Interview: Peter Hossli Fotos Maria Schiffer
Herr Spreng, wer regiert Deutschland nach dem 22. September?
Michael Spreng: Auf jeden Fall Angela Merkel. Die Frage ist nur, mit wem.
Welche Koalition erwarten Sie?
Die beiden grossen Stücke sind verteilt. Es findet nur noch innerhalb der Lager ein Austausch statt, zwischen SPD/Grünen/Linken und CDU und FDP. Für Schwarz-Gelb könnte es knapp reichen.
Merkel scheint die grosse Koalition zu wollen, um die SPD in der Europa-Frage einzubinden.
Ja, die CDU hätte gerne eine grosse Koalition. Das ist für sie leichter. Die SPD ist verlässlicher als die FDP, sie hat alle einschneidenden Reformen mitgetragen.
Was macht dann Steinbrück?
Er geht in den Ruhestand.
Was hat er falsch gemacht?
Einst stand er für wirtschaftliche Vernunft und Gerechtigkeit. Dann rückte er so weit nach links, dass er nicht mehr zu bürgerlichen Wählern vordrang. Deshalb war Steinbrück weder glaubwürdig noch authentisch.
Warum brach er derart ein?
Er hatte einen schlechten Start, war überschattet von seinen Vortragshonoraren. Seine Nominierung war überstürzt, ohne Konzept, ohne Berater, ohne Botschaft. Wie ein Amateur stolperte er in den Wahlkampf.
Wegen der Fettnäpfchen allein scheiterte er wohl kaum.
Er hat sich auch politisch verbogen. Der linke SPD-Kurs passt nicht zu ihm. Er versuchte den Spagat zwischen dem neuen und dem alten Steinbrück. Heute wissen viele nicht mehr, wer Steinbrück ist.
Und was machte Merkel richtig?
Sie macht dasselbe wie schon 2009: einen Wahlkampf der asymmetrischen Demobilisierung. Sie schläferte die gegnerischen Wähler ein, damit sie möglichst daheim bleiben.
Wie bitte soll das gehen?
Sie vermied Kontroversen und übernahm Positionen des Gegners. Nun kann ein klassischer SPD-Sympathisant sagen: «Merkel ist auch sozial, die können wir wählen.» Ohne zündende Themen ist es schwierig für den SPD-Kandidaten, eine Konfrontation zu finden.
Merkel lullt ihr Volk ein?
Sie hat es mit Helmut Schmidt, der sagte, «wer Visionen hat, geht zum Arzt». Sie hat keinen Zukunftsentwurf, keine Agenda 2020. Die Mehrheit hat das Gefühl, Merkel regiere das Land gut, ruhig und umsichtig. Keiner wird überfordert, weder geistig noch materiell.
Reicht das für Deutschland?
Es müsste um Zukunftsentwürfe gestritten werden. Wo soll Deutschland in zehn Jahren stehen? Was wird aus Europa? Auf die Deutschen kommen nach der Wahl ein paar teure Überraschungen zu.
Wie lange sind die Deutschen bereit, für Europa zu bezahlen?
So lange sie es nicht im eigenen Geldbeutel spüren. Führt es zu Wohlstandsverlust und Steuererhöhungen, ist es vorbei. Existieren die Zahlungen nur auf Papier, machen sie mit.
Steinbrück klagt offen, die Presse habe sich gegen ihn gestellt.
Das ist lächerlich, alle Fehler hat er selbst gemacht. Er erfüllt die klassischen Bedingungen nicht. Die drei P müssen identisch sein – Partei, Person und Programm. Die Leute merkten, dass bei der SPD etwas nicht stimmt.
Warum ist der Wahlkampf lau?
Grosse Themen fehlen. 2002 entschieden die Flut und der drohende Irak-Krieg die Wahlen. 2005 war es die Mehrwertsteuer. Das hat die Leute elektrisiert und polarisiert. Daraus entsteht eine hohe Wahlbeteiligung, verändern sich Wähleranteile. Solche Themen gibt es jetzt nicht. Syrien ist kein Thema, bei der NSA sind Deutsche schwerhörig. Bei Steuern, Mindestlohn und Leiharbeit fehlen grosse Unterschiede.
Wie bewerten Sie die Wahlkämpfe der einzelnen Parteien?
Die Grünen haben ein falsches Wahlkampfkonzept, in dem sie sich auf soziale Themen festlegen. Das können Links-Parteien besser. Die FDP ist unter der medialen Wahrnehmungsschwelle, sie wird nur als Partnerin der CDU gewählt. Die CDU wirbt wie Sparkassen. Den merkwürdigen «Das WIR entscheidet»-Slogan der SPD verstehen viele nicht. Das ist Werbersprache.
Was muss die SPD ändern, um wieder mehrheitsfähig zu werden?
Es muss neues, glaubwürdiges Personal an die Spitze kommen, das Rückhalt hat in der Bevölkerung. Sie muss wirtschaftliche Vernunft mit sozialer Gerechtigkeit verbinden. Ohne eine florierende Wirtschaft gibt es keine Arbeitsplätze. Diese Vermischung ist bei der SPD in diesem Wahlkampf nicht sichtbar. Und die SPD muss hoffen, dass Frau Merkel aufhört.
Wer folgt bei der CDU auf Merkel?
Da ist weit und breit niemand in Sicht.
Eine Woche vor der Wahl: Was bewegt die Deutschen?
Richtig bewegt sie nichts. Sie wollen, dass der Wohlstand bleibt, dass es keine Verwerfungen gibt. Merkel befriedigt die Sehnsucht nach Gemütlichkeit und Ruhe. Deutschland ist ein sattes, zufriedenes Land mit Bürgern, die einen einzigen Wunsch haben: Weiter so.