Text: Peter Hossli Fotos: Maria Schiffer und Audi
Geräuschlos hebt ein Lift Motor und Fahrgestell hoch. Von oben legt sich die Karosserie darauf. Im Nu drehen Roboter 55 Schrauben in die beiden Teile. «Sie halten die Ehe zusammen», sagt ein Arbeiter.
Diese «Hochzeit», wie der Akt im Ingolstädter Audi-Werk heisst, dauert 88 Sekunden. Täglich gibt es 2500 solcher Vermählungen von Antrieb und Blechmantel. So viele nigelnagelneue Audis rollen in Ingolstadt pro Tag vom Band. Es läuft rund um die Uhr. In drei Schichten fertigen 36 000 Menschen in Bayern Autos.
Trotz hoher Löhne heuerte Audi noch mehr Leute an. «Am Stammsitz Ingolstadt schlägt das Herz der Audi AG», sagt Werkleiter Peter Kössler (54). «Hier werden unsere Automobile konzipiert und entwickelt.» Es gehöre zur Strategie, «in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen».
Der Erfolg gibt ihm recht. Über eine Million Autos hat der Konzern seit Januar verkauft. Ein sattes Absatz-Plus von zehn Prozent – ein Rekord trotz Krise.
Wie Audi boomt ganz Deutschland. Darben Firmen anderer EU-Staaten, florieren deutsche Konzerne. Sie erbringen 20 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung, exportierten 2012 Produkte im Wert von über 1000 Milliarden Euro.
Bei 5,3 Prozent liegt die deutsche Arbeitslosigkeit. Nur Österreich steht mit 4,8 Prozent in der EU noch besser da. In Frankreich stehen elf Prozent der Menschen auf der Strasse, in Italien zwölf, in Spanien gar 26 Prozent.
Gerade weil Deutschland so strotzt, gibt es fünf Tage vor der Wahl wenig Wechselstimmung im Volk. «Deutschland ist ein sattes, zufriedenes Land mit Bürgern, die einen einzigen Wunsch haben: Weiter so», sagt Polit-Berater Michael Spreng.
Bei Audi in Ingolstadt erledigen Maschinen einen Grossteil der Arbeit. 800 Roboter tanzen um halbfertige A3-Modelle. Sie drehen und pressen Metall, löten Nähte, lackieren Blech, bohren Löcher. Ihre Saugnäpfe greifen sich Fenster, beschmieren sie mit Leim und verbinden sie mit Karosserien.
Die meisten Schritte erledigt ein Roboter in 72 Sekunden. Maschinen leisten bereits 84 Prozent der Arbeit bei Audi, Tendenz steigend. Und doch wächst der Personalbestand. Ingenieure, Buchhalter und Programmierer planen hier Audis Expansion in die Welt.
Derweil versorgt Deutschland die Welt mit Waren. «Made in Germany» war nie beliebter. Ein Viertel der europäischen Exporte ist deutsch. Weltweit freuen sich Kinder an deutschem Playmobil. Männer mögen Hemden von Hugo Boss. VW, zu dem Audi gehört, ist hinter Toyota zweitgrösster Autohersteller. Roboter der bayerischen Firma Kuka stehen bei Audi – und weltweit in Autowerken. Osram-Lampen hellen dunkle Räume auf, Crèmes von Nivea verschönern raue Hände.
Vor allem deshalb stützt Deutschland um jeden Preis den Euro. Die Währung sichert der Exportnation einen festen Wechselkurs mit ganz Europa.
Fleiss steht zudem hinter dem Wirtschaftswunder – und ein linker Kanzler. Mit der 2003 verkündeten «Agenda 2010» leitete Gerhard Schröder (SPD) den Umbau des Arbeitsmarkts ein. «Heute können Firmen leichter Personal abbauen und stellen folglich schneller Leute ein», sagt Jürgen Croce vom bundesweiten Jobcenter.
Die Industrie profitiert. Sie ist mit einem Anteil von 28 Prozent am Bruttoinlandprodukt der Grundpfeiler der deutschen Wirtschaft. Wie in Ingolstadt. Ein Speckgürtel von 100 Kilometer Durchmesser hat sich um Audi gebildet – dank drei Milliarden Euro, die der Konzern in Bayern ausgibt. Rund 130 regionale Zuliefer-Firmen fertigen für Audi Sitze, liefern Lenkräder, Scheiben. Stetig steigen Löhne und Wohlstand. So erwirtschaftet jeder Ingolstädter 71 576 Euro. Einziges Probleme: Firmen finden zu wenig kundiges Personal.
Es nieselt. Ein Dutzend neuer Wagen steht vor dem gläsernen Gebäude. Direkt ab Fabrik holen Kunden ihre Audis ab. Amerikaner sind aus den USA angereist, lassen sich vor ihrem Auto ablichten, besuchen das Werk, essen eine Mahlzeit in der Kantine, stärken sich – und Deutschland.