Von Peter Hossli (Text) und Olga Kravets (Fotos)
Der Weg nach Moskau beginnt vor den Lauben. Mitten in der Berner Altstadt steigt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (57) um 7.16 Uhr in einen Minivan. Ihre Akten schleppt sie selber ins Auto.
Über den fast herbstlichen Nebel redet sie auf dem Weg zum Flughafen in Belp. Erzählt, wie ihre Kinder gerne Gemüse assen, jedoch selten Schokolade. Der Van hält vor dem Bundesratsjet, einem dreistrahligen Falcon 900EX, Baujahr 2008. Zuvor flog ihn Fürst Albert II. Im Frühling erwarb ihn der Bund von Monaco für 35 Millionen Franken.
Heute fliegen ihn zwei Schweizer Militärpiloten nach Moskau – an Bord die Bundesrätin. Sie nimmt am Treffen der 20 wichtigsten Finanzminister teil. Zwei Mitarbeiterinnen begleiten sie, ein Reporter.
Pass- und Sicherheitskontrollen sind nicht nötig. «Sitzt, wo ihr wollt», weist Widmer-Schlumpf die Passagiere an. Die ledernen Sessel sind bequem, die Innenausstattung angebracht edel. Die Flugzeit beträgt drei Stunden. Flugbegleiterin Simone Düringer verteilt Tageszeitungen. Den «Bund» und einen BLICK nimmt die Bundesrätin.
Wie ein Pfeil fegt der Jet über die Rollbahn, hebt ab gen Osten.
Reichhaltig ist das Frühstück: Käse, Fleisch, Joghurt von Toni, Brötchen und Gipfeli. Widmer-Schlumpf wählt erst ein Himbeerjoghurt, tauscht es gegen frisches Birchermüesli ein. Sie trinkt Kaffee, wirkt entspannt, redet über Politik und Recht. Und erzählt, wie sie
letztes Jahr in einem Hotel in Laos eine Nacht lang Mücken totschlug.
Die Magistratin bestellt einen zweiten Kaffee. «Wir haben ein kleines Problem», sagt Düringer. Die «Chefin», wie ihre Mitarbeiterinnen sie nennen, horcht auf. Dabei ist es nur die Kaffeemaschine.
Sie redet über ihre freundschaftliche Beziehung zum deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble (70). «Er ruft mich oft aufs Natel an, wir treffen uns privat.» Auch in Moskau wird sie ihn wieder treffen. Kurz vor der Landung steckt Widmer-Schlumpf noch ein paar Stücke Schokolade ein. «Damit ich in den Sitzungen nicht verhungere.»
Ob es okay sei, wenn es auf dem Rückflug einen Risotto gebe, fragt Düringer noch. «Gerne», sagt Widmer-Schlumpf. «Mit Pilzen oder Crevetten?» – «Bitte mit Pilzen!»
Die Landung ist sanft, die Passkontrolle erfolgt schnell. Es ist angenehm, mit einer Bundesrätin zu reisen. Der Schweizer Botschafter begleitet sie in der dunklen Bentley-Limousine ins Hotel an der Moskwa, dem braunen Fluss, der durch die Stadt fliesst. Von den Zimmern ist der Kreml zu sehen.
Noch bevor sie ihr Zimmer bezieht, gibt sie dem Schweizer Fernsehen ein Interview, redet mit der NZZ. Sorgt sich dann, ob ihr Kleid für den Abend zerknittert ist. «Ich habe sicher Zeit, es zu bügeln.»
Zeit nimmt sie sich für einen Spaziergang vorbei am Kreml über den Roten Platz hin zum Lenin-Mausoleum. Bodyguards sind nicht dabei. Sie gehe gerne durch fremde Städte. Das halte sie fit. Und: «Ich will nicht nur das Hotel und den Kongresssaal sehen.» Zudem schätze sie es, hier ein bisschen anonym zu sein. Zu Hause sei das kaum mehr möglich. Sie betont: «Schweizerinnen und Schweizer sind stets herzlich zu mir.»
Elegant im knitterfreien Jupe betritt sie abends um 18 Uhr das Kongresszentum, bespricht mit ihrer Delegation letzte Details. Plötzlich erscheint Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds. «Salut, Eveline», grüsst sie. Sie küssen sich die Wangen.
Nun beginnt die Arbeit. Im Zwiegespräch mit Italiens Finanzminister Fabrizio Saccomanni verhandelt sie über Grenzgänger, Campione, steuerliche Belange.
Am Abend isst sie mit zwanzig Finanzministern. Neben ihr sitzt Spaniens Kollege Luis de Guindos. Er überbringt überraschend positive Nachrichten: Erstmals seit langem sinke im arg gebeutelten Land die Arbeitslosigkeit wieder leicht.
Am nächsten Morgen wartet Wolfgang Schäuble bereits, als Eveline Widmer-Schlumpf pünktlich zum Frühstückstermin im Hotel erscheint. «Es ist mir eine Ehre, meine Schweizer Kollegin zu treffen», sagt Schäuble zum Reporter. «Wir pflegen die guten Beziehungen.» Just gehen die Türen zu.
Danach bespricht sie sich mit Nationalbank-Präsident Thomas Jordan (50). Bis 15 Uhr hat sie Sitzungen, verhandelt über technische Themen wie den automatischen Informationsaustausch, die Reform der Unternehmensbesteuerung.
Eine Limousine bringt sie in die Schweizer Botschaft. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Jordan trinkt sie Tee. Erzählt, wie sie mit dem amerikanischen Finanzminister Jack Lew über den Steuerstreit sprach. Betont, die Schweiz wolle 2014 beim G-20 erneut mitreden. Die Aussichten seien gut. «Man hat gemerkt, dass die Schweiz sehr gute technische Arbeit leistet», so Widmer-Schlumpf.
Sie genehmigt sich noch einen Schluck Champagner. Die Reise war ein Erfolg, die Schweiz stiess auf Gehör. Unten wartet der Bentley. Sie steigt ein – und eilt plötzlich raus. «Wo ist Rahel?» Sie bittet ihre Mitarbeiter um ein Mitbringsel und überreicht das Geschenk der russischen Fotografin, die sie für SonntagsBlick fotografierte.
Am Flughafen kümmert sich Widmer-Schlumpf um ihr eigenes Gepäck. «Haben wir alle?», fragt sie noch im Jet. Es sind nun mehr Passagiere an Bord. Jordan fliegt mit, dazu zwei Finanzexperten.
Nach einer Stunde Flug serviert Düringer einen Salat, Risotto und Wein. Um 19.54 Uhr landet der Jet in Altenrhein SG. Von dort ist die Bündner Bundesrätin bald in Chur.
Hat ihre Moskau-Reise der Schweiz etwas gebracht? Sie ist sicher: «Wer nicht dabei ist, kann seine Anliegen nicht einbringen.»
Das Interview mit Eveline Widmer-Schlumpf zum G20-Treffen in Moskau
[…] im Bundesratsjet nach Moskau unterwegs. Das Ergebnis des Trips: Ein langes Interview und ein Making-of mit Einblicken in den Arbeitsalltag der Magistratin. Die Kosten für die Reise im Bundesratsjet […]