Interview: Peter Hossli Fotos: Daniel Rihs
Grüezi Herr Botschafter, wie gut ist Ihr Schweizerdeutsch?
Otto Lampe: Schweizerdeutsch ist bei mir leider nicht vorhanden.
Und Französisch und Italienisch?
Mein Italienisch ist verschwunden. Französisch werde ich im Privatunterricht verbessern – um bei Auftritten in der Westschweiz keinen schlechten Eindruck zu machen.
Ihr Vorgänger Peter Gottwald ist mit einer Schweizerin verheiratet. Und Ihr Bezug zur Schweiz?
Eine Schweizer Ehefrau kann ich nicht bieten. Für Peter Gottwald war das sicher ein Vorteil, da er mit einem halben Bein in der Gesellschaft des Gastlands verwurzelt ist. Meine Frau ist Portugiesin. In meiner Zeit in Lissabon hatte ich
einen ähnlichen Standortvorteil.
Ihnen fehlt der Bezug zur Schweiz?
Die Schweiz war für mich stets ein Sehnsuchtsort gewesen, ein landschaftliches Paradies, ein Ort des Urlaubs. Sicher 15-mal war ich hier Ski fahren, oft in Disentis. Aber erst jetzt lerne ich den Alltag kennen.
Das tun Sie seit einer Woche. Ihr Eindruck von Bern?
Die Schönheit der Stadt überwältigt mich, ebenso die Infrastruktur und meine Mitarbeiter. Besser als in Bern kann es einen deutschen Botschafter wohl nicht erwischen.
Botschafter bringen oft ein Stück Heimat ins Gastland. Und Sie?
Ich bin 80 Kilogramm Deutschland. Die habe ich mitgebracht – mit all dem, für was ich stehe.
Wie sicher ist denn Ihr Job?
Es gibt weltweit keine sicherere Stelle als das deutsche Beamtentum. Es ist das letzte Refugium. Man ist unkündbar – es sei denn, ich mache irgendwelche unflätigen Bemerkungen, die dann als Schlagzeile im SonntagsBlick erscheinen.
Was, wenn nach den deutschen Wahlen am 22. September Rot-Grün regiert? Ein neuer Kanzler könnte Sie abberufen.
Das könnte sie oder er, passiert aber selten. Generell ist der Aussendienst unpolitisch. Nur wenige Mitarbeiter im auswärtigen Amt haben politische Affinitäten. Bei uns zählen nicht Wahlkampfspenden, sondern die Qualifikationen.
Als Beamter stehen Ihnen politische Meinungsäusserungen nicht zu. Wie wichtig ist es für Sie, wer Kanzlerin oder Kanzler ist?
Für mich ist das ziemlich egal. Der deutsche Regierungschef wird in einer offenen, geheimen und demokratischen Wahl erkoren. Jede so gewählte Regierung kann ich ohne Vorbehalte vertreten.
Der deutsche Wahlkampf scheint lau. Ist alles schon entschieden?
Für mich ist die Wahl entschieden – da ich meinen Wahlzettel bereits abgegeben habe. Es ist gut, wenn die Bestellung der Res publica ein unaufgeregter Vorgang ist. Es ist ein Zeichen für eine reife Demokratie. Die Parteien, die zur Wahl stehen, haben vieles gemeinsam. Mit wenigen Ausnahmen sind alle kompatibel, zusammen zu regieren.
Dann ist eine grosse Koalition wahrscheinlich?
Dazu äussere ich mich nicht. Die Schweiz ist diesbezüglich aber ein Vorbild. Sie hat eine institutionalisierte grosse Koalition. Da müssen einzelne kluge Köpfe nicht jahrelang in der Opposition schmoren.
Ist der Wahlkampf eher lau, weil es den Deutschen zu gut geht?
Mit Sicherheit. Hätten wir derzeit grössere Probleme, wäre der Blick in Richtung Politik wohl stärker.
Was bewegt die Deutschen im Herbst 2013?
Ein übergeordnetes Thema gibt es nicht. Die Sicherheit der Arbeitsplätze beschäftigt die Menschen, ihre Gesundheit, die Energiewende, Fragen der inneren Sicherheit, der Frieden. In Mecklenburg-Vorpommern steht die Arbeitslosigkeit im Vordergrund, während in Bayern digitale Freiheit wichtiger ist.
Wie lange sind die Deutschen noch bereit, hauptsächlich die Rettung des Euro zu finanzieren?
Europa ist für Deutschland nicht nur eine grosse Verantwortung, es ist auch ein grosser Standortvorteil, den wir durch die EU und den Euro gewonnen haben. Wir sind der grösste Beitragszahler der EU, bekommen aber auch viel zurück, finanziell, kulturell und politisch.
Deutschland ist wirtschaftlich mächtig, übernimmt aber wenig geopolitische Verantwortung.
Die deutsche Zurückhaltung gegenüber militärischen Einsätzen hat ihren Ursprung in der deutschen Geschichte. Sie ist weit verbreitet in unserer Bevölkerung.
Deshalb schaut Deutschland derzeit in Syrien weg?
Liegen tatsächlich belastende Beweise für Angriffe mit Chemiewaffen vor, wird Deutschland alles tun, um die Chinesen und Russen im Sicherheitsrat zu überzeugen, dass eine Antwort darauf dringend erforderlich ist. Bliebe die Antwort aus, wäre dies eine Carte blanche für Potentaten, Gleiches zu tun.
Für die Schweiz ist Berlin ein wichtiger Posten. Wie wichtig ist Bern denn für Deutschland?
Wer die Bedeutung der Schweiz unterschätzt, ist falsch informiert. Wir sind enge Handelspartner, teilen tiefe kulturelle Wurzeln. Seit Jahrhunderten leben wir mit der Schweiz in Frieden. Das war weder mit unseren französischen, niederländischen, polnischen, dänischen noch mit den tschechischen Nachbarn so.
Die Schweizer Diplomatie war wichtig während der Zeit des Kalten Kriegs. Und heute?
Dass der Kalte Krieg vorbei ist, darüber dürfen wir uns alle freuen. In zwei Bereichen ist die Schweiz der absolute Champion und weltweit unersetzlich: bei Menschenrechten und bei der humanitären Hilfe.
Was ist denn ein guter Diplomat?
Diplomatie hat sich verändert. Ein Botschafter kann heute Probleme konkret ansprechen und so freundschaftlich kooperative Lösungen finden. Wir müssen uns keine verbalen Maulkörbe mehr auferlegen.
Dann sagen Sie, was Sie wollen?
Es gibt schon Grenzen. Innenpolitische Vorgänge in der Schweiz kommentiere ich nicht, genauso wenig wie parteipolitische deutsche Themen.
Welche Ziele verfolgen Sie?
Zuerst lerne ich die Schweiz besser kennen. Ich will die Kontinuität wahren und gute Projekte weiterführen. Es ist mir ein besonderes Anliegen, mit öffentlichen Begegnungen und über die Medien die Beziehungen weiter zu verbessern.
Was nötig ist. Aus Sicht der Schweiz hat sich das Verhältnis zu Deutschland verschlechtert.
Das betonen die Medien. Ich fühle mich in der Schweiz willkommen.
Deutsche, die hier leben, beklagen sich laut über die antideutsche Haltung vieler Schweizer.
Über solche Ressentiments habe ich bisher nur gelesen. Betroffene haben mir das noch nicht geschildert. Es gibt manchmal Unstimmigkeiten zwischen Nachbarn. Berliner beschweren sich derzeit auch über die Schwaben, die angeblich den Prenzlauer Berg überrennen.
Ein Drittel der Schweizer teilt die Ansicht von SVP-Nationalrätin Natalie Rickli, wonach zu viele Deutsche in der Schweiz lebten.
Wir als Botschaft müssen uns stärker engagieren, solche Vorbehalte abzubauen. Gemessen an der Grösse des Sendelandes gibt es ja mehr Schweizer in Deutschland: 100000 von acht Millionen leben bei uns.
In der Schweiz wohnen 280000 Deutsche. Um den gleichen Anteil Schweizer in Deutschland zu haben, müssten 2,8 Millionen Schweizer dort sein.
Was wunderbar wäre. Schweizer sind in Deutschland sehr beliebt. Die 280000 Deutschen und viele andere Zuwanderer stärken die Schweizer Volkswirtschaft.
Deutsche Spitzenkräfte kommen hierher, weil es attraktiver ist. Gibt Ihnen das zu denken?
Überhaupt nicht. Die Mobilität in Europa sorgt für einen Ausgleich auf den Arbeitsmärkten. Es gibt ja auch Deutsche, die zurückgehen. Solange die wirtschaftlichen Stammdaten stimmen, sehe ich keine Probleme. Zudem haben wir den demografischen Knick. Mein Sohn ist 19. Ich sage ihm: «Du musst dich anstrengen – und wenn du dich nicht anstrengst, kriegst du trotzdem einen Job.» Da wir alle älter werden, brauchen wir die Jungen.
Deutschland hat zwei Staatsverträge – das Steuerabkommen und den Vertrag zum Flughafen Zürich – unterschrieben, jedoch nicht ratifiziert. Die Schweiz sieht sich vom grossen Nachbarn derzeit in die Ecke gedrängt.
Niemand in Deutschland will die Schweiz in die Ecke drängen. Für die Sicht der Schweiz habe ich aber Verständnis. Da Deutschland zwei unterschriebene Verträge nicht ratifiziert hat, haben die Deutschen jetzt eine Bringschuld.
Was unterscheidet die Deutschen von den Schweizern?
Ich rede lieber über Gemeinsames.
Bitte!
Als ich in Freiburg studierte, hatten wir das Gefühl, die Schweizer und wir gehörten zur selben grossen Familie. In jeder Familie gibt es Unterschiede. Zentral sind aber stets die Gemeinsamkeiten. Für ganz Europa ist die Schweiz ein Vorbild, lebt sie doch vor, wie verschiedene Kulturen auf kleinem Gebiet friedlich zusammenleben können.
Was kann Deutschland sonst noch von der Schweiz lernen?
Zwar dauert es in der Schweiz jeweils länger, bis Entscheide gefunden werden. Dafür sind sie oft verlässlicher und solider als Schnellschüsse, die kurz vor der Sommerpause durchs deutsche Parlament gejagt werden. Die Schweizer Staatsquote liegt bei rund 30 Prozent, in Deutschland ist sie fast doppelt so hoch. Eine Verschlankung wäre für uns wohl sinnvoll.
Das Steuerabkommen ist gescheitert. Noch liegen rund 100 Milliarden Euro deutsches Schwarzgeld bei Schweizer Banken. Wie wird es legal?
Es ist nicht realistisch, den bilateralen Ansatz weiterzuverfolgen. Einen neuen Vertrag dürfte es kaum geben. Diese Meinung teilt Finanzminister Wolfgang Schäuble. Im Vordergrund stehen jetzt multinationale Lösungen wie der automatische Informationsaustausch.
Peer Steinbrück sagte im TV-Duell, Deutschland soll weiter gestohlene Daten-CDs Schweizer Banken kaufen. Geschieht das?
Mir ist nicht bekannt, dass in Deutschland derzeit CDs mit Bankdaten aufgekauft werden. Es war ja nicht die Bundesregierung, die das getan hat. Diese Vorgänge geschahen in einzelnen Bundesländern.
Es befremdet, wenn ein befreundetes Land Diebesgut kauft.
Einige Mitglieder des deutschen Kabinetts bezeichnen den Aufkauf von Daten-CDs klar als Diebstahl. Deutschland will und soll kein Hehler gestohlener Ware sein.
Offenbar sind viele Deutsche nicht einverstanden mit ihrem Steuersystem. Sonst brächten sie ihr Geld nicht hierher.
Das trifft vermutlich für jene zu, die ihr Geld in der Schweiz versteckt haben. Wer aber in Deutschland lebt, die Vorzüge der öffentlichen Dienstleistungen nutzt, ist gehalten, dort Steuern zu zahlen. Ungeachtet dieser Frage kann man über die Höhe der Steuerlast reden.
Ihr Vorgänger Gottwald bleibt in Bern und geniesst hier seine Rente. Das erinnert an die zwei Päpste in Rom: der eine in Pension, der andere im Amt.
Ein schönes Bild. Peter Gottwald als Benedikt irgendwo oben auf dem Berg, und ich als Franziskus, der sich gelegentlich bei ihm Rat holt. Es gibt die Regelung nicht mehr, wonach ehemalige Botschafter nicht zu lange im Gastland bleiben sollen. Mit Peter Gottwald verstehe ich mich gut – und ich bin dankbar für seinen Rat.