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Nur wenn es um Trump ging, schwächelte Kamala Harris

Peter Hossli (Text) und Nathalie Taiana

Es lag etwas in der Luft, gestern in Chicago. Schon um 15 Uhr füllten sich die Plätze im United Center. Um 16.20 Uhr waren die oberen Ränge voll besetzt. Obwohl es noch fünf Stunden dauern sollte, bis Kamala Harris (59) die Nominierung ihrer Partei zur Präsidentschaftskandidatin annahm.

Um 22.13 Uhr öffneten sich die Netze an der Decke und tausende rot-blau-weisse Luftballons fielen herab, begleitet von Unmengen an Konfetti. Auf der Bühne tanzten Kamala Harris (59) und ihr Mann Doug Emhoff (60) zu «Freedom» von Beyoncé. Ein optisches und akustisches Fest der Freude.

Eine halbe Stunde zuvor hatte Vizepräsidentin Harris im dunklen Hosenanzug – ebenfalls zu «Freedom» – die Bühne betreten, ihr ansteckendes Lachen gezeigt und noch mehr Energie in den bereits aufgeheizten Saal gebracht.

Rhetorisch brillant

Ihre Rede war kurzweilig und streckenweise brillant vorgetragen. Im Mittelteil liess sie etwas nach, bot Gemeinplätze statt Substanz und verteufelte Trump statt über die Zukunft der USA zu sprechen.

Aufrichtig dankte sie Präsident Joe Biden (81), der für sie Platz gemacht hatte. Liebevoll erinnerte sie an ihre Mutter, die aus Indien in die USA kam und dort ihren Vater kennenlernte, der aus Jamaika stammte. Der Jazz von John Coltrane und Miles Davis und der Soul von Aretha Franklin hätten sie geprägt.

Berührend, wie sie von ihrer Jugend erzählte, wie ihre Mutter sie und ihre Schwester Maya nach der Scheidung alleine grosszog und die ganze Nachbarschaft dabei half.

Das wirkte aufrichtig, ehrlich und glaubwürdig – ebenso wie sie über ihre Zeit als harte Staatsanwältin sprach. «Mein ganzes Leben lang hatte ich nur einen Mandanten: das Volk», sagte sie. Das wirkte – bis sie hinzufügte: «Donald Trump hatte immer nur einen Mandanten: sich selbst.»

Kaum war der Name Trump gefallen, verlor die Rede an Kraft. Statt rhetorisch zu überzeugen, griff sie Trump an. Sie warnte vor einer zweiten Amtszeit, vor Steuersenkungen, dem Ende der Demokratie und einer weiteren Einschränkung der reproduktiven Rechte von Frauen.

Das begeisterte den Saal. Aber angesichts der ständigen Angriffe auf Trump in den letzten vier Tagen wirkte das abgestanden und schwächte den Auftritt. Harris schürte Ängste, statt Optimismus zu verbreiten.

Wenig Konkretes

Inhaltlich blieb sie gewohnt vage, ihr Wirtschaftsprogramm war nicht greifbar. Sie will das gescheiterte Gesetz von Biden zum Grenzschutz wiederbeleben. Ausserdem plant sie, Abtreibungen landesweit zu erlauben und gesetzlich zu regeln – etwas, das in den USA seit über 50 Jahren nicht gelungen ist.

«Als Präsidentin werde ich hinter der Ukraine stehen», sagte sie zur Aussenpolitik, um dann eine Pirouette um den Nahostkonflikt zu drehen.

Sie und Biden seien dabei, einen Geiselaustausch und einen Waffenstillstand zu erreichen. Sie betonte, immer hinter Israel zu stehen – und erntete dafür Pfiffe aus dem Publikum. Nie wieder dürfe es einen Terroranschlag auf Israel wie am 7. Oktober geben. Zugleich verurteilte sie das Leid in Gaza. «Free Palestine»-Rufe waren im Saal zu hören. Das Thema dürfte sie im Wahlkampf weiter beschäftigen.

Zum Schluss fand sie zu ihrer anfänglichen Brillanz zurück, wirkte erhaben und sagte Sätze, die im Gedächtnis bleiben: «Ich liebe mein Land von ganzem Herzen. Ich sehe eine Nation, die bereit ist, auf der unglaublichen Reise, die Amerika ist, voranzuschreiten.»

Was ist dafür nötig? «Wir müssen uns dieses Moments würdig erweisen. Jetzt ist die Zeit, das zu tun, was Generationen vor uns getan haben – geleitet von Optimismus und Glauben, um für das Land zu kämpfen, das wir lieben.»

Denn «das grösste Privileg auf Erden ist das Privileg und der Stolz, Amerikaner zu sein».
Sie schloss mit dem Aufruf, alles zu tun, um die Wahl zu gewinnen. Ihr Mann kam auf die Bühne und umarmte sie. Luftballons fielen von der Decke.

Der Abend gehörte Kamala Harris

Es war ihr Abend, endlich ging es um sie. Eine Nichte sprach liebevoll und humorvoll über sie, ebenso ihr Patenkind und ihre Stieftochter. Ihre jüngere Schwester Maya Harris (57) pries deren stolze Mutter. Über ihre Schwester sagte sie: «Wo andere Dunkelheit sehen, sieht Kamala Hoffnung.»

Die Schauspielerin Kerry Washington (47) übte auf der Bühne mit zwei Grossnichten von Kamala Harris, wie man den Namen «Kamala» richtig ausspricht. Und Serienstar Eva Longoria stellte sie als «erste Präsidentin der USA» vor.

In den Tagen zuvor schienen die alten Krokodile der Partei der Hoffnungsträgerin vorschreiben zu wollen, wie sie zu sein habe: die Bidens, die Obamas, die Clintons. Mit einem väterlich-paternalistischen «Yes, she can!» verzwergte Barack Obama (63) sie zum weiblichen Klon seiner selbst.

Die über 100 Rednerinnen und Redner sprachen vor allem über einen Republikaner, der gar nicht in Chicago war: Donald Trump (78) wurde zur Zielscheibe. Gefühlt nonstop feuerten die Demokraten ihre Spitzen ab: verbale Giftpfeile, sprachliche Gülle und aggressive Worthülsen.

Viel Applaus für Hass gegen Trump

Am meisten Applaus ernteten Redner, die Trumps Namen besonders oft und in besonders negativem Zusammenhang nannten. Ausgerechnet die sonst so moralisierenden Demokraten attackierten ihren Gegner mit Häme, statt die eigene Kandidatin zu bejubeln. Sie sprachen sich gegen den Hass von Trump aus und verbreiteten gleichzeitig Hass gegen ihn.

Um Inhalte ging es nur am Rand. Die Demokraten werden versuchen, die Wahl zu einem reinen Wettbewerb zwischen zwei Persönlichkeiten zu machen, nicht zwischen unterschiedlichen Ideen.

Die Gefahr dieser Strategie: Die Wählerinnen und Wähler könnten sich angesichts des Trump-Bashings fragen: Hat die Partei nicht mehr zur eigenen Kandidatin zu sagen?

1776 – Der USA-Podcast

Die beiden Journalisten Nicoletta Cimmino & Peter Hossli mögen die USA. Umso aufmerksamer beobachten sie Land, Kultur und Gesellschaft. Mit ihrem Podcast «1776» gehen sie über die tagesaktuelle Diskussion hinaus. Sie zoomen heran, beleuchten Unbekanntes, erzählen Geschichten, die das grosse Ganze erklären und laden interessante Gäste ein, um über Amerika zu sprechen.

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20 Geschichten zu 9/11

Vor zwanzig Jahren ermordeten 19 Terroristen in den USA 2977 Menschen. Wie hat sich die Welt nachher entwickelt? Das sind 20 Geschichten, die auf ein Ereignis folgten, das unsere Generation wie nichts geprägt hat.

Die Firma im Turm. Am 11. September 2001 krachte ein entführtes Flugzeug genau in die Büros der Firma Marsh McLennan. Alle, die da waren, starben. Wie erholt sich ein Unternehmen davon? Wie erging es den Angehörigen der Opfer? Zum Text

Bombe um Bombe. Saddam Hussein ist ihr Feind. Sie wollen, dass endlich Bomben auf den Irak fallen. Dafür leisten die Arbeiter von Amerikas grösster Munitionsfabrik Sonderschichten. Ein Exklusiv-Bericht aus McAlester, Oklahoma. Zum Text

Der Kriegsfotograf James Nachtwey dokumentiert Tod, Hunger und Krankheiten. Ein Gespräch über Wut, Mitgefühl und die wahren Helden in einem Krieg. Zum Text

Amerikas vergessene Krieger. Täglich werden im Irak US-Soldaten verletzt. Tausende bleiben für immer behindert. Die Regierung will Sieger feiern. Ihre Krüppel versteckt sie. Zum Text

Die Terroristen von 9/11 lernten bei ihm das Fliegen: Rudi Dekkers, einst Millionär, heute mausarm. Ein Treffen in Florida mit dem Fluglehrer von Mohammed Atta. Zum Text

Wie stoppen wir den Terror? Ex-FBI-Agent Ali Soufan ermittelte jahrelang gegen Al Qaida. Im Interview erklärt er, was Europa nach Paris tun muss. Zum Text

Die Schule des Kriegs. Sie kommen als Teenager und gehen als Leutnants, bereit für den Krieg. West Point, die Kaderschmiede der US-Armee, ist gefragter denn je. Zum Text

Business must go on. Die meisten Untergangsprognosen in den Wochen nach den Anschlägen vom 9. September 2001 erwiesen sich als falsch. Der wirtschaftliche Niederschlag war weitaus geringer als erwartet. Zum Text

Die Terrorbande Islamischer Staat (IS) mordet, plündert und vergewaltigt. In Kurdistan finden über eine Million Menschen vor ihr Schutz. Ein Augenschein. Zum Text

Zalmay Khalilzad ist afghanischer Paschtune und stolzer Amerikaner, und er gilt als Schlüsselfigur der US-Aussenpolitik. Zum Text

Der Schritt nach Europa. An der serbisch-ungarischen Grenze interessiert vor allem eine Frage – nehmen die Ungarn Fingerabdrücke? Zum Text

Mit 16 Jahren ist Jessica Habegger eine durchtrainierte Schwimmerin, der Sport bestimmt ihren Alltag. Doch plötzlich macht ihr Herz nicht mehr mit, ihr Leben steht auf Messers Schneide. Am 11. September 2001 – dem Tag, der die Welt erschütterte – erhält Jessica Habegger ein neues Herz. Eine zweite Chance. Zum Text

Der Architekt David Childs ersetzt Daniel Libeskind als federführender Bauherr am Ground Zero. Der Wechsel zeigt: In New York befiehlt, wer zahlt. Zum Text

Wer entscheidet, was am Ground Zero gebaut wird? Das weiss eigentlich niemand. Zum Text

Das Megafon der Muslime. Täglich berichtet al-Dschasira live aus den USA. Ein Besuche beim Ableger des umstrittenen arabischen TV-Senders im Feindesland. Zum Text

Retter des brennenden Schatzes. Sobald die Kampfgebiete gesichert sind, schlägt ihre Stunde. Hoch bezahlte Spezialisten trainieren in den USA seit Monaten das Löschen von Ölquellen. Zum Text

Wie kam es zur jetzigen Flüchtlingskrise? Am Anfang stand die Affäre von Bill Clinton mit einer Praktikantin. Zum Text

Trauma auf Zelluloid. New York rappelt sich auf und bringt seine zerstörte Skyline selbstbewusst in die Kinos. Zum Text

Europas Schande in Belgrad. Mitten in der serbischen Hauptstadt hausen Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Umständen. Und warten auf ihre Weiterreise. Zum Text

Das Kabul-Kartell. Die Taliban bauen den Drogenstaat Afghanistan weiter aus. Den Heroinhandel kontrollieren sie schon. Jetzt wollen sie den Markt mit Crystal Meth erobern. Zum Text

Fotos: Stefan Falke, James McEntee, Pascal Mora, Robert Huber

Club: Öffnen – aber wie?

Am Mittwoch entscheidet der Bundesrat über erste Öffnungsschritte nach einem fast zweimonatigen Shutdown. Wer profitiert? Wer bangt? Wer leidet? Und wie hat sich der Bundesrat in den letzten Monaten geschlagen? Zur Sendung

Mit Peter Hossli diskutieren:
Rudi Bindella Jr., Gastro-Unternehmer
Esther Friedli, Nationalrätin SVP/SG und Gastronomin
Nicole Jörg Ratter, Jugendarbeiterin und Geschäftsleiterin Trägerverein offene Jugendarbeit Bern «toj»
Thomas Steffen, Kantonsarzt BS
Adrian Vatter, Professor für Politikwissenschaft, Universität Bern

Club: Long Covid – das Virus, das bleibt

Viele Covid-19-Patienten haben noch Monate nach der Krankheit Symptome. Auch für Wirtschaft und Gesellschaft hat Corona Folgen. Werden Betroffene ernst genommen? Was bedeuten die vielen Folgeerkrankungen für das Sozialwesen? Und wie richten wir uns ein auf ein Virus, das nicht verschwindet?

Mit Peter Hossli diskutieren:
– Marc Halter, Primarlehrer und Long-Covid-Betroffener;
– Thomas Sigrist, Leiter Departement Innere Medizin, Chefarzt Pneumologie, Barmelweid;
– Thomas Schinecker, Geschäftsführer Roche Diagnostics;
– Nicole Probst-Hensch, Leiterin Departement Epidemiologie und Public Health, Universität Basel; und
– Rudolf Minsch, Chefökonom Economiesuisse.

Club: Die USA nach der Revolte

Ein Mob, angestachelt vom US-Präsidenten, stürmte das Parlamentsgebäude. Die Anhänger von Donald Trump versuchten zu verhindern, dass die demokratische Wahl von Joe Biden als neuer Präsident bestätigt wird. Wie konnte es so weit kommen? Welche Folgen hat die Revolte für die USA? Und für die Welt?

Mit Peter Hossli diskutieren:

– Claudia Franziska Brühwiler, Privatdozentin HSG Amerikanische politische Kultur;
– Elisabeth Bronfen, Professorin für Amerikanistik, Universität Zürich;
– Markus Somm, Journalist und Historiker; und
– Jürg Acklin, Psychoanalytiker und Schriftsteller.

Ausserdem zugeschaltet aus Washington:
– Isabelle Jacobi, Korrespondentin Radio SRF.

Club: Der Krieg ist aus!

Vor 75 Jahren im Mai läuteten im ganzen Land die Glocken. Nazi-Deutschland hatte kapituliert – nach sechs harten Kriegsjahren und 60 Millionen Toten war endlich Frieden. Die Schweiz kam ungeschoren, aber nicht unberührt davon.

Wie blicken Zeitzeugen auf diese Zeit zurück? Und wie haben Krieg und dessen Ende die Schweiz verändert?

Mit Peter Hossli diskutieren:
Rolf Lyssy, Filmemacher
Martin Huber, ehemaliger CEO bei Georg Fischer
Rosmarie Michel, Unternehmerin
Dorine Abegg, Autorin
Gregor Spuhler, Historiker

Ausserdem zugeschaltet: Petra Volpe, Drehbuchautorin von «Frieden»

Club: Sieger Biden! Verliererin Demokratie?

Amerika hat gewählt – ein neues Team wird ins Weisse Haus einziehen. Doch können Joe Biden und Kamala Harris das gespaltene Land wirklich vereinen? Hat der abtretende Donald Trump die amerikanische Demokratie beschädigt? Und lässt sich der Trumpismus überhaupt stoppen?

Mit Moderator Peter Hossli diskutieren:

Claudia Franziska Brühwiler, Privatdozentin HSG für Amerikanische politische Kultur;
Markus Somm, Journalist und Historiker
Christa Markwalder, Nationalrätin FDP/BE
Michael Hermann, Politikgeograf, Leiter Forschungsstelle Sotomo
Alfred Mettler, Wirtschaftsprofessor University of Miami.

US-Wahlen: Die Analyse

Amerika hat gewählt. Aber steht bereits fest, wer künftig im Weissen Haus regieren wird? Wie kam das Wahlresultat zustande – und was bedeutet es für die USA und das künftige Verhältnis zur Schweiz? Die Analyse nach dem Wahltag.

Mit Moderator Peter Hossli diskutieren:

Claudia Franziska Brühwiler, Privatdozentin HSG amerikanische politische Kultur
Martin Dahinden, Schweizer Botschafter USA, 2014 – 2019.