Von Peter Hossli (Text) und Jacek Pulawski (Fotos)
An diesem nassen Nachmittag trifft sich die Welt in Polen. Zürich hängt in der Leitung, dazu New York und London. Singapur hat sich eben abgemeldet. Dort ist nun Nacht. «Zeitzonen bestimmen den Rhythmus», sagt Wiktoria Jargilo. Sie leitet das Gespräch.
Sieben Personen führt Jargilo (31) im polnischen Wrocław, dem einstigen Breslau. Sie prüfen Daten von Wertschriften, die Banker der Credit Suisse weltweit handeln – in Singapur, New York, Zürich und London. «Wir helfen der Bank, besser zu werden», sagt Jargilo.
Seit 2007 arbeitet die Soziologin für die CS. Einst fing sie im Hotel Radisson Wrocław an, als eine der ersten 24 Angestellten der Credit Suisse in Polen. Heuten arbeiten hier 1700, verteilt auf vier Gebäude. Fast täglich fangen neue an. Zu einer Zeit, in der Schweizer Banken überall Stellen streichen.
Nicht etwa Telefonistinnen beschäftigt die CS in Polen. Gut ausgebildete Personen erledigen Anspruchsvolles. Mathematiker zwängen globale Märkte in Formeln. Polyglotte Polen erstellen Texte in neun Sprachen, darunter Hindi und Japanisch. Informatiker verbinden Server. Anwälte prüfen Verträge.
Wie eine moderne Burg ragt das Grunwaldzki-Zentrum am Rande der Innenstadt zum grauen Himmel. Im Erdgeschoss logiert Starbucks. Schnelle Lifte ziehen CS-Angestellte hoch. Acht Stockwerke belegt die Bank. Die Räume sind hell, modern eingerichtet. Computer surren. Dahinter sitzen vorwiegend junge Polinnen. Bei 28 Jahren liegt das durchschnittliche Alter, 60 Prozent sind Frauen.
Auf Tischen stehen Wasserflaschen, dazu Gummibärchen. Eine Designerin hat künstliche Blumen gepflanzt. Dutzende noch verpackter Computer warten in einem Raum auf neue Mitarbeiter.
Sie werden im vierten Stock eingeführt. Dort arbeiten 140 Polen in der CS-Personalabteilung. Jedoch nicht nur für Polen. Für die gesamte Gruppe erstellen sie Zeugnisse, setzen Arbeitsverträge auf, wickeln Einstellungen ab, verfassen interne Mails. In der Abteilung «Offboarding» betreuen zwei Frauen weltweit die Entlassungen.
Einen Stock unter ihnen bereiten Buchhalter Umsätze und Erträge auf. Anhand der Zahlen entscheidet in Zürich die Geschäftsleitung.
Auf derselben Etage prüfen 100 Polen die Handelsbücher der Investmentbank. Andere übertragen Stammdaten, beurteilen Konten.Wobei alles anonym ist. Auf keinem Bildschirm erscheinen Einzeldepots. Keinerlei Kundendaten finden den Weg nach Wrocław.
Von Postern grinst Roger Federer. Beim Empfang läuft ein Film, der den Schweizer Tennisstar auf einem Töff zeigt. Rezeptionistinnen begrüssen Besucher auf Englisch, Deutsch und Polnisch. Nervös rutscht eine junge Frau auf dem Sessel hin und her, wartet auf ihr Anstellungsgespräch. «Für Frauen ist die CS ein guter Arbeitgeber», sagt Aleksandra Hajder (31). «Die Bank fördert uns.» Sie besorgt, wovor sich Schweizer Banker fürchten: Hajder sucht in Polen Personal. «Junge, motivierte und sprachgewandte Menschen.»
Dabei achte sie auf «soft skills», Begabungen, die wichtig aber nicht messbar sind. «Ich will international denkende Persönlichkeiten.»
Um Talente buhlt sie mit Google und IBM, Volvo und Nokia. Sie alle haben Ableger in Wrocław – und werben um fleissiges Personal.
Hajder lockt mit guten Gehältern, bis zu fünf Wochen Ferien sowie Aufstiegsmöglichkeiten. Die CS zahlt die Krankenkasse. «Vor allem bieten wir Schweizer Kultur», sagt sie. «Die Qualität der Arbeit ist hoch, ebenso die Betreuung des Personals.» Umso positiver sei die Stimmung in den Gängen und während Kaffeepausen. Hajder: «Das CS-Center ist ein Spiegelbild von Polen – beide wachsen rasch.»
Dafür sorgt ein Schweizer. Glaswände trennen das Büro von Arthur Bänziger (53) von den anderen ab. Trotzdem steht es allen offen. Ohne zu klopfen treten Mitarbeiter ein, reden Deutsch und Englisch mit ihm, dazu ein bisschen Polnisch. «Wir leisten hier eine Art Entwicklungshilfe», sagt Bänziger. Er führt das CS-Center. Rund 60 Prozent seines Personals kam einst direkt von der Universität oder hatte weniger als zwei Jahren Berufserfahrung. «Wir finden sie, bilden sie aus und helfen ihnen, sich zu entwickeln.» Warum? «Die CS investiert langfristig.»
Zu einem günstigen Preis. Polnische Löhne sind tiefer, ebenso Büros und Dienstleistungen. «Das Paket kostet ein Drittel bis zur Hälfte weniger als in Zürich», sagt Bänziger – und betont: «Allein wegen der Kosten ist die CS nicht in Polen.» Sondern: «Es ist einfacher, hier passendes Personal zu finden, in der Schweiz wäre es unmöglich, so schnell so viele anzustellen.»
Zudem verringert die Bank die Gefahr, Spezialisten an besser zahlende Konkurrenten zu verlieren.
Nach Polen kam Bänziger 2011. Es gefällt ihm, er kann gestalten. «Was wir tun, hat einen direkten Einfluss auf den gesamten Konzern.» Überdies mag er die positive polnische Mentalität – entgegen allen Klischees. «Niemand ist griesgrämig, grüblerisch, sarkastisch – wie etwa in der Schweiz.»
Schwächt das Center den Schweizer Finanzplatz? Bänziger verneint. «Im Gegenteil. Wir stärken die CS und somit den Finanzplatz.» Die Bank senke Kosten und bleibe erstklassig. «Von Polen liefern wir Schweizer Qualität in die Welt.»
Am Morgen nach Asien, nachmittags an die US-Ostküste, abends an die Westküste. Berlin, Prag, Budapest sind nah, Westeuropa ist rasch erreicht. Insgesamt erbringen etwa 120000 Polen Dienstleistungen für Weltkonzerne. Weltweit ist das Land mit 38 Millionen Einwohner die Nummer drei beim Outsourcing, hinter China und Indien.
Er wolle Wrocław zum «Silicon Valley des Ostens» trimmen, erklärt Bürgermeister Rafał Dutkiewicz.
Geräumig wie eine kleine Turnhalle ist sein Büro im ersten Stock des Ratshauses. «Konzerne finden hier kluge Köpfe.» Von 700000 Einwohnern studieren 150000 an zwei Universitäten. Zu beiden unterhält die Bank enge Bande. Oft schnuppern Studenten bei der CS. Manche heuern nach dem Studium an.
Etliche Firmen hat der Bürgermeister nach Wrocław geholt, bald folgen Bank of America und Merrill Lynch. Die Stadt hilft, Personal und Büros zu finden, öffnet Tür und Tore. Das CS-Center nennt er «unsere schönste Erfolgsgeschichte». «Die Bank versprach 200 Jobs, jetzt sind es 1700, und es werden noch mehr.» Aus zehn osteuropäischen Städten wählte die CS einst Wrocław. «Unsere Vision gefiel ihr», sagt Dutkiewicz. Er strebe eine Wissensgesellschaft an, «in der das Hirn mehr leistet als die Hand».Die CS helfe ihm dabei. «Ihre Löhne stärken zudem die Mittelklasse.»
Dazu gehört Katarzyna Nowinska. Sie skizziert im dritten Stock des Grunwaldzki-Centers ein Projekt an die Wandtafel. Die 32-Jährige leitet ein Team von 50 Designern. Benötigt ein CS-Manager in Zürich eine PowerPoint-Präsentation, springt sie ein. Zuvor lebte die gelernte Landschaftsgärtnerin in den USA – und entdeckte Polen. «Ich war sehr beeindruckt von der Energie in meiner Heimat.»
Viel trage ihre Generation bei. «Wir haben den Kommunismus noch erlebt und schätzen, wie viel besser es heute ist», sagt sie. «Jene, die zehn Jahre älter sind als ich, haben Mühe, den kommunistischen Gang noch abzulegen.»
Von London nach Wrocław zog Paul Norris (42), mit Frau und zwei Kindern. Er leitet die IT-Abteilung. In 13 Monaten stellte er 400 Personen an. «In London oder Zürich hätte ich sie nicht gefunden.» Seine Leute seien überdurchschnittlich intelligent, meist um die 27 Jahre alt. «Ihre Arbeit ist so hochwertig wie überall in Westeuropa.» Noch bis Ende 2014 läuft sein Vertrag, dann soll ein Pole übernehmen. «Vielleicht bleibe ich», sagt Norris. «Hier lebt man günstig – und sehr angenehm.»
Anwältin Malgorzata Michalska (31) stellt in Wrocław sicher, dass die CS Gesetze einhält – weltweit. Für Kundenberater erarbeitet ihr Team Verhaltensregeln. Zieht die Bank eine Abteilung ab und siedelt sie woanders an, prüfen polnische Anwälte die rechtlichen Folgen.
Eine ideale Anwältin für die CS? «Intelligent, smart, spricht gut Englisch und ist besessen davon, sich ständig zu verbessern», sagt sie. «Teamfähig muss sie sein.»
Michalska spricht Französisch, Englisch, Polnisch und lernt Deutsch. Sie wechselte von einer polnischen Anwaltskanzlei zur CS – um diese Sprachen einzusetzen.
Wrocław wächst, andere CS-Standorte schrumpfen. Dennoch komme bei der CS kein Neid auf. «Niemand freut sich, wenn woanders Stellen ab- und hier aufgebaut werden», sagt Michalska. «Es könnte ja allen so ergehen.»
Was, wenn die CS einen besseren Ort findet? Eine Stadt in Afrika das nächste Silicon Valley sein soll? «Unsere Mietverträge sind langfristig», sagt Bänziger. «Wrocław lässt sich nicht einfach verlegen.» Zuversichtlich gibt sich der Bürgermeister. «Die CS hat versprochen, lange zu bleiben.» Er weiss aber: «Sicher ist nichts.»
das Märchen aus Wroclaw… war aber doch ein dynamisches und positives Klima zu merken.
60% sonnig 😉
Gruss aus Mailand