Interview: Peter Hossli Fotos: Daniel Kellenberger
Letzten Sonntag verliess Walter Berchtold (51) die Credit Suisse. 31 Jahre lang arbeitete er für die Grossbank, als Händler, Vermögensverwalter, CEO der Abteilung Private Banking. Von 2006 bis 2011 trug er die Verantwortung für das heikle Geschäft mit US-Kunden. Zuletzt galt er als Favorit für das Amt des Konzernchefs. Im November gab die CS den Umbau der Bank bekannt. Für den «schönen Walti», wie er in der Branche heisst, hatte es keinen adäquaten Platz mehr. Der Banker kündigte.
Herr Berchtold, sind Sie der gescheiteste Banker der Schweiz?
Walter Berchtold: Nein, ganz sicher nicht. Warum bloss?
Sie reisten in die USA, packten vor Gericht aus – und sicherten sich Straffreiheit. Ziemlich klug!
Bei einer Einreise in die USA erhielt ich die Weisung, als Zeuge auszusagen. Wer eine solche Aufforderung erhält, sollte sie befolgen. Sonst ist er rasch zur Fahndung ausgeschrieben. Das wollte ich verhindern.
Sie haben in Amerika andere angeschwärzt, um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Halt! Ich habe niemanden angeschwärzt. Weder sagte ich über andere Personen etwas aus noch über andere Banken. Ich redete einzig über das Geschäftsmodell der Credit Suisse beim USA-Geschäft.
Nochmals: Sie packten aus und sicherten sich so Straffreiheit.
Niemand sicherte mir Straffreiheit zu. Sollte sich herausstellen, dass ich gelogen habe – was ich nicht tat –, droht mir ein Strafverfahren.
Was haben Sie denn erzählt?
Wie die CS ihr Geschäft mit US-Kunden betrieb. Dabei stellte ich klar, dass wir bereits vor dem QI Agreement von 2001 alles Nötige unternommen haben, um amerikanische Vorschriften einzuhalten.
Das half Ihnen, der CS und anderen CS-Topmanagern. Aber nicht einfachen Mitarbeitern der Bank.
Ob es irgendjemandem geholfen hat, weiss ich nicht. Abgesehen von der Wahrheit erzählte ich nichts.
Raten Sie Schweizer Bankern, die US-Kunden betreuten, ebenfalls in den USA auszusagen?
Es wäre besser zuzuwarten, bis der Steuerstreit beigelegt ist. Jeder Banker muss dann entscheiden, ob ihm eine Aussage etwas bringt. Von US-Reisen rate ich derzeit eher ab.
Die UBS stieg 2008 aus dem US-Geschäft aus. Wie viele dieser Kunden übernahmen Sie?
Wir wiesen am Tag des UBS-Ausstiegs alle Mitarbeitenden an, keine amerikanischen UBS-Kunden zu übernehmen. Diese hatten unversteuertes Geld – und das wollten wir partout nicht.
Trotzdem übernahm die Credit Suisse einige UBS-Kunden.
Wenn Doppelbürger ihre US-Staatsbürgerschaft verheimlichen, ist jede Bank wehrlos.
Die CS-Spitze behauptet stets, bezüglich der USA sei alles sauber gelaufen. Warum dauert es trotzdem so lange, bis die CS einen Vergleich schliessen kann?
Die CS wäre schon lange bereit. Aber die Amerikaner haben wenig Interesse, allzu schnell einen Vergleich zu finden. Sie wissen im ganzen Prozess ihre Macht zu nutzen.
Die Credit Suisse ist das ideale Druckmittel. Kommt sie zuletzt zu einem Vergleich mit den USA?
Nachdem der Bundesrat jetzt den Plan B vorgestellt hat, kann die CS die Sache vorantreiben. Ob sie die Erste oder die Letzte sein wird, weiss ich nicht.
Noch vor kurzem sollen Sie einen Putsch versucht haben, um CEO der Credit Suisse zu werden.
Einen Putschversuch gab es nie, ich bin kein Radaubruder, sondern kollegial. Was stimmt: Ja, ich wäre gerne CEO der Credit Suisse geworden und ich hätte viele Ideen gehabt, um die CS weiterzubringen.
Vor einem Jahr waren Sie in der Presse noch der «Favorit für den CEO-Posten». Was ist passiert?
Wer Favorit für diesen Posten ist, weiss einzig der CS-Verwaltungsrat. Alles andere war Spekulation.
Warum verliessen Sie die CS?
Ich habe meinen Weg gemacht, hatte eine wunderbare Zeit. Zuletzt bot man mir eine Rolle im Private Banking an. Das hatte ich zuvor schon erfolgreich gemacht. In dieser Form passte es mir nicht mehr.
Die Lex USA scheiterte im Parlament. Jetzt bietet der Bundesrat den Banken Einzelbewilligungen an, um mit den USA zu verhandeln. Löst das den Steuerstreit?
Es ist eine Grundlage für Banken, die Vergangenheit einzeln zu regeln. Für die Zukunft kommt Fatca. Überdies gibt es in der Schweiz nur noch wenige US-Kunden. Das Problem löst sich von alleine.
Jahrzehntelang profitierten Schweizer Banken von Schwarzgeld. Das ist vorbei. Wie kann der Finanzplatz nun überleben?
Mit der Qualität der Dienstleistungen. Langfristig wäre es unmöglich gewesen, mit Schwarzgeld zu überleben. Eine Strategie darf das nicht sein. Gewinnen kann eine Bank nur, wenn die Leistung stimmt.
Und die stimmt in der Schweiz?
Die Schweiz hat beste Voraussetzungen. Sie hat wirtschaftliche und politische Stabilität, eine gute Infrastruktur. Sind die rechtlichen Unsicherheiten bei den Steuern weg, hat die Schweiz alle Pfeiler, um in Zukunft weltweit führend zu bleiben.
Das Bankgeheimnis mache fett und impotent, sagte vor zehn Jahren Banker Hans Bär. Werden wir nun rank und schlank?
Banker müssen sich umpolen, um wieder hungrig zu werden. Dabei werden die Banken wohl kleiner.
Wie klein? Thomas Matter sagt, der Prozess koste 50000 Jobs in der Schweiz. Peter Kurer rechnet mit bis zu 40000 Jobs weniger.
Da bin ich weniger pessimistisch. Noch schrumpft die Branche nur wenig. Sich zu erneuern und neu zu erfinden, ist eine Riesenchance.
Bedroht nur das Ende des Bankgeheimnisses das Geschäft?
Besonders beim Tagesgeschäft ist der Umbruch riesig. Bald gibt es neue Anbieter, vielleicht Google oder Apple. Solche Konzerne wären schnell im Geschäft. Bieten sie Banklösungen über handliche Geräte an, braucht es bald keine Bankschalter mehr. Auch in der Schweiz gibt es in fünf oder zehn Jahren weniger Filialen.
Fest steht: Der automatische Informationsaustausch kommt. Ist das so schlimm, wie alle sagen?
Es ist sicher nicht die beste Lösung, hat aber gewichtige Vorteile gegenüber der Abgeltungssteuer: Banken werden nicht zu Steuereintreibern. Der automatische Informationsaustausch ist bedeutend günstiger als die Abgeltungssteuer. Was helfen würde, mögliche Vermögensabflüsse und damit entgangene Einnahmen zu kompensieren. Da der Informationsaustausch nur mit Europa in Frage käme, dürften negative Effekte überschaubar sein. Zumal europäische Kunden längst merkten, dass sich in Fragen der Steuerehrlichkeit einiges geändert hat – und sich selbst anzeigten.
Das Bankgeheimnis ist damit Geschichte. Auch in der Schweiz?
Ist es rechtlich möglich, sollten wir das Bankgeheimnis im Inland behalten. Es ist tief verankert, funktioniert und ist ein Ausdruck unseres Staatsverständnisses.
Sie waren 31 Jahre bei der CS. Wie viel haben Sie verdient?
Das weiss ich nicht, ich habe es nie zusammengezählt.
Was reizt Banker ausser Geld?
Das Schönste ist, mit guten Leuten zusammenzuarbeiten. Können Sie die Leute motivieren, stehen sie hinter der Bank, haben Sie zufriedene Kunden – dann kommt der Erfolg.
Und was bedeutet Ihnen Geld?
Es ermöglicht mir viele Dinge.
Wie viel Bares haben Sie im Sack?
Heute sechs- bis siebenhundert Franken, was für mich eher wenig ist. Ich mag Kreditkarten nicht und zahle möglichst alles bar.
Was mit dem neuen Geldwäscherei-Gesetz nicht einfach ist.
Einst hielt mich eine französische Zöllnerin an. Sie wollte wissen, ob ich mehr als 10000 Euro dabeihabe. Als ich verneinte, zählte sie nach und fand 12000 Euro. Prompt musste ich zwei Prozent Busse zahlen. Die Zöllnerin wollte wissen, was ich mit dem Geld mache. Als ich eher lakonisch sagte, ich kurble Frankreichs Wirtschaft an, sagte sie, ich solle anständig bleiben.
Ihr Lifestyle fällt auf. Sie mögen schnelle Autos und machen Ferien auf teuren Jachten. Das trug Ihnen harsche Kritik ein.
So schlimm war es nicht. Im zwinglianischen Zürich Erfolg zu zeigen, ist halt etwas verpönt. Es mag zudem Neid im Spiel sein. Ich kann mich nicht verleugnen.
Zu Ihnen gehört der Luxus?
Ich mag Autos, alte wie neue. Bei alten gefallen mir Design und Mechanik, der Benzingeruch, bei neuen fasziniert mich die Technologie.
Sie sind 51 und fit. Etwas früh, sich zur Ruhe zu setzen.
Mein Frau weiss: Ich arbeite, bis ich sterbe, sonst gehe ich ihr daheim auf die Nerven. Für Verwaltungsratsmandate bin ich etwas jung. Lieber kremple ich nochmals die Ärmel hoch, für einen Konzern oder als Selbständiger. Selbständigkeit reizt mich derzeit mehr.
Sie könnten CS-Kunden zu anderen Banken bringen. Wie verhindert das die CS?
Das könnte sie nicht verhindern, ich habe keine Konkurrenzklausel. Die CS muss dafür sorgen, dass ihre Kunden zufrieden bleiben.
Bietet Berchtold besseren Service, gehen Kunden zu Ihnen?
Es wäre mein Anspruch, besser zu sein. Ich hausiere aber nicht mit meinen Kundenbeziehungen.
Welcher Banker beeindruckt Sie?
Oswald Grübel. Mit all seinen Ecken und Kanten! Es gibt wenige, die das Geschäft so gut verstehen. Als Chef hat er den Mitarbeitern zu 100 Prozent das Vertrauen ausgesprochen. Und sie bei Fehlern entsprechend gerügt. Zudem konnte er seine eigenen Meinungen überdenken und sie gegebenenfalls ändern.
Vor Jahresfrist sassen Sie beim Wimbledon-Finale in der Box von Roger Federer.
Da hätte ich heute gerne wieder getan. Leider ist Roger nicht dabei.
Federer ist ihr Freund. Warum gewinnt er nicht mehr?
Er hat doch gerade in Halle gewonnen. Roger gewinnt einfach nicht mehr so häufig wie früher.
Wie wichtig waren Sie, damit Federer CS-Werbeträger wird?
Wir kennen uns privat schon sehr lange. Das hat sicher geholfen, ihn zur Credit Suisse zu holen.
SonntagsBlick zeigte den lebensgrossen Gorilla im Garten Ihres Ferienhauses. Warum besitzen Sie einen solchen Affen?
Der Gorilla gehört nicht mir, sondern meinem Nachbarn. Aber ich gestehe: Es ist ein guter Gorilla. Er gefällt mir und stört mich nicht.