es kommt auch darauf an, wie ich mich verhalte. Schon vor drei Jahren habe ich begonnen, mich zurückzuziehen. Das war ein Prozess, bei dem der Verwaltungsrat und ich die Führungszukunft des Konzerns sicherstellten – und ich mich innerlich löste. Ich wollte nicht derjenige sein, der nie gehen kann.

Neu führen Novartis ein Amerikaner und ein Deutscher. Ist sie noch schweizerisch?
Das Management ist mehrheitlich ausländisch, ebenso die Aktio­näre und der Verwaltungsrat. Schweizerisch sind Firmensitz und Geschichte. Viele Mitarbeiter in der Schweiz sind Ausländer. mehr

Februar

nigel“Für die EU bin ich eine biblische Plage”
Grossbritannien stimmt über die EU ab – wegen Nigel Farage, sagt der radikale Vorsitzende der Unabhängigkeitspartei.
Herr Farage, Sie sind Brite, verheiratet mit einer Deutschen – eine perfekte europäische Union.
Nigel Farage: Ja, wir haben Geschlechtsverkehr für Europa!

Dabei kämpfen Sie seit 20 Jahren gegen die EU. Warum nur?
Was hat die EU für Europa getan? Nichts! Eine Gruppe ehrgeiziger, machtversessener Irrer will die Demokratie zerstören. Sie hält Europa als Geisel. Ich habe nie über die EU abgestimmt, die Deutschen nicht, die Franzosen nicht. Hat irgendjemand je darüber befunden, dass wir unsere Nationalstaaten und die Identität aufgeben? Nein.

Sie wollen Europa zerstören?
Völlig falsch. Ich liebe Europa, ihre kulturelle und sprachliche Vielfalt. Es ist für mich aber grauenhaft, ­homogenisiert, harmonisiert und sogar pasteurisiert zu werden – allein für eine europäische Identität. mehr

März

vasellaEin Symbol für alles Negative zu werden, ist schwer”
Daniel Vasella sagt, warum er in die USA gezogen ist, was er dort vorhat – und wie ihn die Empörung über die 72 Millionen Franken überrumpelte.
Herr Vasella, Sie sind in New York. Warum haben Sie die Schweiz verlassen?
Daniel Vasella: Mit dem Ende meiner Funktion als Verwaltungsratspräsident bei Novartis beginnt für mich ein neues Kapitel. Da haben meine Frau und ich auch über einen Umzug nachgedacht.

Ihr Abgang lässt vermuten, Sie hätten Ihrer Heimat den Rücken gekehrt.
Das ist nicht mein Verständnis. Ich drehe der Schweiz nicht den Rücken zu, ich nehme einen Tapetenwechsel vor.

Ihr Abgang wirkt überhastet. Wann haben Sie den Entscheid getroffen, die Schweiz zu verlassen?
Nach dem Entscheid, nicht mehr für den Verwaltungsrat zu kandidieren. mehr

odierEs gibt keine Waschmaschine für Schwarzgeld
Der Präsident der Bankiervereinigung will tiefere Boni für Banker und nur noch sauberes Geld von Kunden – dann bliebe die Schweiz ein führendes Finanzzentrum.
Monsieur Odier, Ihre Visitenkarte ist speziell. Darf ich sie sehen?
Patrick Odier: Natürlich. (Er klaubt eine Visitenkarte aus der Tasche.)

Sie ist beidseitig bedruckt. Auf einer Seite sind Sie Chef der Privatbank Lombard Odier, auf der anderen Präsident der Bankiervereinigung. Wie können Sie sich für Ihre Konkurrenten einsetzen?
Das ist einfach. Geht es der gesamten Branche gut, geht es meiner Bank gut. Habe ich beide Adressen auf meiner Karte, findet man mich schneller.

Sie sind oft in Genf zu finden. Arbeiten Banker dort sauberer als in Zürich?
Hoffentlich ist der gesamte Schweizer Finanzplatz sauber. Negative Ausnahmen gibt es, wie überall auf der Welt.

Zürcher Banker wundern sich, warum Genfer seltener ins Visier der Steuerfahnder geraten.
Das ist eine falsche Beobachtung. Derzeit sind 13 Schweizer Banken im Fokus der US-Steuerbehörden. Treffen kann es jede Bank der Welt. mehr

April

hayek“Ich will neugierig bleiben wie ein kleines Kind”
Er erzielt Rekordumsätze und spricht Klartext. Nick Hayek geisselt Regeln und huldigt Ideen – und sagt, warum er keine Komplexe hat.
Nick Hayek: Guten Tag, stört es Sie, wenn ich meine Zigarre rauche?

Zuletzt rauchte der Ölhändler Marc Rich während eines SonntagsBlick-Interviews eine Zigarre.
Dann höre ich sofort auf. Der Vergleich mit einem Rohstoffhändler gefällt mir nicht besonders.

Uns stört es nicht, wenn Sie rauchen. In welcher Sprache möchten Sie das Interview führen?
Eine andere Sonntagszeitung wollte eines auf Schweizerdeutsch machen. Das ist aber zu kompliziert.

Weil man Schweizerdeutsch nicht wirklich lesen kann?
Vielleicht. Noch schwieriger ist es, Schwiizertüütsch zu schreiben. mehr

pendelnEin Land kommt nicht zur Ruhe
Sechs von zehn Schweizern sind Pendler. Sie schlafen nicht dort, wo sie arbeiten, sehen ihre Kinder seltener, trennen sich häufiger von ihren Partnern. Aber für das idyllische Wohnen auf dem Dorf lassen sie sich den Rhythmus ihres Lebens vom Taktfahrplan bestimmen.
Ein schriller Pfiff, eine rau hallende Frauenstimme. «Gleis 18, bitte Vorsicht, der Zug fährt ab.» Hurtig hetzt ein dicklicher Mann mit zerzaustem Haar durch die offene Türe – just bevor sie schliesst. Es zieht, zuckt, ruckt, klickt. Stahl ächzt unter Fahrgestellen. Weichen quietschen. Die Lokomotive nimmt Tempo auf. Um sieben nach sechs geht es heimwärts, mit der Eisenbahn weg von Zürich. Raus aus dem Moloch.

Drinnen in den Waggons ist es eng, jeder Sitzplatz besetzt. Müde Menschen stehen in Gängen, lesen den Blick am Abend.

Längst verduftet sind Deo und Aftershave. Es riecht abgestanden, schweissgeschwängert, und es riecht nach kalten und lauwarmen Speisen, nach salzigen Chips, die einer verschlingt, nach dem eingepackten Poulet, das später als Abendessen auf dem Tisch steht. Eine junge, blasse Frau knabbert an Fingernägeln. Ihr Sitznachbar löst ein Kreuzworträtsel, trinkt dazu eine Cola. ­Leise wummert ein Musikgemisch aus Ohrstöpseln durchs gesamte Zugabteil. mehr

polenSchweizer Jobs im Silicon Valley des Ostens
Schweizer Banken müssen sparen. Die UBS entlässt Tausende. Anders die Credit Suisse. Sie verlegt Jobs nach Polen.
An diesem nassen Nachmittag trifft sich die Welt in Polen. Zürich hängt in der Leitung, dazu New York und London. Singapur hat sich eben abgemeldet. Dort ist nun Nacht. «Zeitzonen bestimmen den Rhythmus», sagt Wiktoria Jargilo. Sie leitet das Gespräch.

Sieben Personen führt Jargilo (31) im polnischen Wrocław, dem einstigen Breslau. Sie prüfen Daten von Wertschriften, die Banker der Credit Suisse weltweit handeln – in Singapur, New York, Zürich und London. «Wir helfen der Bank, besser zu werden», sagt Jargilo.

Seit 2007 arbeitet die Soziologin für die CS. Einst fing sie im Hotel Radisson Wrocław an, als eine der ersten 24 Angestellten der Credit Suisse in Polen. Heuten arbeiten hier 1700, verteilt auf vier Gebäude. Fast täglich fangen neue an. Zu einer Zeit, in der Schweizer Banken überall Stellen streichen. mehr

Mai

knuttiWarum ist es so saukalt, Herr Professor?
Seit zehn Jahren wird die Erde nicht mehr wärmer. Das sei kein Beweis dafür, dass sich der Planet nicht aufheizt, sagt ein ETH-Forscher – und ruft zum Handeln auf.
Herr Professor Knutti, können Sie schwimmen?
Reto Knutti: Selbstverständlich.

Dann waren Sie dieses Jahr schon im Zürichsee?
Nein. Der ist mir noch zu kalt.

Warum beträgt die Wassertemperatur in Zürich nur 12 Grad?
Weil die letzten Wochen ein bisschen kälter waren als im Schnitt.

Ein bisschen kälter? Es ist Pfingsten – warm war es 2013 noch nie!
Tatsächlich ist es eher kalt. Zum Durchschnitt gehören Ausschläge nach oben und unten. 2007 war der April etwa fünf Grad zu warm.

Schon an Ostern war es frostig, der März an gewissen Orten in Europa so kalt wie seit 100 Jahren nicht mehr. Wie nennen Klimaforscher diese neue Eiszeit?
Es gibt keine neue Eiszeit. Die Erde wird gesamthaft wärmer. Das zeigt uns der langfristige Durchschnitt. mehr

Juni

edmondsStahl für 2500 Eifeltürme
Stahl ist ein zentraler Rohstoff für die Welt. Viel wird in der Schweiz gehandelt. Stahlhändler Philip Edmonds warnt das Land, ihre Trümpfe als globale Drehscheibe zu verspielen.
Herr Edmonds, Sie handeln jährlich mit 20 Millionen Tonnen Stahl…
Philip Edmonds: …letztes Jahr waren es 18 Millionen Tonnen. Es ist Stahl sowie Rohmaterial, um Stahl herzustellen: Eisen, Kohle, Ferro­legierungen und Schrott.

Wie viele Eiffeltürme könnte man damit bauen?
Er wiegt 7000 Tonnen. Wir handeln pro Jahr also mit Stahl und Roh­material für rund 2500 Eiffeltürme.

So viele Türme braucht keiner. Wozu braucht es Stahl?
Es ist einer der wichtigsten Rohstoffe der Welt. Fast alles hängt davon ab: Ihr Haus, Ihr Auto, Ihr Büro, die Möbel, auf denen Sie sitzen, und Ihr Essbesteck, sogar unsere Energie.

Rohstoffhändler wissen selten, woher die Ware kommt. Und Sie?
Selbstverständlich. Stahl unterscheidet sich von anderen Rohstoffen. Er kommt nicht im Boden vor, man stellt ihn her. Wer Stahl kauft, will wissen, wer ihn herstellt. mehr

pele“Dank mir kam Brasilien auf die Landkarte”
Sie nennen ihn «O Rei» – den König. Er war die erste echte 10, wurde dreimal Weltmeister. Eine Begegnung mit Pelé ein Jahr vor der WM in Brasilien.
Auf den König muss selbst der CEO warten. Es ist kurz nach Mittag, ausserhalb der brasilia­nischen Metropole São Paulo.
Nervös wippt Thomas Schmall mit seinen ledernen Schuhen. Er leitet Volkswagen do Brasil, gebietet über 24 000 Angestellte. Jetzt hat er sich zu gedulden, weil der König verspätet ist.

Der König? Das ist Pelé, der grösste Fussballer aller Zeiten.

Dreimal war er Weltmeister mit Brasilien, erzielte 1281 Tore, war die erste echte 10. Zudem schaffte er eine Karriere nach der Karriere, als Geschäftsmann, als Minister, der Korruption bekämpfte, als Schauspieler, der Nazis besiegte. Sogar einen Roman schrieb er. Ihm gelang, was Fussballern nach dem Rücktritt oft misslingt: Pelé stürzte nie ab. mehr

hossli_steinbrueckVom Ross gefallen
Deutschland im Wahlfieber. Unterwegs mit einem Kandidaten, der einst begeisterte und heute nörgelt.
Der Kampf gegen den Schlaf ist so eine Sache. Autofahrer dürfen ihn nie verlieren. Und ein Kandidat fürs deutsche Kanzleramt? Auf den unablässig Kameras zielen? Der muss gegen müde Augen und schwere Glieder kämpfen – und hoffen, dass es keiner merkt.
Peer Steinbrück (66) gelingt das an diesem Mittwochabend recht gut, zumindest anfänglich.

Er sitzt in der vordersten Reihe im Atrium des Willy-Brandt-Hauses, Parteizentrale der SPD. Vor ihm lesen zwei Schauspieler aus Briefen, die Günter Grass (85) und Willy Brandt (†78) einander einst schrieben – anspruchsvolle Kost.

Steinbrück und Grass sollen später darüber palavern. Jeder Stuhl ist besetzt, selbst am Boden hocken Menschen, schlürfen Orangensaft und Prosecco. «Eine tolle Kombination: Grass, der Literat, gegen Steinbrück, den kalkulierenden Denker», sagt eine ältere Frau. «Ich bin wegen beiden hier.» mehr

Juli

berchtold_hossli“Ich bin kein Radau-Bruder”
Der schillerndste CS-Banker geht. Walter Berchtold über den Finanzplatz, Benzingeruch, seine Aussagen vor US-Gericht – und warum er Konzernchef der Credit Suisse werden wollte.
Letzten Sonntag verliess Walter Berchtold (51) die Credit Suisse. 31 Jahre lang arbeitete er für die Grossbank, als Händler, Vermögensverwalter, CEO der Abteilung Private Banking. Von 2006 bis 2011 trug er die Verantwortung für das heikle Geschäft mit US-Kunden. Zuletzt galt er als Favorit für das Amt des Konzernchefs. Im November gab die CS den Umbau der Bank bekannt. Für den «schönen Walti», wie er in der Branche heisst, hatte es keinen adäquaten Platz mehr. Der Banker kündigte.

Herr Berchtold, sind Sie der gescheiteste Banker der Schweiz?
Walter Berchtold: Nein, ganz sicher nicht. Warum bloss?

Sie reisten in die USA, packten vor Gericht aus – und sicherten sich Straffreiheit. Ziemlich klug!
Bei einer Einreise in die USA erhielt ich die Weisung, als Zeuge auszusagen. Wer eine solche Aufforderung erhält, sollte sie befolgen. Sonst ist er rasch zur Fahndung ausgeschrieben. Das wollte ich verhindern. mehr

martullo_hossli“Abkommen mit China bringt fast nichts”
Ems-Chefin Magdalena Martullo attackiert Bundesrat Schneider-Ammann – und erklärt das China-Geschäft ihres Konzerns.
Vor acht Tagen unterzeichnete Bundesrat Johann Schneider-Ammann in Peking ein Freihandelsabkommen mit China. Mit dabei waren 30 Chefs bedeutender Schweizer Firmen. Eine fehlte: Magdalena Martullo (43), CEO der Ems-Gruppe. «Ich reiste nicht nach China, weil wir wenige Vorteile erhalten», sagt sie. «Das Abkommen mit China bringt Ems praktisch nichts.»

Von Zöllen befreit seien einzig herkömmliche Kunststoffe, nicht aber hochwertige Polymere, bei denen Ems weltführend ist. «90 Prozent unserer Exporte nach China werden durch das Abkommen nicht begünstigt.» Dass ausgerechnet sie kaum profitiert, sei «etwas frustrierend», so Martullo. «Zumal ich mich sehr dafür eingesetzt habe.» Wie kam das? «Die chinesischen Unterhändler waren wohl besser vorbereitet als die Schweizer», sagt Martullo. «China will sich auf dem Gebiet weiter entwickeln, wo wir stark sind, deshalb bleiben die Zölle.» mehr

ews_jet2“Ruhig wird es wohl erst, wenn ich nicht mehr Bundesrätin bin”
Die Finanzministerin spricht über ihre Fehler, wie es im Fall USA weitergeht – und was sie von Edward Snowden hält.
Frau Bundesrätin, was machen Sie gegen Flugangst?
Eveline Widmer-Schlumpf: Nichts, ich fliege gern.

Wir landen in Moskau, wo Edward Snowden auf dem Flughafen lebt. Was halten Sie von ihm?
Er ist eine widersprüchliche Figur. Zum einen wehrt er sich dagegen, dass Daten überwacht werden. Zudem fordert er mehr Datenschutz. Nun sucht er Zuflucht in einem Land, wo Menschenrechte und Datenschutz nicht immer im Vordergrund stehen.

Er machte das US-Spähprogramm publik. War das richtig?
Es ist wichtig, dass der Terrorismus bekämpft wird. Der Zweck heiligt gewisse Mittel. Es ist jedoch fragwürdig, wenn ein Land ein anderes ohne dessen Wissen flächendeckend überwacht. Selbst bei der Terrorbekämpfung braucht es Regeln. Diese Regeln müssen von allen eingehalten werden. mehr

ews_kremlMit Not-Schoggi am Gipfel der Mächtigen
Moskau Retour – mit Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf am G-20-Treffen in Russland.
Der Weg nach Moskau beginnt vor den Lauben. Mitten in der Berner Altstadt steigt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (57) um 7.16 Uhr in einen Minivan. Ihre Akten schleppt sie selber ins Auto.

Über den fast herbstlichen Nebel redet sie auf dem Weg zum Flughafen in Belp. Erzählt, wie ihre Kinder gerne Gemüse assen, jedoch selten Schokolade. Der Van hält vor dem Bundesratsjet, einem dreistrahligen Falcon 900EX, Baujahr 2008. Zuvor flog ihn Fürst Albert II. Im Frühling erwarb ihn der Bund von Monaco für 35 Millionen Franken.

Heute fliegen ihn zwei Schweizer Militärpiloten nach Moskau – an Bord die Bundesrätin. Sie nimmt am Treffen der 20 wichtigsten Finanzminister teil. Zwei Mitarbeiterinnen begleiten sie, ein Reporter. mehr

September

lampe“Mir ist ziemlich egal, wer Kanzler ist”
Der neue deutsche Botschafter Otto Lampe ist seit einer Woche im Amt. Er redet über das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz und die Bundestagswahl.
Grüezi Herr Botschafter, wie gut ist Ihr Schweizerdeutsch?
Otto Lampe: Schweizerdeutsch ist bei mir leider nicht vorhanden.

Und Französisch und Italienisch?
Mein Italienisch ist verschwunden. Französisch werde ich im Privatunterricht verbessern – um bei Auftritten in der Westschweiz keinen schlechten Eindruck zu machen.

Ihr Vorgänger Peter Gottwald ist mit einer Schweizerin verheiratet. Und Ihr Bezug zur Schweiz?
Eine Schweizer Ehefrau kann ich nicht bieten. Für Peter Gottwald war das sicher ein Vorteil, da er mit einem halben Bein in der Gesellschaft des Gastlands verwurzelt ist. Meine Frau ist Portugiesin. In meiner Zeit in Lissabon hatte ich einen ähnlichen Standortvorteil. mehr

levy“Deutschland ist ein Oberlehrer-Land”
Dani Levy war der Peperoni in «Motel», drehte rührende Komödien über die Liebe und bissige über Hitler. Sein Wahl-Film wäre gespickt mit verklemmter Erotik.
Wegen der Kunst kam Dani Levy einst nach Berlin. Geblieben ist er wegen der Liebe – seit nunmehr 33 Jahren. «Berlin ist noch immer irgendwie schizophren – ein toller Nährboden für Kultur», sagt der Schweizer Regisseur.

Locker hockt er auf einem Ledersofa, trägt jugendliche Kleider, wirkt jünger als seine 55 Jahre. Sein Büro liegt in einem mächtigen Haus an der Kurfürstenstrasse. Einst war das Standesamt hier, früher eine Bank, heute eine Filmfirma.

Ein Poster von Charlie Chaplins «The Great Dictator» hängt an der Wand, auf dem Boden stehen Plakate von Levys bekanntesten Werken –  «Du mich auch», «I Was on Mars», «Alles auf Zucker!». Es sind Komödien, in denen Levy mal liebevoll, mal bissig mit der Welt abrechnet.

Wie hiesse denn seine Komödie über den bald endenden deutschen Wahlkampf 2013? Levy überlegt lange, sicher eine Minute – und sagt dann: «Die schwarze Dahlie». mehr

spreng_hossli“Auf die Deutschen kommen nach der Wahl teuere Überraschungen zu”
Politberater Michael Spreng (65) glaubt an einen Wahlsieg von Angela Merkel und geht hart ins Gericht mit den deutschen Parteien.
Herr Spreng, wer regiert Deutschland nach dem 22. September?
Michael Spreng: Auf jeden Fall Angela Merkel. Die Frage ist nur, mit wem.

Welche Koalition erwarten Sie?
Die beiden grossen Stücke sind verteilt. Es findet nur noch innerhalb der Lager ein Austausch statt, zwischen SPD/Grünen/Linken und CDU und FDP. Für Schwarz-Gelb könnte es knapp reichen.

Merkel scheint die grosse Koalition zu wollen, um die SPD in der Europa-Frage einzubinden.
Ja, die CDU hätte gerne eine grosse Koalition. Das ist für sie leichter. Die SPD ist verlässlicher als die FDP, sie hat alle einschneidenden Reformen mitgetragen.

Was macht dann Steinbrück?
Er geht in den Ruhestand. mehr

eichstaettWo Deutschland funktioniert … und wo nicht
Es gibt Sieger und Verlierer in Deutschland. In Bayern liegt der Landkreis mit der niedrigsten Arbeitslosenrate, in Brandenburg stehen am meisten Deutsche auf der Strasse. Zwei Besuche.
Eichstätt in Bayern. Die Sonne scheint. Aus Backstuben dringt der Duft frischer Brötchen. Kinder eilen zur Schule, vorbei an rüstigen Rentnern. «Grüss Gott», grüssen sie sich auf dem Marktplatz. Die Metzgerin nennt jede Kundin beim Namen. Mittags servieren Kellner in den Biergärten Haxen und Kraut.

Ein Idyll? Hier in Eichstätt liegt das deutsche Paradies.

Nirgends funktioniert das Land so gut wie in der bayerischen Kleinstadt mit 14 000 Einwohnern. Bloss 1,1 Prozent Arbeitslose sind bei der Agentur für Arbeit gemeldet. «Es ist europaweit oder sogar weltweit die niedrigste Quote», sagt Oberbürgermeister Andreas Steppberger (36). Er betont: «Wir hatten schon 0,9 Prozent.» Seit 40 Jahren sei Arbeit bei Wahlen nie ein Thema. mehr

deutschlandEine Kurze Begegnung mit Deutschland
Rund 61,8 Millionen Deutsche bestellten am 22. September den Bundestag neu. Eine kurze Begegnung mit Deutschland im Herbst 2013.

Eine gute Koalition – Ein Kommentar zur Bundestagswahl 2013

Abgang der Verlierer – und Angela Merkel auf Brautschau

Mutti ist die Beste – Die Wahlnacht

Schluss-Spurt – Ein Tag vor der Wahl

Wo Deutschland funktioniert… und wo nicht – Eine Doppelreportage aus den Landkreisen mit der höchsten und der niedrigsten Arbeitslosigkeit

Wirtschaftswunder “Made in Germany” – Ein Besuch im bayerischen Speckgürtel um Ingolstadt

“Auf die Deutschen kommen nach der Wahl teure Überraschungen zu” – Interview mit Politikberater Michael Spreng

November

vogtWarum hört niemand auf diesen Arzt?
Herzchirurg Paul Vogt hat eine sichere Methode gegen Wundinfektionen entwickelt, die Leben rettet.  Schweizer Kollegen ignorieren sie – wegen Neid und Profitdenken.
Um zu überleben, blieb nur das Skalpell. Dora Büeler-Rich­heimer liess sich im Juli 2012 am Herz operieren. Chirurgen des Universitätsspitals Zürich ersetzten eine ihrer vier Herzklappen, reparierten eine andere. Zudem legten sie ihr zwei Bypässe. Der Befund nach dem Eingriff: Alles ging gut.

Heute ist Dora Büeler (68) «sehr wütend», ihr Körper überzogen von tiefen Spuren einer Tortur, der Rücken vernarbt, das Gewebe labil. Schmerz trübt ihr Dasein.

Bakterien haben sie beinahe getötet. 90 Tage nach der vermeintlich erfolgreichen Herzoperation floss plötzlich Eiter aus der Narbe. Just wies ihr Hausarzt sie in die Zürcher Klinik Im Park ein. Der jetzige Befund: Ein schlimmer Infekt mit kompletter Zerstörung des Brustbeins. mehr

dohaBis zum Anpfiff der WM 2022 sterben 4000 Arbeiter
Mies bezahlte und entrechtete Migranten bauen die Fussball-Welt in Katar. Stündlich wächst Katar um 20 Personen. Sie schwitzen für das Emirat und den Fussball.
Es regnet in der Wüste. «Erstmals seit ich in Katar bin», sagt Budalama, ein hagerer Kerl aus Nepal. Knapp zwölf Quadratmeter Fläche hat sein fensterloser Schlafraum, von dessen vergilbter Decke Wasser in eine Schale tröpfelt. Ist sie voll, schüttet er sie im Hof aus.

Seit 18 Monaten lebt Budalama in Katar, dem Emirat am Persischen Golf. Er ist Gastarbeiter, wie die sieben Nepali, mit denen er das karge Zimmer teilt. Vier Stockbetten stehen auf dem Boden, belegt mit dünnen, zerrissenen Matratzen. Ein Horrorfilm läuft am Fernseher.

Weil es regnet, faulenzen sie. Sonst schuften die acht Nepali auf der weltweit grössten Baustelle. Bis zur Fussball-WM 2022 ent­stehen in Katar Bauten für rund 225 Milliarden Franken – Stadien, Schienen und Strassen, Shopping-Malls und Wolkenkratzer. Daran verdienen Baukonzerne aus China, Saudi-Arabien und aus Europa. mehr

Dezember

peter_aljazeeraHallo, das ist Al Jazeera
Als der Nachrichtensender Al Jazeera 1996 auf Sendung ging, erschraken die arabischen Machthaber, die Menschen auf der Strasse jubelten. Heute kann es Al Jazeera mit der BBC und CNN aufnehmen. Im Hauptquartier in Doha arbeiten Journalisten aus über 60 Ländern – dank Petrodollars unter traumhaften Arbeitsbedinungen.
Es ist kalt in der Wüste. Mit einem Halstuch schützt sich Carlos Van Meek vor der rauen klimatisierten Luft. «London, hört ihr uns?», beginnt er die Sitzung, sein Akzent ist amerikanisch. «Wir haben zwei Bomben in Beirut, wer dahinter steckt ist reine Spekulation.»

Es ist 13 Uhr in einem Aussenquartier von Doha, im Emirat Katar am Persischen Golf. Straff führt Tagesleiter Van Meek, 45, die mittägliche Konferenz beim Nachrichtensender Al Jazeera English. Per Videoschaltung dabei sind Kollegen aus London und Sarajevo. Hoch ist das Tempo der Sitzung, ebenso die Konzentration. Im Nu berichtet Van Meek, was bekannt ist. Beirut. 22 Tote, darunter Irans Kulturattaché. Vermutlich Autobomben. mehr

hossli_jsa“Meine Religion ist die Natur”
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann redet am Kamin über seinen Glauben, was er in Asien gelernt hat, schlaflose Nächte – und warum sich die Unternehmer um Politik kümmern müssen.
Schnee fällt in Saanenmöser BE. Kurz nach 10 Uhr am Stephanstag. Bundesrat Johann Schneider-Ammann (61) parkiert seinen Audi Quattro vor dem Hotel Les Hauts de Gstaad. In der Kaminbar setzt er sich ans Feuer, bestellt einen Latte Macchiato. Hier im Berner Oberland verbringt der Wirtschaftsminister die Tage zwischen den Jahren.

Herr Bundesrat, wie gut essen Sie mit Stäbchen?
Johann Schneider-Ammann: Für einen Westler nicht schlecht. Als Geschäftsmann lernte ich es in Japan und China. Habe ich aber richtig Hunger, esse ich lieber mit der Fondue-Gabel.

Sie reisten 2013 mehrmals nach Asien. Was haben Sie dort gelernt?
Geduld. Früher lernte ich es bei Geschäftsleuten in Japan, jetzt bei chinesischen Politikern. In Asien braucht es Zeit. Man sagt nicht einfach Ja oder Nein.
Lösungen müssen sich entwickeln. Es ist ein Prozess, bei dem oft nicht klar ist, wo dieser gerade steht. mehr

Top Fifteen 2013

Fünfzehn Favoriten

Alle Artikel von 2013

Fotos:  Thomas Lüthi, Jorma Müller, Daniel Winkler, Stefan Falke, Sabine Wunderlin, Daniel Kellenberger, Robert Huber, Jacek Pulawski, Samuel Trümpy, Gustavo Manoel, Thomas Grabka, Olga Kravets, Daniel Rihs, Maria Schiffer, Katarina Premfors, Remo Nägeli