Interview: Peter Hossli und Claudia Gnehm; Fotos: Samuel Trümpy
Herr Edmonds, Sie handeln jährlich mit 20 Millionen Tonnen Stahl…
Philip Edmonds: …letztes Jahr waren es 18 Millionen Tonnen. Es ist Stahl sowie Rohmaterial, um Stahl herzustellen: Eisen, Kohle, Ferrolegierungen und Schrott.
Wie viele Eiffeltürme könnte man damit bauen?
Er wiegt 7000 Tonnen. Wir handeln pro Jahr also mit Stahl und Rohmaterial für rund 2500 Eiffeltürme.
So viele Türme braucht keiner. Wozu braucht es Stahl?
Es ist einer der wichtigsten Rohstoffe der Welt. Fast alles hängt davon ab: Ihr Haus, Ihr Auto, Ihr Büro, die Möbel, auf denen Sie sitzen, und Ihr Essbesteck, sogar unsere Energie.
Rohstoffhändler wissen selten, woher die Ware kommt. Und Sie?
Selbstverständlich. Stahl unterscheidet sich von anderen Rohstoffen. Er kommt nicht im Boden vor, man stellt ihn her. Wer Stahl kauft, will wissen, wer ihn herstellt.
Und wo kaufen Sie ein?
Weltweit. Wir haben 2000 Angestellte in 45 Ländern. China ist heute mit Abstand am wichtigsten. Das Land produziert und konsumiert 50 Prozent allen Stahls. Vor 15 Jahren waren es erst zehn Prozent. Die Chinesen haben riesige Städte gebaut und viel Stahl verwendet, etwa für Shoppingcenter und Highspeedzüge.
Warum ist Stahl denn wichtig?
Er ist sehr politisch und strategisch. Stahlwerke beschäftigen viele Menschen. Jedes Land produziert eigenen Stahl, ebenso die Schweiz. Denn ohne Stahl kann man nichts bauen.
Oft wird kritisiert, Rohstoffe würden unter unmenschlichen Bedingungen gefördert…
…das ist bei uns nicht so.
Das können Sie garantieren?
Unsere Leute überwachen Arbeitsbedingungen und Qualität. Wer ein mit Stahl beladenes Schiff kauft, legt gegen zehn Millionen Dollar hin. Jeder will wissen, was er kauft.
Die Schweiz ist bei der Transparenz zurückhaltend.
Sie sollte Initiativen beitreten, die von Firmen mustergültiges Verhalten verlangen. Stemcor ist Mitglied von Transparency International. Zu Arbeitsbedingungen und Korruption legen wir alles offen.
Regeln sind gut. Was tun Sie, damit Sie eingehalten werden?
Wir betreiben eine Eisenerz-Mine in einer der ärmsten Gegenden in Indien. Wir investieren in diese Region, bauen Schulen und verbessern die soziale Infrastruktur.
Kaum aus reinem Altruismus.
Wir sind an einer nachhaltigen Geschäftsbeziehung interessiert. Dazu gehört soziales Engagement. Wir wollen, dass unsere Arbeiter und deren Familien zufrieden sind.
Für Ihren Stahl werden keine Menschenrechte verletzt?
Wir kaufen von angesehenen Firmen, viele habe ich persönlich besucht. Ein chinesisches Stahlwerk ist kein Sweatshop in Bangladesch.
Chinesische Stahlwerke sind doch alt und gefährlich.
Sie sind moderner als jene in Deutschland und der Schweiz. Brandneu, versehen mit deutschen Maschinen. Unsere Vorschriften sind weltweit so strikt wie in England.
Weltweit werden die Gesetze für Rohstoffhändler derzeit strikter.
Es ist eine gute Entwicklung. Unsere Muttergesellschaft ist in Grossbritannien. Der britische «Bribery Act» verbietet es britischen Firmen, weltweit Bestechungsgelder entgegenzunehmen. Bestechen wir irgendwo, verletzen wir britisches Recht – und müssen ins Gefängnis.
Der Schweiz fehlen solche Gesetze.
Als britische Firma wären wir ohnehin betroffen. Einen Schweizer «Bribery Act» begrüsse ich aber.
Warum sind Handelsfirmen sonst noch in der Schweiz?
Die Banken und die Kommunikationsmittel sind ausgezeichnet, die Arbeitsgesetze liberal.
Und die Steuern sind niedrig!
Traditionell kamen Rohstoffhändler wegen der tiefen Steuern in die Schweiz. Deshalb sind Zug, Genf und Lugano heute Handelszentren.
Das ist nicht mehr so?
Die Steuervorteile sind praktisch weg. Andere Länder haben Steuern gesenkt. Als ich vor acht Jahren hierherkam, betrug der Steuersatz in Grossbritannien für Firmen 30 Prozent. In Zug waren es elf Prozent – wie heute. In Grossbritannien beträgt der Satz nun 20 Prozent.
Ein Vorteil von immerhin fast zehn Prozent.
Der Schweizer Franken hat die Kosten erhöht. Der finanzielle Vorteil der Schweiz ist nur noch minimal.
Würden Sie wieder kommen?
Heute kämen wir wahrscheinlich nicht mehr in die Schweiz. Jene, die schon hier sind, mögen das Land. Und es ist einfach, hier sehr gutes Personal zu finden. 80 Prozent unserer Leute sind Schweizer mit Topausbildung.
Nun wird die Unternehmenssteuer reformiert. Mit Folgen?
Die Schweizer müssen verstehen, dass sie keine steuerlichen Vorteile mehr bieten. Steigen gar die Steuern, würden weniger Firmen kommen, einige gingen sogar.
Was wären die Alternativen?
Was die Steuerlast betrifft, sind Singapur und Dubai attraktiv. Für viele Handelsfirmen spielt es letztlich keine Rolle, wo sie sind.
Stemcor beschäftigt 50 Personen in der Schweiz. Wie viel Umsatz generieren Sie?
Eine Milliarde Dollar. Beim Stahlhandel sind die Umsätze sehr hoch, aber die Margen eher gering. Sie liegen im Schnitt bei drei Prozent.
Wie viele Steuern zahlen Sie?
Letztes Jahr erlitten wir einen Verlust und zahlten keine Steuern. Zuvor waren es mehrere Millionen Franken. Derzeit ist das Umfeld schwierig. In Europa wurden vor der Krise jährlich 220 Millionen Tonnen Stahl konsumiert. Jetzt sind es nur noch 140 Millionen Tonnen.
Unter welchen Bedingungen würden Sie die Zelte abbrechen?
Wenn die Schweiz langfristig teurer würde als andere Orte.
Wäre die Annahme der 1:12-Initiative ein Grund zu gehen?
Für uns nicht. Andere Rohstofffirmen wären betroffen. Es muss bekannt sein, wenn einer 50-mal mehr verdient als der am wenigsten Verdienende. Lässt sich Lohnkluft erklären, ist sie okay.
Der Ruf von Rohstofffirmen in der Schweiz ist schlecht. Warum sind diese so verschwiegen?
Händler konzentrieren sich auf Deals. Ihren Ruf nehmen sie kaum wahr – was falsch ist.
Es reden nur Ihre Kritiker.
Unsere Branche ist vermutlich nicht zu 100 Prozent sauber, wie jede Branche. Wegen der Geheimnistuerei befürchten jedoch viele das Schlimmste. Dabei haben wir nichts zu verstecken. Wir sind stolz auf unsere Arbeit. Der Rohstoffhandel beflügelt die Weltwirtschaft.
Politiker fürchten, nach den Banken käme Ihre Branche unter Beschuss.
Das wird nicht passieren. Zumal die Rohstoffbranche nicht missbraucht wird, um Nazi-Gold zu verstecken oder Steuern zu hinterziehen. Erfolge wie jene von Glencore führen sicher zu Eifersucht. Mittlerweile haben Rohstoffhändler eingesehen, dass sie sich besser erklären müssen.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Schweiz?
Mein Leben ist hier, ich habe Deutsch gelernt und verstehe sogar ein bisschen Schweizerdeutsch. In drei Jahren kann ich Schweizer werden.
Steuervermeider wie Google, Apple und Starbucks geraten unter Druck. Auch Stemcor ist im Visier.
Firmen müssen sich an Gesetze halten. Es ist aber ihre Pflicht, die Steuerkosten zu minimieren.
Sind Steuervermeider sympathisch?
Apple-CEO Tim Cook hat recht: Es liegt an den Regierungen, nicht den Firmen, das Steuerproblem zu lösen. Die Staaten müssen das gemeinsam anpacken.