Von Peter Hossli (Text) und Maria Schiffer (Fotos)
Wegen der Kunst kam Dani Levy einst nach Berlin. Geblieben ist er wegen der Liebe – seit nunmehr 33 Jahren. «Berlin ist noch immer irgendwie schizophren – ein toller Nährboden für Kultur», sagt der Schweizer Regisseur.
Locker hockt er auf einem Ledersofa, trägt jugendliche Kleider, wirkt jünger als seine 55 Jahre. Sein Büro liegt in einem mächtigen Haus an der Kurfürstenstrasse. Einst war das Standesamt hier, früher eine Bank, heute eine Filmfirma.
Ein Poster von Charlie Chaplins «The Great Dictator» hängt an der Wand, auf dem Boden stehen Plakate von Levys bekanntesten Werken – «Du mich auch», «I Was on Mars», «Alles auf Zucker!». Es sind Komödien, in denen Levy mal liebevoll, mal bissig mit der Welt abrechnet.
Wie hiesse denn seine Komödie über den bald endenden deutschen Wahlkampf 2013? Levy überlegt lange, sicher eine Minute – und sagt dann: «Die schwarze Dahlie».
Nun improvisiert er, spult einen fiktiven Wahlfilm im Kopf ab. «Es wäre ein Stummfilm, in Schwarz-weiss gedreht», sagt Levy. «Er ist besetzt mit wahnsinnig langweilig gestikulierenden Figuren, das Wenige, das sie sagen, steht in den Untertiteln, alles wäre hell ausgeleuchtet, weil Deutschland so sonnig und gut gelaunt ist – und von wirtschaftlicher Kraft geradezu strotzt.» Ständig würde ein Mann die dunklen Wolken zur Seite schieben. «Es gebe viele Betrügereien, jeder ginge mit jedem ins Bett, aber niemand dürfte es wissen, die Erotik wäre höchst verklemmt», sagt Levy.
«Der Film endet mit einem Stromausfall in der Wahlnacht.» Er isst Kekse. «Alle Computer stürzen ab, die Stimmen lassen sich nicht mehr auszählen, die Piraten fordern, dass die Hochrechnungen zum Wahlergebnis erklärt werden.»
Richtig lustig wäre diese Komödie aber nicht, sagt Levy. «Wahlkampf in Deutschland ist immer öde, dieses Jahr ist er besonders öde.» Nirgends sei ein Ruck in der deutschen Gesellschaft spürbar. «Es gibt keine echten Skandale, die Plakate, die hängen, sehen aus wie sie vor vier und acht Jahren schon ausgesehen haben, dramatische Wendungen fehlen – was für einen Filmer total langweilig ist.»
Ideen vermisst Levy im Wahlherbst 2013, genauso Visionen. «Kein Politiker hat einen echten Plan, wie die deutsche Gesellschaft in zehn Jahren aussehen sollte, wie die Finanzpolitik, die Besteuerung gerechter werden könnten.» Einem «öden grauen Brei» gleiche daher die politische Debatte. «Da alles abgekartet ist, sind viele politikmüde.»
Jedoch nicht unglücklich. «Die Deutschen sind froh, dass der politische Prozess überschaubar ist, nichts Unberechenbares passiert – deutsche Politik ist heute ungefähr so spannend wie deutsches Fernsehen, alles ist plausibel, es hat keine abrupten Brüche, es gibt keinerlei Überraschungen.»
Levy wuchs in Basel auf. Wegen Brüchen und Überraschungen ging er 1980 nach Berlin. Das Theater Rote Grütze zog ihn vom Rhein an die Spree. Für «ihre politische, emanzipierte, engagierte Arbeit» habe er die Truppe bewundert. Als er ankam, «war ich zu Tode erschrocken, ich, der Provinzboy, stand mitten im rabiaten Berlin».
Er zog in eine WG, lernte zu leben, verliebte sich, immer wieder in Frauen vom Film. Er spielte 1984 in der Schweizer Seifenoper «Motel» den Küchenburschen Peperoni, zwei Jahre später brachte er die Liebeskomödie «Du mich auch» ins Kino, noch heute ein Kultfilm. Mit «Alles auf Zucker!» belebte er 2004 den jüdischen Humor in Deutschland neu – und landete 2007 mit «Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler» einen Flop. Er drehte «Tatort», gründete eine Firma mit den Filmern Tom Tywker und Wolfgang Becker.
Für Regisseure gebe es bessere Orte als Berlin. «New York ist spannender, aufgerissener und verwundeter.» Trotzdem: «Wenn es eine spannende Filmszene gibt in Deutschland, dann in Berlin.» Zudem, so der Vater, «ist die Stadt toll mit Kindern, es hat Kita-Plätze, gute Schulen – und Bioläden».
Die Politik aber und mit ihr der Regierungssitz hätten Berlin verändert, die Wende die Stadt zum «Funktionärsmoloch» verformt. «Der Umzug von Bonn hat halb Berlin zerstört, um Schickimicki-Orte zu erstellen, von denen Wichtigtuer sagen, Jürgen Trittin esse hier.»
Wenn wir schon bei Politikern sind – was denkt er über Kanzlerin Angela Merkel (59)? «Unsympathisch ist sie mir nicht», sagt Levy. «Ihre Unaufgeregtheit ist wohltuend für die Politik. Sie ist raffiniert und volksnah – und ein grösserer Machtmensch, als sie zeigt.» Aber: «Sie hat keine Leidenschaft, keine Vision und keinen Mut», sagt Levy. «Merkel ist eine gute Managerin des Bestehenden, geht es um Veränderungen, ist sie die Falsche.»
Nie interessiert hätte ihn Peer Steinbrück (66). «Er berührt mich nicht», sagt Levy. «Er ist politisch angeschlagen nach den vielen Jahren und Jahrzehnten der Buckelei und Krampferei für eine Karriere.»
Zu Beginn des Wahlkampfs hätte er ihm gefallen. «Ich fand cool, wie er in Fettnäpfchen trat.» Warum das nicht ankam, weiss Levy: «Deutschland ist ein Oberlehrer-Land, jedes Komma gelangt unter die Lupe, das macht keinen Spass.»
Das «grösste Drama» sieht der Filmer in der «verpassten Chance» der Piraten. Sie hatten viel Poten-zial, einen gigantischen Start, hätten 15 Prozent der Wähler holen können – und machten nichts daraus.»
Beruflich beschäftigt sich Levy derzeit mit der Schweiz, verfilmt den Zürcher Postraub von 1997. «Es ist mein erster faktischer Stoff – da muss jedes Detail stimmen.»