“Ein Symbol für alles Negative zu werden, ist schwer”

Daniel Vasella sagt, warum er in die USA gezogen ist, was er dort vorhat – und wie ihn die Empörung über die 72 Millionen Franken überrumpelte.

Interview: Peter Hossli Fotos: Stefan Falke

Herr Vasella, Sie sind in New York. Warum haben Sie die Schweiz verlassen?
Daniel Vasella: Mit dem Ende meiner Funktion als Verwaltungsratspräsident bei Novartis beginnt für mich ein neues Kapitel. Da haben meine Frau und ich auch über einen Umzug nachgedacht.

Ihr Abgang lässt vermuten, Sie hätten Ihrer Heimat den Rücken gekehrt.
Das ist nicht mein Verständnis. Ich drehe der Schweiz nicht den Rücken zu, ich nehme einen Tapetenwechsel vor.

Ihr Abgang wirkt überhastet. Wann haben Sie den Entscheid getroffen, die Schweiz zu verlassen?
Nach dem Entscheid, nicht mehr für den Verwaltungsrat zu kandidieren.

Welche Rolle spielte die anhaltend harsche Kritik an Ihren Bezügen?
Die Welle der Kritik werde ich nicht vermissen, sie war jedoch nicht ausschlaggebend.

Warum lassen Sie sich ausgerechnet in den USA nieder?
Wir haben früher in den USA gewohnt und waren dabei sehr glücklich. Die Menschen sind gegenüber Neuankömmlingen offen und hilfreich. Zudem bin ich hier als Verwaltungsrat beruflich tätig.

Sie sitzen in den Verwaltungsräten von PepsiCo und American Express. Wie lange noch?
Man wird jährlich wiedergewählt, und es besteht eine Altersgrenze. Beides sind erstklassige Firmen mit ausgezeichneter Führung und interessanten strategischen Aufgaben. Da versuche ich, einen Beitrag zu leisten.

Was fasziniert Sie an den USA?
Das Land ist zukunftsorientiert, von den Menschen her und landschaftlich vielfältig. Die USA bieten viele berufliche Möglichkeiten – und mir selber Anonymität.

Viele sagen, Sie seien mehr Amerikaner als Europäer.
Ja, das ist mir bewusst. Ich habe meine Sympathie für die Vereinigten Staaten ja nie verborgen. Heimisch fühle ich mich aber an vielen Orten.

Sie sind Bündner. Haben Sie jetzt vor, US-Bürger zu werden?
Nein.

Die USA sind gross. Wo werden Sie leben?
Sie werden sicher verstehen, dass ich dies nach den wiederholten Attacken durch sogenannte Tierschützer nicht bekanntgeben werde.

Sie leben noch nicht lange hier. Wie sieht Ihr neues Leben aus?
Das weiss ich noch nicht, da vieles im Fluss ist. Es wird sich ergeben.

Können Sie konkreter sein? Was werden Sie hier tun?
Zu meinen Fixpunkten gehört die Verwaltungsratstätigkeit. Dazu kommt das Coaching, und ich würde gerne etwas reisen.

Noch im Januar sagten Sie, Sie möchten unternehmerisch tätig werden. Gibt es konkrete Pläne?
Die Führung einer Firma bereitet mir viel Spass, und ich könnte mir das wieder sehr gut vorstellen. Dabei spielt die Grösse eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist die Primäraufgabe der Firma. Sie muss sinnhaft sein.

Wer begleitet Sie in die USA?
Meine Frau. Wir gehören zusammen.

Wie lange bleiben Sie?
Das wissen die Götter.

Unter welchen Umständen kehren Sie in die Schweiz zurück?
Es gibt dafür keine bestimmten Bedingungen. Wir werden die Schweiz immer gern haben.

Dennoch muss sich Ihr Verhältnis zur Schweiz in den letzten Wochen verändert haben. Wie?
Zusammen mit meinen Kollegen und Kolleginnen durften wir mit Novartis eine weltweit führende Firma mit Sitz in der Schweiz aufbauen. Die Firma ist in guten Händen, die Produkte­pipeline ist reichlich gefüllt, und die Firmenfinanzen sind solide. Zudem wurde – dank uns – mit Syngenta eine weitere weltweit führende Firma in Basel etabliert. Auf diesen Beitrag für die Schweiz sind wir stolz.

Ich spreche auf die harsche Kritik der letzten Wochen an.
Ja, es stimmt mich traurig, dass dies scheinbar alles in Vergessenheit geraten ist – aufgrund einer nie vollzogenen Zahlung, auf die ich zudem verzichtete.

Wie wichtig ist Ihnen denn Ihr Image in der Schweiz?
Ein Symbol für alles Negative zu werden, ist schwer. Getroffen hat mich, dass gewisse Leute nun die Gunst der Stunde auszunutzen versuchen – wie beispielsweise eine ehemalige Hausangestellte. Sie versucht jetzt – erstmals nach 17 Jahren – mittels massiver Vorwürfe mich zu nötigen, dass ich ihr Schweigegeld zahle. Dabei geht es um Dinge, die ganz einfach nicht stimmen.

Was werden Sie dagegen tun?
Zeit bringt Rat, und es wird auch in der Schweiz neue interessantere Themen [für die Medien] geben.

Welche Reaktionen haben Sie in den letzten Wochen auf Ihren Abgang erhalten?
Ich war sehr bewegt und dankbar über das Wohlwollen und die Grosszügigkeit meiner Kollegen und Mitarbeitenden. Dies hat mir sehr geholfen. Ich erhielt von ausserhalb der Firma von vielen mir Unbekannten sehr freundliche und aufmunternde Schreiben, dazu Blumen und Bücher. Ich war freudig überrascht. Dann gab es natürlich auch ein paar erboste und anonyme Briefe und eine Flut von Anfragen für finanzielle Unterstützung.

Wie reagieren Ihre Freunde auf Ihre Auswanderung?
Mit Verständnis. Sie wissen, dass wir gerne Besuch haben.

Was passiert mit Ihrem Haus in Risch im Kanton Zug?
Unsere Kinder bleiben da wohnen, und wir behalten ein Wohnrecht.

In Risch heisst es, ohne Vasella sei das geplante Novartis-Ausbildungszentrum gefährdet. Wie beurteilen Sie die Gefahr?
Das glaube ich nicht. Es handelt sich um ein erstklassiges Projekt, das für die Entwicklung von Mitarbeitenden wichtig ist, zudem den Landschaftsschutz berücksichtigt und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.

Wie wichtig ist Ihnen das Ausbildungszentrum?
Es ist für Novartis wichtig. Persönlich bin ich von dessen Wert überzeugt, aber das spielt nun keine Rolle mehr.

Wie kamen Sie darauf, dass Sie sich nach 25-jähriger Firmentreue ein Konkurrenzverbot mit 72 Millionen Franken bezahlen lassen wollten?
Anfang 2008 hätte ich gemäss Vertrag die Firma verlassen müssen, ohne Konkurrenzverbot und mit drei vollen Jahreslöhnen – der damals viel höher war als heute. Zudem war ich noch fünf Jahre jünger und erfolgreich. Der Verwaltungsrat überzeugte mich zu bleiben und wollte in der Folge verhindern, dass sich eine solche Situation je wieder ergeben würde. So entstand dieser Vertrag.

Wie gross war die Zustimmung im Verwaltungsrat?
Es wurde sicher heftig debattiert, doch letztlich handelte es sich um einen einstimmigen Entscheid.

Wer wollte sechs Jahre? Sie oder der Verwaltungsrat?
Es war ein Kompromiss. Ein sechsjähriges Konkurrenzverbot war für mich praktisch ein Berufsverbot. Das Argument waren die sehr langen Zyklen in der Pharmaindustrie.

Dennoch: Wie konnten Sie eine solch hohe Zahlung ohne Gegenleistung rechtfertigen?
Auch bei einer Versicherung zahlt man Prämien, um etwas zu verhindern. Die Gegenleistung ist nur dann sichtbar, wenn etwas geschieht, das man eigentlich nicht möchte.

Sie brauchten das Geld nicht. Wozu hätten Sie es verwendet?
Ungefähr 30 Prozent wären für die AHV und die Steuern abgezogen worden. Der Rest war für wohltätige Organisationen und gemeinnützige Institutionen vorgesehen. Wie in der Vergangenheit wären die Berghilfe, die Herzstiftung, Unterstützung von Kindern in Entwicklungsländern und wissenschaftliche Institutionen zum Zug gekommen. Ich glaubte, ein Jahr Zeit zu haben, um dies genau zu planen. Es kam aber anders. Nun bleibt das Geld bei Novartis, und ich bin zuversichtlich, dass es gut eingesetzt wird.

Die Empörung über die 72 Millionen war immens. Können Sie sich das erklären?
Es gibt viele Gründe. Die Höhe der Summe. Die Vorstellung, jemand erhalte Geld, um nichts zu tun. Die politische Kampagne rund um die Minder-Initiative. Das Vorrechnen, was ich den 25 Jahren schon alles verdient hätte. Wahrscheinlich noch vieles mehr.

Verstehen Sie die Empörung?
Ja, ich kann sie verstehen. Etwas zu verstehen, heisst aber nicht unbedingt, einen Standpunkt zu teilen. Es geht um Normen und Vergleichswerte. Diese klaffen heute vielerorts auseinander, eine Wiederannäherung und ein Dialog wären bestimmt konstruktiv.

Wie haben Sie selbst auf die harschen Reaktionen reagiert?
Ich bin erschrocken, da ich immer davon ausging, dass die Vergabung dieses Geldes etwas Positives sei.

Warum machten Sie das Mäzenatentum erst öffentlich, als die Höhe der Zahlung durch eine Indiskretion bekannt gegeben wurde?
Man sollte normalerweise erst über Dinge sprechen, die man getan hat. Und sogar dann ist es in der Schweizer Kultur fraglich, ob dies nicht als Prahlerei aufgefasst wird.

Sie sagen, Sie hätten bisher einen zweistelligen Millionenbetrag gespendet. An wen?
Wir haben ein Spital und eine Schule in Mali finanziert und sorgen für deren Unterhalt. Und dann gibt es eine Vielzahl kleinerer Projekte. Eines ist in Tansania geplant und ein weiteres in Madagaskar.

Wie wichtig ist Ihnen die wohltätige Arbeit?
Ich habe viel bekommen und finde es gut und recht, nun zu geben. Dies gehört mit in diesen Lebensabschnitt. Aber ich möchte es auf nachhaltige Art und Weise tun, was nicht ganz einfach ist.

Warum knickten Sie ein, als der Aufschrei gross wurde – und verzichteten letztlich auf die Konkurrenzklausel und die 72 Millionen?
Ich hatte wirtschaftlich sowieso keinen Vorteil und musste lediglich auf die Verteilung des Geldes verzichten. Als einige Aktionäre ihren Unwillen zeigten, war der Entscheid zugunsten der Firma einfach.

Ihr Gesinnungswandel lässt erahnen, die Klausel sei nicht wirklich gut durchdacht gewesen.
Das kann man so sehen.

Inwiefern hat Sie plötzlich das schlechte Gewissen erfasst?
Ich fand es nicht richtig, dass der Verwaltungsrat und indirekt die Firma in ein negatives Licht gestellt wurden. Das wollte ich auf keinen Fall.

Bekannt wurden die Zahlungen durch eine Indiskretion. Wen vermuten Sie dahinter?
Ich weiss es nicht.

68 Prozent nahmen die Minder-Initiative an. Überrascht?
Ich hatte dieses Resultat erwartet.

Warum die hohe Zustimmung?
Die Initiative hat einen Nerv getroffen, der in weiten Teilen Europas offenliegt. Herr Minder ist ein sehr erfolgreicher Politiker geworden. Das muss man ihm neidlos zugestehen.

Politikexperten sagen, die Ihnen zugesicherten 72 Millionen hätten der Initiative zum Durchbruch verholfen. Einverstanden?
Von den Umfragen, welche die EconomieSuisse regelmässig durchführte, war bekannt, dass die Minder-Intiative eine massive Mehrheit hinter sich hatte. Das Endresultat hat sich diesen Zahlen gegenüber nur marginal verändert.

Wie beurteilen Sie das aktuelle wirtschaftliche Umfeld in der Schweiz?
Es wird sich verschlechtern. Entscheidend sind die Rahmenbedingungen wie Steuerlast, Infrastruktur, politische Stabilität, Rechtssicherheit, liberales Arbeitsrecht und gut ausgebildete Leute. Die Rechtssicherheit bei Arbeitsverträgen für Kader wird nicht mehr gegeben sein. Wie sich dies auswirkt, wird sich mittelfristig zeigen.

Economiesuisse-Präsident Rudolf Wehrli sagt, Schweizer Konzerne würden das Land verlassen. Besteht diese Gefahr?
Es wäre gefährlich, diese Gefahr zu unterschätzen. Die Schweiz muss versuchen, das zu verhindern. Zumal auch der Finanzplatz nicht mehr die hohen Steuer­einkommen der Vergangenheit abwirft.

Welche Firmen gehen am ehesten?
Wenn Aktionariat, Verwaltungsrat und Management nicht in der Schweiz verwurzelt sind, ist dies ein Faktor, dann kommt es auf die Aktivitäten der Firma und die ihr verbleibenden Standortvorteile an.

Wie sicher ist es, dass Novartis den Hauptsitz in der Schweiz belässt?
Das weiss ich nicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie hierbleiben wird, es sei denn, man verunmöglicht dies durch immer höhere und komplexere Auflagen.

Was müsste in der Schweiz passieren, damit die Fronten zwischen Wirtschaft und Gesellschaft wieder weicher werden?
Es müsste in der Bevölkerung ein grösseres Verständnis entstehen, dass etwa die Pharmafirmen ihr Geld im Ausland verdienen und zu einem grossen Teil in der Schweiz investieren und hier Arbeitsplätze schaffen. Die Schweizer sollten den Stolz auf ihre Weltkonzerne vermehrt zeigen.

Viele Wirtschaftsleute haben sich von der Politik verabschiedet. Warum?
Politik verlangt einem sehr viel ab. Das gleiche gilt für die Firmenkader. Das macht die Kombination zunehmend schwierig.

Was werden Sie künftig noch für Novartis tun?
Meinen Nachfolger so gut als möglich unterstützen und das Coaching von Führungskräften weiterführen.

Sie sind Katholik. Wie wichtig ist für Sie die Wahl des neuen Papstes?
Für die katholische Kirche ist die Wahl des Papstes von zentraler Bedeutung.

Philipp Hildebrand ist in London, Sie sind in New York. Warum verliert die Schweiz international vernetzte Wirtschaftsleute?
Für international vernetzte Wirtschaftsleute ist es leicht, anderswo zu arbeiten.

Zum Schluss, wie geht es Ihnen?
Den Umständen entsprechend – und jeden Tag besser.