Waren Sie Ihr Geld wert, Herr Vasella?

Der abtretende Novartis-Präsident über seine Beziehung zu Geld, die Lust, nochmals als Arzt zu arbeiten – und warum er lieber debattiert als streitet.

Interview: Peter Hossli, Fotos: Jorma Müller

Herr Vasella, was wird Novartis ohne Daniel Vasella sein?
Daniel Vasella: Die Novartis. Grosse Konzerne überleben ihre Leute, sonst sind sie falsch aufgestellt.

Schwierig wird es für Ihre Nachfolger. Wie können diese aus Ihrem Schatten treten?
Es kommt auch darauf an, wie ich mich verhalte. Schon vor drei Jahren habe ich begonnen, mich zurückzuziehen. Das war ein Prozess, bei dem der Verwaltungsrat und ich die Führungszukunft des Konzerns sicherstellten – und ich mich innerlich löste. Ich wollte nicht derjenige sein, der nie gehen kann.

Neu führen Novartis ein Amerikaner und ein Deutscher. Ist sie noch schweizerisch?
Das Management ist mehrheitlich ausländisch, ebenso die Aktio­näre und der Verwaltungsrat. Schweizerisch sind Firmensitz und Geschichte. Viele Mitarbeiter in der Schweiz sind Ausländer.

Sie beschreiben keinen Schweizer Konzern.
Was den Pass betrifft, ja. Mein Nachfolger Jörg Reinhard ist ein Grenzgänger: ein Deutscher, der fast 30 Jahre in der Schweiz tätig war und das Land bestens kennt.

Schweizer fürchten, die internationale Novartis verlagere weitere Jobs ins Ausland.
Diese Angst ist nicht berechtigt. Arbeitsplätze hängen von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Wir als Schweizer müssen für sie Sorge tragen. Sind wir bei Arbeits- und Aktienrecht, Steuern und Sicherheit nicht mehr wettbewerbsfähig, haben wir ein Problem.

Dann kann sich Novartis vorstellen, die Schweiz zu verlassen?
Ja, wie jede Firma auch. Alle Konzerne müssen sich periodisch überlegen, ob die Schweiz der richtige Ort ist, vor allem wenn es zu Umbrüchen kommt.

Sie machten Karriere bei einem Schweizer Weltkonzern. Was war wichtiger – die Schweiz oder die Welt?
Die Menschen.

Etwas ist Ihnen nicht geglückt: die Fusion mit Roche. Warum?
Sie ist nie in Gang gesetzt worden. Weil Roche das nicht wollte.

Aber Sie hatten es gewollt?
Ich wäre einer Fusion gegenüber offen gewesen. Eine feindselige Übernahme zu machen, wäre bei einem grossen Konzern sehr risikoreich und nicht sinnvoll gewesen.

Sie liessen sich in Lederjacke, mit Fünftagebart und Motorrad fotografieren. Das kommt in der Schweiz nicht gut an.
Gewisse Leute mochten das nicht, weil sie stereotyp denken. Aber meine Kollegen aus der Töffzeit haben sich gefreut.

Warum boten Sie eine solche Angriffsfläche?
Ich fuhr gerne Töff. Dazu zu stehen, ist nicht verboten. Letztlich stört es mich nicht gross, wenn ich angegriffen werde.

Dann sind Sie streitlustig?
Ich bin debattierfreudig. Ich streite nicht gerne. Aggressionen will ich positiv nutzen, aufbauend.

Sie debattierten einst in trotzkistischen Zirkeln. Was brachte Sie zurück zur Marktwirtschaft?
Ich merkte, wie dogmatisch diese Leute sind, dass man glauben muss – und es keine offene Debatte gibt. Ich bin kein Freund von Dogmen.

Und wie kamen Sie auf den Geschmack, viel Geld zu verdienen?
Das war nie mein Ziel, es hat sich ergeben.

Immerhin haben Sie bei Novartis zwischen 200 und 300 Millionen Franken verdient.
Jeden Tag steigt in der Presse die Summe. Ich weiss leider nicht, wo das viele Geld ist.

Wie viel war es total?
Das weiss ich nicht, ich habe diese Rechnung nie gemacht.

Es war viel. Sind Sie es wert?
Offensichtlich kamen die Entscheidungsträger zum Schluss, ich sei es wert. Es entsprach auch weitgehend dem Markt für Spitzenkräfte. Die Frage muss sein: Was ist der Gegenwert? Fakt ist: Allein zwei Deals, bei denen ich entscheidend eingriff, haben mein gesamtes Gehalt wesentlich übertroffen.

Dann waren Sie Ihr Geld wert?
Rational gesehen, ja. Die Reaktionen auf meine Gehälter sind aber emotional.

Sind solch hohe Löhne wie Ihrer überhaupt angemessen?
Geld ist relativ. Das Salär soll fair und konkurrenzmässig sein. Eine Firma muss sich überlegen: Wie viel zahlt man, was ist der Gegenwert? Es gibt nichts Dümmeres, als einen Bewerber, den man will, wegen einem zu hohen Lohn nicht einzustellen.

Sie hätten weniger nehmen können.
Wenn du 100 verdienst und morgen erhältst du 50, und 50 wären genug, kommt natürlich die Frage: Warum gebt ihr mir jetzt 50? Einen höheren Lohn zu erhalten, ist einfach, runterzugehen ist immer schwierig. Vor allem, wenn es der Firma gut geht und der Lohn in der Gesamtrechnung nicht ins Gewicht fällt.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Sicherheit, Unabhängigkeit, Selbständigkeit, das ist mir wichtig.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Geld verändert?
Als ich Assistenzarzt war und nicht einmal 40 000 Franken verdiente, mussten wir als Familie rechnen. Es war nicht angenehm, aber okay. Plötzlich hatten wir genug, konnten in die Ferien, das war sehr angenehm. Später dachte ich, wie verrückt es ist, plötzlich so viel zu verdienen. Aber dann gewöhnte man sich daran. Normen verschieben sich.

Was macht viel Geld aus Ihnen?
Es wirft die Frage auf, wie man es einsetzt. Kauft man sich eine Yacht? Ich sagte: auf keinen Fall. Die zweite Frage: Wie viel behält man, wie viel gibt man weiter?

Wie viel behalten Sie denn, wie viel geben Sie weiter?
Meine Familie und ich haben bereits einen zweistelligen Millionenbetrag an wohltätige Institu­tionen weitergegeben und wir sind entschlossen, diesen Betrag in Zukunft weiter aufzustocken.

Reiche Amerikaner sagen, sie wollten ihr Geld zu Lebzeiten weggeben – und arm sterben.
Sie wollen, dass die nächste Generation wieder bei null anfängt. Das will ich nicht, es passt nicht zur schweizerischen Tradition. Meine Kinder sollen sich nicht überlegen müssen, wie viel sie in einem Beruf verdienen. Sie sollen etwas tun können, das sie gerne und gut machen – und eine gewisse Sicherheit haben.

Welche Krankheit könnte Ihr Geld heilen?
Keine, dafür ist es viel zu wenig.

Sie erkrankten als Bub an Tuberkulose, verbrachten ein Jahr zur Kur in Arosa. Wie hat Sie das verändert?
Mir wurde bewusst: Das Leben ist endlich. Ich war zehn Jahre alt, als meine Schwester an Krebs starb, dreizehn, als mein Vater starb. Krankheit war eine Bedrohung, die ich verstehen wollte. Medizin wurde für mich zusehends wichtiger. Und dass es Situationen gibt, in denen man glaubt, es gehe nicht weiter – und es ging doch weiter. Das verlieh mir Zuversicht. Aber auch das Bewusstsein, dass man alles Wich­tige verlieren kann: die Gesundheit, die Familie, das Vermögen.

Dann ist das Streben nach Geld eine Art Kompensation für Ihre Schicksalsschläge?
Das glaube ich nicht. Mein Geld? Es ist doch interessant, wie viel andere Leute darüber reden. Bei mir nimmt es nicht so viel Platz ein.

Ihr Gehalt macht Sie aber zum Poster-Boy der Minder-Initiative.
Es geht nicht mal so sehr um mich. Minder ärgerte sich über Swissair: Wie ein Manager trotz Bankrott kassierte, Minder selber aber wegen einer annullierten Bestellung in Not geriet. Das verletzte wohl seinen Gerechtigkeitssinn. Hier trifft Minder sicher einen Nerv.

Sie haben Verständnis?
Ja, ich habe Verständnis für die Anliegen der Minder-Initiative, aber keine Sympathien, da sie für die Schweiz destruktiv wären. Zudem würde es Jahre dauern, bis sie umgesetzt ist. Der Gegenvorschlag hingegen würde sofort zum Gesetz und liesse den Aktionären mehr Wahlmöglichkeiten. Als gut verdienender Manager müsste man also schon fast für die Initiative sein, weil sich dann jahrelang nichts ändert.

Wenn jemand Sie als Abzocker bezeichnet: Was sagen Sie ihm?
Nichts. Dieses Wort steht für alle und alles. Es ist Wort und Unwort zugleich. Der Nachbar, der die Fenster streichen lässt, ein neues Auto fährt, ist plötzlich ein Abzocker. Das Wort hat an Bedeutung verloren.

Der Vorwurf an Sie lautet: Der Vasella hat sich selbst bedient.
Wer das sagt, versteht nicht, dass dies unmöglich ist. Die Debatte um die Initiative hat einen Einfluss auf die Verwaltungsräte. Bei Löhnen sind sie sehr viel sorgfältiger geworden.

Dann trat die Initiative eine wichtige Diskus­sion los?
Nein, diese Diskussion findet in allen Ländern statt – schon lange. Wir in der Schweiz müssen uns fragen, ob sie zu einer Struktur führt, die uns noch wettbewerbsfähig macht, oder ob wir unser Land bewusst schwächen wollen.

Was bedeutet die Annahme der Initiative für die Schweiz?
Die Schweiz hätte ein auf der Welt einmaliges Korsett für Firmen und Aktionäre. Selbst die Aktionäre wären gefesselt. Der Arbeitsablauf wird absolut unpraktisch. Verwaltungsräte könnten für Kader keine bindenden Verträge mehr abschliessen.

In den Medien wurde spekuliert, Sie seien bewusst jetzt zurückgetreten, um die Chancen der Minder-Initiative zu verringern.
Das ist falsch. Ich lasse mich weder drängen, noch bin ich ein Politiker. Ich würde jetzt auf meine Stelle und meinen Lohn verzichten, damit die Initiative abgelehnt wird? Dann sollte man mich ja bewundern, was ich für das Vaterland mache! Ernsthaft: Bis die Initia­tive umgesetzt würde, hätte ich zweimal pensioniert werden können.

Sie tragen in der Schweiz das Abzocker-Label. Was tun Sie dagegen?
Nichts.

Wie soll man Sie denn sehen?
Für mich zählt nur, was meine Kinder und meine Frau von mir denken, das ist mir wichtig. Zudem habe ich in den letzten Tagen Hunderte von E-Mails erhalten von Mitarbeitern, keines davon negativ. Das durfte ich nicht erwarten. Zumal der Chef ja nicht immer beliebt ist.

Geht es um Lohn, spielt der Neid mit. Sind wir neidisch auf Sie?
Die Debatte ist sicher auch von Neid getrieben. Leider hat sich dieser Trend verschärft.

Ist Neid denn schlecht?
Es gibt zwei Arten von Neid. Eine Form sagt: «Oh, du kannst das oder du hast das. Das will ich auch.» Das ist positiv, das treibt an.

Und der schlechte Neid?
«Du kannst das, du hast das und du sollst dies nicht können oder haben, und ich will zerstören, was du hast.» Das ist enorm destruktiv, und zwar für den Empfänger wie den Sender. Neider sind innerlich nie glückliche Menschen.

Wir treffen uns am Weltwirtschaftsforum in Davos. Wie lange ist der Mindestkurs Euro/Franken noch nötig?
Stellen Sie diese Frage der Nationalbank. Aus meiner Sicht hat sich der Euro etwas erholt, es gibt mehr Zuversicht für Europa. Aber die Probleme sind weiterhin da.

Was ist die grösste Herausforderung für die Weltwirtschaft?
Die Solvenz der Regierungen. Es gibt viele Staaten, die mehr ausgeben, als sie einnehmen. Das ist nicht haltbar. Es wird zu viel Geld gedruckt, auch in der Schweiz, um Euros zu kaufen. Dieses Geld muss rechtzeitig abgeschöpft werden. Dass dies rechtzeitig passiert, bezweifle ich. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit einer globalen Inflation gross, wenn auch nicht imminent.

Wer verhält sich denn am klügsten: Europäer, Amerikaner oder Asiaten?
Ich würde sagen, die Schweiz macht es gar nicht schlecht. Unsere Regierung darf sich nicht zu sehr verschulden. Und das ist gesund.

Was bringt denn das WEF, um diese Probleme zu lösen?
Es gibt hier Gespräche und informelle Dialoge. Aber das findet nur einmal im Jahr statt und löst keine Probleme. Wir bei Novartis treffen uns mit Gesundheitsministern und hören uns deren An­liegen an.

Novartis kämpft gegen Malaria. Wann ist die Krankheit besiegt?
Leider wird das kaum gelingen. Es gibt weniger Todesfälle, vor allem bei Kindern. Aber ich sehe nicht, wie wir Malaria ausrotten könnten.

Welche Krankheit wird bis zu Ihrem Lebensende verschwinden?
Lepra wäre möglich. Bei Polio wäre es möglich gewesen, aber das geht nun nicht mehr, weil gewisse Länder nicht mehr impfen lassen.

Was sind die grössten medizinischen Herausforderungen?
Die Bevölkerung wird weltweit älter. Deshalb ist Demenz ein zunehmendes und ungelöstes Problem. Zumal wir ihre Ursachen nicht kennen. Das Hirn ist komplex und kompliziert. Es fehlen uns die wichtigen Ansatzpunkte.

Wenig Fortschritte gibt es in der Krebsforschung.
Das ist falsch. Die Chancen eines 65-Jährigen, mit Krebs länger als fünf Jahre zu leben, steigen kontinuierlich an. Kinder mit
Krebs werden heute zu 80 Pro­zent geheilt, und zwar dank Chemotherapeu­tika und besserer Diagnostik.

Krebsarzt Thomas Cerny sagt, die Pharmabranche behindere die Krebsforschung.
Wenn er das sagt, bezeugt er seine Ignoranz.

Gemäss Cerny arbeiten die besten Forscher nicht für Novartis. Pharmakonzerne seien nicht mehr innovativ.
Dann hat er offensichtlich keine Ahnung. Gleichzeitig streckt er die Hand hin für die Krebsliga. Er hat ein wenig die Perspektive verloren. Seine Aussagen sind ein Bärendienst an der Sache. Er sollte betonen, wo wir Fortschritte machen und wo nicht.

Sie lassen sich ein Konkurrenzverbot bezahlen. Könnten Sie sich denn vorstellen, für eine andere Firma als Novartis zu wirken?
Ohne Verbot? Sicher. Es könnte ja meine Firma sein. Ich bin gerne Unternehmer, verändere etwas, baue etwas auf, gehe in neue Märkte.

Sie sind Arzt. Könnten Sie den Beruf noch ausüben?
Letzte Woche schrieb mir ein gleichaltriger Freund, er eröffne eine Praxis in Genf. Ich dachte: Wow, ist der mutig!

Und Sie?
Ich hatte denselben Gedanken. Ich wäre gerne wieder Arzt. Aber ich müsste nochmals ins Spital, um dort vieles aufzufrischen.

Haben Sie denn Lust dazu?
Die Vorstellung ist sehr attraktiv. Aber man muss nicht jede Vorstellung umsetzen.