Bombe um Bombe

Saddam Hussein ist ihr Feind. Sie wollen, dass endlich Bomben auf den Irak fallen. Dafür leisten die Arbeiter von Amerikas grösster Munitionsfabrik Sonderschichten. Ein Exklusiv-Bericht aus McAlester, Oklahoma.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Fotos)

lookat_00000323_preview.jpgBehutsam pinselt Carol kaum sichtbare Spuren Sprengstoff vom Oliven grünen Stahlmantel der fast fertigen Bombe. Mit einem feinen Stofffetzen befreit sie den dicken Deckel des Zündungsrohrs von Staub- und Pechkörnchen. Dann rollt sie das 2000 Pfund schwere Geschoss mit einem kräftigen Ruck weiter. Bis eine jüngere Kollegin es stoppt und mit vier Schrauben für immer verschliesst. Grelle Neonlampen beleuchten das warme Schmunzeln auf Carols runzeligem Gesicht. Links und rechts sitzt je ein Grübchen, die tiefer wachsen, wenn sie einer Bombe den letzten Schliff verpasst.

Bombenbauen macht Freude. «Ja, ich habe einen sehr guten Job», sagt Carol, eine von knapp 1000 Angestellten der McAlester Army Ammunition Plant (McAAP) in Oklahoma, dem Herzstück der amerikanischen Kriegsmaschinerie.

Drei Autostunden nördlich von Dallas lässt das US-Militär hier seit September 1943 fast alle nicht nuklearen Bomben fabrizieren. Jene Sprengkörper, die im Gegensatz zu Atomwaffen auch regelmässig abgeworfen werden. Sie begruben Vietnam und zwangen Iraks Führer Saddam Hussein, aus Kuwait abzuziehen. Jüngst vertrieben sie die Taliban aus Kabul.

Mit Genugtuung geht Carol abends nach Hause. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kündigte sie ihre sichere Stelle im Spital und heuerte in der Bombenfabrik an, um «meinem Land zu helfen», sagt sie. «Als Krankenschwester hatte ich zuvor Leben gerettet. Jetzt produziere ich Bomben. Das mag paradox sein. Im Endeffekt rettet diese Bombe dort mehr Menschen als dass sie tötet.» Carol deutet auf den phallischen, zehn Fuss hohen 2000-Pfünder vom Type MK 84. «Sie sichert uns den Frieden.»

Carol, die bloss den Vornamen preis gibt, ist eine Veteranin. Bereits Ende der sechziger Jahre stand sie an der Werkbank. Damals fertigte die McAAP rund um die Uhr. Täglich wurden auf dem 233 Quadratkilometer umfassenden Gelände 6000 Bomben produziert und nach Südostasien entsandt. Später reduzierte sich das Pensum drastisch – auf nicht einmal mehr 6000 Bomben jährlich. Kriege wurden nun meist kalt gefochten. 1998 entliess McAAP sogar Personal. Zu friedlich war die Welt geworden. Es reichte vollends, bloss an vier Tagen zu produzieren.

lookat_00000319_preview.jpgJetzt legt die Belegschaft freitags und samstags Extraschichten ein. 21000 Bomben warf die US-Flugwaffe über Afghanistan ab. Der dezimierte Bestand soll rasch aufgefüllt werden. Dass die USA gegen den Irak in den Krieg geht, hoffen hier viele. «Im Januar gehts wohl los», sagt Pressesprecher Mark Hughes, ein so gross gewachsener wie sanftmütiger Ex-Marine. «Vor Weihnachten will niemand einen Krieg anfangen.» Läuft die Fabrik auf Hochtouren? Bestätigen darf er das nicht. «Als einziger Hersteller eines Produktes, das populär ist, haben wir schon reichlich zu tun», sagt er diplomatisch.

Verschwiegenheit ist erstes Prinzip, eine Frage der nationalen Sicherheit. Jahrelang hatte die Presse keinen Zugang. FACTS ist das erste ausländische Magazin, das die McAAP besucht. Die Presse zugelassen hat heuer erstmals Colonel Jyuji D. Hewitt, seit Juni 2001 der Kommandant in McAlester. «Die Medien berichten meist nur von unseren Frontsoldaten», sagt er, «ich wollte zeigen, wie patriotisch auch wir sind, welch zentralen Beitrag wir zur Verteidigung leisten.»

Frei bewegen können sich die ständig eskortierten Medienleute jedoch nicht. Gebäudenummern dürfen weder fotografiert noch rapportiert werden, ebenso nicht, wie viele Bomben von welchem Typ produziert oder gelagert werden. Nur einzelne Schritte der Produktion sind öffentlich. Off Limits ist etwa die «Küche», wo Sprengstoffe wie TNT und PBX gekocht, geschmolzen und dann in leere Stahlhülsen gegossen werden.

Kaum jemand gibt gerne Auskunft. Wenige stören sich daran, dass weder ein US-Präsident noch ein Verteidigungsminister McAAP jemals besucht hat. Sechzig Jahre lang blieb man anonym. Abgesehen von dem schlichten grünen Schild «Army Ammunition Plant» neben dem Highway 69 weist in McAlester nichts auf die Fabrik hin. «Ihr Journalisten sagt den Terroristen bloss, ‹hallo, hier sind wir, kommt und greift uns an›», rüsselt ein Arbeiter wütend, «ich sag Euch nichts.»

Selbst der amerikanischen Öffentlichkeit blieb verborgen, wie strategisch bedeutsam die McAAP für die US-Streitkräfte ist. Nach dem überraschenden japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 designierte der US-Kongress sechs Meilen südlich von McAlester ein Gebiet dreimal so gross wie Manhattan für die Herstellung aller konventionellen Bomben. Der Ort machte Sinn. Die einstige Kohlenstadt liegt verkehrsgünstig zentral. Gleichzeitig war sie ausserhalb der Reichweite feindlicher Schiffskanonen.

lookat_00000313_preview.jpgBinnen 18 Monaten wurden über 2800 Bauten errichtet, wobei heute rund 2200 als Bunker für die Lagerung dienen, dem Hauptzweck der McAAP. Sie ist eine so genannte Tier-One-Lagerstätte, ein Bombendepot höchster Wichtigkeit. Im Notfall müssen einen Monat lang täglich 400 Container an die Truppen entsandt werden können. Das umfangreiche Arsenal reicht von der 20 Millimeter-Panzer-Granate bis zur 5000-Pfund-Penetrator-Bombe, die in Afghanistan unterirdische Höhlen zerstört hatte. Ob auch nukleare Sprengköpfe lagern, wird vom Pressesprecher «weder bestätigt noch dementiert». Die zentrale Lage sowie die Grösse des Magazins lassen es aber vermuten.

Kurz nach halb sechs. Es ist kalt und noch dunkel. Im Sekundentakt verlassen Geländewagen und Pick-up-Trucks den Highway 69, der Dallas mit McAlester verbindet. Fünfzig Meter vor dem mit mannshohen Betonbarrikaden versperrten Eingangstor biegen sie rechts ein. Zwei Beamte einer privaten Sicherheitsfirma stoppen und durchstöbern die Autos, öffnen Handschuhfächer und beäugen mit Spiegeln die Böden. Sarkastisch vermeldet der Radionachrichtensprecher: «Präsident Saddam Hussein wurde mit 100 Prozent der Stimmen gewählt.» Verkrampft lächelt ein Wächter. Er lässt nur Leute mit regulären Ausweisen rein.

Hinter dem Tor beginnt das riesige Gelände, bewachsen mit Bäumen und Büschen, betrieben von der Armee, bevölkert von zivilen Arbeitern. Architektonisch erinnern die uniform grauen, in endlosen Reihen angelegten Häuser und Bunker mit ihren dazugehörigen Eisenbahnrampen an Kolchosen. Banal sieht sie aus, die Bombenfabrik, frei von Ästhetik, allein der Funktion verschrieben. Nur Adlerschreie stören die Ruhe. Die mit 200 Meilen Schienen verbundenen Produktionsgebäude wirken abgetakelt. Seit Jahrzehnten warten die Toiletten darauf, mit frischer Farbe überzogen zu werden.

lookat_00000340_preview.jpgBeim Posten 14, ein paar Kilometer westlich vom Tor, vorbei an den Verwaltungsgebäuden aus rot gebranntem Backstein, erfolgt eine zweite Kontrolle. Raucher legen Feuerzeug und Zündhölzer in einen Blechkübel – hinter dem Posten 14 liegen die explosiven Produktionsstätten. An den Füssen tragen Arbeiter Schuhe mit Bleikappen, die elektrische Ladungen erden, auf der Nase Schutzbrillen, auf dem Kopf beige Sackmützen, damit kein geladenes Haar den Sprengstoff entzündet. Die Wäscherin wäscht die Overalle und Kappen mit Seife – und Feuerschutz.

Seit drei Monaten arbeitet James für die McAlester Army Ammunition Plant. Heute früh ist der etwas eingefallene Mann mit treuen Augen dort eingeteilt, wo Rohstahlhülsen mit Teer ausgekleidet werden. Ein Gabelstapler lupft ein Bombenpaar aus dem Güterwaggon und legt es vor James auf den hölzernen Schragen. Er fettet die schlanken Rohre innerhalb der Bomben ein. Dort werden dereinst die Zündungsdrähte durchgezogen. Er könne sich sehr glücklich schätzen, sagt James. «Hier wollen doch alle arbeiten.»

Zumal der Lohn stimmt. Neulinge erhalten 11,22 Dollar die Stunde. Erfahrene Arbeiter werden mit bis zu 25 Dollar entlöhnt, das ist dreimal so viel wie ein durchschnittliches Gehalt in McAlester. Dazu gibts reichlich Ferien und wie jetzt freitags und samstags satte Sonderzulagen. Kranken- und Zahnversicherungen kosten die McAAP-Arbeiter gar nichts.

lookat_00000318_preview.jpgJames, der seine Stelle dank der Personalaufstockung erhielt, ist bemüht, «bloss Bomben von allerhöchster Qualität» auszuliefern. «Unsere Kinder benutzen sie. Für sie ist doch nur das Beste gut genug.»

Dafür legt er kräftig Hand an. Bomben Made in U.S.A. sind grösstenteils Hand gefertigt. Wenig ist automatisiert. Abgesehen vom Heben erledigen die Arbeiterinnen und Arbeiter jeden Produktionsschritt eigenhändig. Sie giessen Teer ins Stahlgehäuse, kratzen den Überfluss weg, tragen Farbe auf, schrauben die Halter für die Kampfjets fest, kochen und verflüssigen Sprengstoff, giessen ihn um, fädeln die Drähte der Zündung ein – und dichten die Bombe zum Schluss ab. Kein allzu komplexer Prozess, der sich seit Fabrikeröffnung unmerklich verändert hat.

Mit beiden Händen hängt James eine Bombe an einen Eisenhaken. Wie eine zu gross geratene Mortadella-Wurst baumelt sie von der grauen Betondecke. Ein Fliessband zieht sie um die Ecke, wo Debbie, eine zierliche Frau, das noch leere Geschoss in Empfang nimmt und es wägt. Es ist doppelt so gross wie sie und um ein Vielfaches schwerer. 1149 Pfund zeigt die Schweizer Präzisionswaage von Mettler Toledo an. Die nächste Bombe wiegt 1151, die übernächste 1153 Pfund. Das Leergewicht bestimmt, wie viel TNT oder PBX in die Bombe fliessen.

Vorerst besprengt Steve deren Inneres mit Teer, «der unangenehmste Job», sagt er. Seit drei Jahren arbeitet Steve für die McAAP. Er beschwert sich nicht. «Ich weiss ja, wofür ich schwitze.» Mit einem Spachtel schabt er weichen warmen Teer vom hinteren Gewinde der Bombe. «Der 11. September hat hier vieles verändert. Nun fertigen wir für die Freiheit.» Die Moral in der Fabrik habe sich stark verbessert, es werde nun weitaus präziser gefertigt, sagt Steve, der trotz Gasmaskentragepflicht am liebsten mit Zündern und Sprengstoffen hantiert. «Da kapierst Du, wie Bomben tatsächlich funktionieren.» Hat er keine Angst vor Unfällen? «Nein. Du musst einfach höllisch aufpassen.»

lookat_00000339_preview.jpgEin schlichtes Denkmal, idyllisch am Rand eines künstlichen Sees platziert, erinnert an die Gefahren in der Bombenfabrik. Bis anhin starben 25 Personen auf dem McAAP-Gelände. Im letzten Jahr wurde ein Arbeiter von einer Tonnen schweren Bombe erdrückt. 1944 kamen bei einer Explosion gar zwölf ums Leben.

Seit Wochen baut Steve ausschliesslich 2000-Pfund-Bomben vom Typ MK 84, dem VW Käfer des US-Arsenals, der Allzweckbombe. Flugwaffe, die Navy und die Marines benutzen sie. Kein Geschoss wird häufiger abgeworfen, 12000 davon allein 1991 im Golfkrieg. Die Bombe ist frei fallend bereits effektiv und wird mit Navigationsgerät und Flügeln versehen im Nu zur treffsicheren smarten Waffe. Jagdflieger wie die F-18 oder die Bomber B-52 und B-1 tragen sie zu den Abwurfzielen. Deren Stahlgehäuse wiegt 1500 Pfund, der Sprengstoff bloss 500 Pfund. Das hat durchaus Prinzip. Die enorme tödliche Wucht stammt nicht zuletzt von den Abertausenden Metallteilen, die eine Explosion in alle Richtungen verstäubt.

3500 Dollar kostet die Herstellung einer MK-84. Wobei die leere Stahlhülse 1000, der Sprengstoff sowie die Arbeit 2500 Dollar verschlingt. Das Navigationssystem – «das Laserhirn», wie alle sagen – erhöht den Preis um 27000 Dollar.

Markant zugenommen hat die strategische Bedeutung der Bombe. US-Streitkräfte müssten Kriege rascher beginnen und schneller entscheiden können, das forderte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Mitte Oktober in einem Strategiepapier. Der Bombe, vornehmlich der Laser gesteuerten, räumte er eine besondere Stellung ein. Dank ihr sollen bewaffnete Konflikte mit weniger Bodentruppen, ergo weniger toten Amerikanern, gefochten werden. «Bomben erlauben es uns, Kriege aus der Distanz zu führen», sagt Colonel Hewitt. Er ist einer der wenigen McAAP-Angestellten in Uniform. «Sie sind ideal, um Ziele zu zerstören und gleichzeitig unsere Piloten zu schützen.»

Die Steuerung, die seit dem Golfkrieg Ziele präziser findet, fabriziert Boeing. «Wir produzieren ausschliesslich jenen Teil, der ‹bum› macht», sagt Hewitt. «Unsere Bomben explodieren aber auch ohne Navigation», hackt der Kommandant nach, «ohne Sprengsatz taugt selbst die präziseste Steuerung nichts.»

Um neun Uhr halten alle inne. Kaffeepause. Die Raucher zwängen sich in einen schmalen, Feuer sicheren Raum. Stumm spielen sie Domino, Zigaretten glimmen in den Mundwinkeln. Nichtraucher giessen dünnen braunen Kaffee in Styroporbecher. Sie lesen Magazine über die Jagd, über Autos, die Schönen und die Reichen.

Erst zag-, dann lebhaft entfacht eine Reporterfrage eine Diskussion. «Ich bin dafür. Wenn der Krieg gegen den Irak ausbricht, dann weiss die Welt doch, wo McAlester liegt», sagt einer, «unser Produkt bringt den entscheidenden Vorteil», ein anderer. James beschwichtigt. «In McAlester gibts keine Kriegstreiber. Der 11. September hat uns aber aufgeweckt.» «Im Irak müssen wir beenden, was dem ersten George Bush nicht gelang: Saddam zu stürzen.» «Wir hätten ohnehin mehr machen sollen nach den Anschlägen in Kenia und Tansania, oder auf die USS Cole.» «Bill Clinton war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt», frotzelt einer, «er ist an 9/11 mitschuldig.» Stolz sei er über den Kriegsverlauf in Afghanistan, dem Krieg, den McAAP-Bomben entschieden hätten, sagt James. «Niemand tötet gerne, aber diese Bastarde haben erhalten, was sie verdienen.» Abrupt markiert ein schriller Ton das Ende der Rast.

lookat_00000327_preview.jpgZu hundert Prozent gehört die McAlester Army Ammunition Plant der US-Regierung. Sie allein hat hier das sagen. «Wir machen keine Politik», sagt Colonel Hewitt. «Wir führen aus, was Washington verlangt.» Bestellt das Pentagon eine gewisse Anzahl eines gewissen Bombentyps, liefert die McAAP an den vorbestimmten Ort. «Wir hinterfragen nichts», sagt Hewitt. «Seit dem Krieg in Afghanistan tragen unsere Köpfe ein bisschen höher», sagt er. Vor dem Büro liess er eine Tafel anbringen, die einen Marinesoldaten zeigt, wie er während des «Enduring Freedom»-Feldzugs in Zentralasien eine McAAP-Bombe unter einen B-1-Bomber karrt. «Wir haben einen direkten Draht zum Piloten», so Hewitt.

Die werfen meist alte Geschosse ab. Bomben haben kein Verfallsdatum, sie verderben höchst selten. Nach deren Fertigstellung werden sie zuerst jahrelang in Erd bedeckten Igloos zwischen gelagert und alle drei bis sieben Jahre geprüft.

Einige der Bunker sind mit geteerten Segeltüchern bedeckt, so dass Bäume keine Wurzeln schlagen können und Feuchtigkeit fern bleibt. Ein Lüftungsschacht sorgt für Zirkulation. Jedes Lagerhaus ist geerdet und fasst gegen 250 2000-Pfünder. Eine Prellwand aus Beton unmittelbar vor der stählernen Tür lenkt im Notfall den Knall in die Höhe statt in die Breite. Um fatale Kettenreaktionen zu verhindern, liegen zwischen den einzelnen Igloos bis zu 250 Meter Grasland.

Dort weiden Hirschböcke mit selten mächtigen Geweihen, tummeln sich Wildschweine und lauern Luchse auf Kaninchen. Die weltweit grösste Bombenfabrik sieht eher aus wie ein Naturschutzgebiet, durchzogen von endlosen Kiesstrassen und Eisenbahnlinien. Ab und zu ruckelt ein Zug vorbei, ansonsten ists auf dem Gelände still. Nur am Wochenende kommt etwas Betrieb auf. Rund 300 Jäger machen sich dann auf die Pirsch – mit Pfeilen und Bogen. Gewehre sind verboten. «Sie würden den Hirschbestand ausmerzen», sagt Jagdaufseher Bill Starry.

lookat_00000330_preview.jpgÜberdies gefährden Schusswaffen die Sicherheit. Und die gilt hier als oberstes Gebot, sei wichtiger noch als die Qualität der Bomben, heisst es auf etlichen Schildern entlang der Hauptstrasse. Die mit Wellblech bedeckten Produktionsgebäude sind umzingelt von rund 300 zwanzig Meter hohen Eisenstangen. Die leiten die elektrische Wucht von Blitzen vorzeitig in den Boden. Fegt ein Tornado oder ein Gewitter über das flache Steppenland, stoppt sofort das Fliessband und das Personal steigt in die Schlechtwetterbunker.

Rutschbahnen sind neben all den Häusern angebracht, in denen Sprengstoffen lagert. Doch die pro forma Notausstiegen gelten eher als Witz. Passiert wirklich mal was, fehlt die Zeit zur Flucht. Nach 9/11 wurde vorsichtshalber auch die Jagd ausgesetzt. Statt dessen schlugen Reservisten der National Guard auf dem Zeltplatz ihr Lager auf – und blieben zehn Monate.

Jetzt gehört der Zeltplatz wieder den Jägern. Die Stimmung ist ausgelassen am Abend vor der ersten Jagd der Saison. Lagerfeuer lodern. Kaffee brodelt. Sieben in grünbraune Tarnanzüge gekleidete Jäger haben sich aufgereiht. Jeder treibt vier Pfeile ins Herz gemalter Hirschbilder. Morgen wollen sie echte Böcke schiessen.

Ein paar hundert Meter von den Jägern entfernt bilden acht schwere Trucks eine Kolonne. Keiner der gesichtslosen Anhänger trägt eine Aufschrift. Ein Inspektor kontrolliert, wiegt und versiegelt sie mit zwei Metalldrähten. Private Firmen, die anonym bleiben wollen, transportieren die Bomben von McAlester zu den «Endabnehmern», wie die Kunden heissen – in andere Depots, auf Luftwaffenbasen oder an den Golf von Mexiko.

Die Fahrer der explosiven Fracht erhalten lukrative Zuschläge, oft doppelt so viel wie üblich. Berücksichtigt werden US-Bürger, die sich auf Herz und Nieren prüfen lassen. Es gäbe ausgeklügelte Möglichkeiten um zu garantieren, dass die Bomben an den designierten Ort gelangen, sagt der Prüfer, der derzeit «überdurchschnittlich viele» Trucks versiegelt.

lookat_00000334_preview.jpgDass mit Bomben beladene Laster die Autobahn rauf und runter fahren, stört den Bürgermeister von McAlester, Dale Covington, nicht. «Ohne McAAP wäre unsere Stadt nichts», sagt er und vertieft sich in seinen brauen Ledersessel. Hinter ihm hängt ein Ölgemälde, das einen Cowboy hoch zu Ross in der öden Prärie zeigt. «Ist irgendwo Krieg, erfährt die Welt von uns», sagt er, stets bemüht um den Ruf der Stadt. «Es ist doch schön, wenn McAlester etwas bekannter wird».

Bestens ist es nämlich nicht bestellt um das Image. Nirgendwo sonst wurden im letzen Jahr mehr Leute hingerichtet als in McAlester, nicht mal in Texas. «Mir ist es lieber, die Welt kennt uns als Produzent von Bomben denn als Hinrichtungszentrum», sagt er. Ausserdem beschere die Fabrik der Stadt derzeit einen ungeahnten Boom. «Der Rest des Landes mag wirtschaftlich darben», sagt der Bürgermeister, «uns geht es blendend.» Abgeklungen seien auch die Proteste gegen die Ohren betäubenden Detonationen ausrangierter Geschosse – McAlesters Bomben sind umweltfreundlich geworden. Sie lassen sich zu 100 Prozent rezyklieren.

lookat_00000335_preview.jpgAm klaren blauen Himmel hängen Wölkchen. Darunter liegen Zehntausende leerer Artilleriegeschosse aus der Zeit des Vietnamkriegs. Die Kanonen, die sie einst abfeuerten, sind ausrangiert, die Munition ist obsolet geworden. Jeweils zur Mittagszeit wurde bis vor kurzem die nicht mehr benötigte Munition in die Luft gesprengt. Das brachte die Umweltschützer auf den Zaun, was ein neues Gesetz – und einen grünen Punkt bewirkten.

Seither wird der Sprengstoff entschärfter Bomben mit heissem Dampf erhitzt, geschmolzen, ausgegossen, abgekühlt – und wieder verwendet. Die leeren Stahlgehäuse holt der Meistbietende ab. Oft langen Autofirmen zu, die aus alten Bomben neue Toyotas oder Volvos machen. Demnächst nimmt die McAAP zudem eine Maschine in Betrieb, welche die Bomben gefriert und hernach ohne Explosion in Tausend Teile zertrümmert.

Das Rezykling steigert den Umsatz. Jährlich erwirtschaftet die McAAP zwischen 100 und 120 Millionen Dollar. Verkaufschef Brian Lott beziffert den Wert des Lagerbestandes auf sieben Milliarden Dollar. Nicht nur die USA wird beliefert. Auch Kanada, England und Tschechien beziehen in McAlester gefertigte Bomben. Unlängst legte sich die McAAP überdies eine komplexe Desinfektionsmaschine für Holzpaletten zu, auf denen Bomben exportiert werden. Sie vernichtet Parasiten, die etwa die EU verbietet.

Eine Diesel betriebene knall rote Lokomotive zieht drei gelbe Güterwagen vor eine Betonrampe. Auf jedem Gefährt prangt die Aufschrift «United States Army». Ein Gabelstapler holt zwei frisch geteerte Bomben aus den Waggons und legt sie auf den Tresen. Dort schrauben drei Arbeiter die Flugzeughalter aus Messing auf. Es ist laut. Eine dröhnende Maschine schmirgelt die Stahlhülsen ab. Alle tragen Ohrenpfropfen. In einem abgedichteten, violett beleuchteten Raum wird grauer Rostschutz aufgetragen.

lookat_00000324_preview.jpgVon dort gelangt die Bombe zu Ronnie. Ronnie ist der Maler und verleiht jedem Sprengkörper ihre unverkennbare Oliven grüne Erscheinung. Er trägt ein Ziegenbärtchen und lächelt. Er lässt die baumelnde Bombe um die eigene Achse drehen. Im Spritzwerk trägt er die militärgrüne Farbe auf. Er kniet hin und malt die abgestumpfte Spitze gelb. Dereinst wird dort der Suchkopf eingesetzt. Dann schiebt Ronnie den 2000-Pfünder weiter, zu Pam, seiner Ehefrau. Mit einem Ventilator trocknet sie die Bombe.

Verliebt haben sich Ronnie und Pam beim Bombenbauen, in der lauten Halle, zwischen Spritzwerk und Ventilator. Ihre zwei Kinder verbringen den Tag im Kinderhort, mit 40 anderen Kindern, deren Eltern Bomben fertigen. «Abends achten wir schon darauf, anderes zu bereden», sagt Pam. Sie ist gesprächiger als Ronnie. Statt der Schutzbrille trägt sie eine getönte fesche Sonnenbrille. Statt der offiziellen Sackmütze eine Baseballkappe. Durch deren hinteres Loch zwängt sie ihr Haar.

Sie hasse es, von Fremden in die Schranken gewiesen zu werden, gibt sie unverblümt zu Protokoll. «Weil ich nicht ins Militär kann, arbeite ich hier», sagt sie, «ich will mein Land verteidigen.» Einen baldigen Angriff auf Irak heisst sie willkommen, «nicht nur, weil wir dann noch mehr Arbeit erhalten». Am 11. September seien «die Feinde aus dem Hinterhalt gekommen», ähnliche Anschläge müssten um jeden Preis gestoppt werden. «So Du mir, so ich Dir», laute ihr Motto.

Güterwaggons holen die auf Paletten gepackten, frisch bemalten Bomben wieder ab und bringen sie weiter, in die «Küche». Dort brodeln TNT und PBX. Die Arbeiter tragen Gasmasken. Jede Stunde legen sie eine Pause ein und lecken Schleckstängel, damit der schale Geschmack im Maul etwas abklingt. Ist der Springstoff flüssig, fliesst er in die Geschosse. «Der Teig, mit dem die Bombe gebacken wird, wird in den Ofen geschoben», sagt ein Arbeiter. Ein letztes Mal kommt die Bombe auf die Waage.

Ohne Deckel gelangen sie von der Küche in die Endfertigung. Männer füllen sie bis unter den Rand mit grauem PBX-Brei. Dann reichen sie die Geschosse weiter an ein knappes Dutzend Frauen, an Emma und Sonja, Carol und Joe. Sie schaben und spachteln PBX-Reste weg. Zuletzt drücken sie jeder einen gelben Stempel auf, der besagt, wo und wann die Bombe gefertigt worden ist, was drin ist.

Dass Bomben töten, daran dächten die Frauen bewusst nicht. «Das hier ist ein Job wie jeder andere, nur besser bezahlt», sagt eine. «Wer die Konsequenzen hintersinnt, der wird doch nur wahnsinnig.»