Ist Amerikas nächster Außenminister Moslem?

Zalmay Khalilzad ist afghanischer Paschtune und stolzer Amerikaner, und er gilt als Schlüsselfigur der US-Außenpolitik.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

khalilzad.jpgAuf halb vier hat der Botschafter den Reporter in die amerikanische UN-Mission bestellt. Sie liegt in unmittelbarer Nähe der Grand Central Station in New York. Um zehn vor drei klingelt das Mobiltelefon. «Sind Sie in der Nähe?» «Ja.» «Kommen Sie sofort, der Botschafter muss früher weg als geplant.» Nach einer minuziösen Sicherheitskontrolle führt eine freundliche Pressefrau in einen fensterlosen unfreundlichen Saal mit niedriger Decke. Zwei Stühle stehen einsam in der Leere, dahinter ein Sternenbanner. «Das Interview findet hier statt, niemand darf sein Büro sehen.»

Eine halbe Stunde verstreicht. Immer wieder vertröstet die Pressefrau. «Er kommt bald, bestimmt.» Oder sie weißt an: «Überlegen Sie sich genau, was Sie ihn fragen, der Botschafter gibt ausführliche Antworten.» Es zieht sich hin. Plötzlich durchbricht ein schallendes «Hallo» die Stille. Mit ausgestrecktem Arm schreitet ein stattlicher Kerl durch den kahlen Raum. «Wunderbar, Sie zu sehen», ruft er. Ein Grinsen legt sich über das faltige Gesicht. Der Handschlag ist kräftig. «Lassen Sie uns ein bisschen plaudern», sagt Zalmay Khalilzad und setzt sich auf einen der beiden Stühle. Ein Mitarbeiter legt ein digitales Aufnahmegerät hin und drückt den Startknopf.

Khalilzad überlässt nichts dem Zufall. Der 56-jährige Karrierediplomat gilt als Schlüsselfigur der amerikanischen Außenpolitik. Spricht Khalilzad, hört die Welt hin. Auf dem ranghöchsten Muslim der US-Regierung ruht die Hoffnung, den Nahen Osten zu beruhigen. Sollten die Republikaner im November das Weiße Haus halten, dürfte er das Außenministerium übernehmen.

Derzeit vertritt er die USA an den Vereinten Nationen. Zuvor hielt er zwei unbeliebte Posten: Khalilzad diente von November 2003 bis Juni 2005 als Botschafter in Kabul, danach in selber Würde bis März 2007 in Bagdad. Der gebürtige Afghane gehört zum innersten Kreis der Neokonservativen – er ist einer der Architekten des Irakkriegs. Als «Ziel der US-Außenpolitik» beschrieb er 1998 in einem Brief an Bill Clinton den Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Co-Autoren waren damals Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und John Bolton.

Was ging ihm fast zehn Jahre später durch den Kopf, als er im kriegsversehrten Bagdad ins Flugzeug stieg und den Botschafter-Posten räumte? «Meine Gefühle waren gemischt», sagt Khalilzad. «Ich habe versucht, mein Bestes zu geben, aber ich wusste, dass die Situation noch immer schwierig und der Weg noch ein weiter ist.» Gefreut hätte er sich auf seine Familie, von der er jahrelang getrennt war – und auf ein normales Leben. «Während viereinhalb Jahren konnte ich nie einen Spaziergang machen, ins Restaurant oder ins Kino gehen.» Erpicht sei er auf die Uno gewesen.

Bei der Uno freute man sich auf Khalilzad. Er löste den unbeliebten John Bolton ab, ein erklärter Gegner der Weltorganisation. Khalilzad, den Botschafter anderer Länder als «kooperativ» preisen, wirkt versöhnlich. Der demokratisch kontrollierte US-Kongress bestätigte ihn problemlos. Nach gut zwölf Monaten im Amt schreibt er der Uno eine «wichtige und positive Rolle» zu. «Die Uno kann heute mehr machen als früher», ist er überzeugt.

khalilzad_hossli1.jpgEr redet laut, gestikuliert wild mit seinen grossen Händen, als ob er den Worten zusätzliches Gewicht geben wollte. Der Kalte Krieg hätte die Uno lange Zeit polarisiert. Nun sei es einfacher geworden, Probleme anzugehen. Klar, sagt er, die Uno müsse «effektiver werden» und die Mitgliedsländer müssten «intensivere Koalitionen» bilden. Als «neue Herausforderungen» bezeichnet er weltweite Epidemien, den Klimawandel, das Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden. Anders als viele amerikanische Hardliner sieht er in der Uno einen Ort, «um gegen den Terrorismus vorzugehen».

Dessen Wurzeln ortet er in der gegenwärtigen «Krise der islamischen Zivilisation», sagt Khalilzad. Die muslimische Welt hätte stark an Einfluss eingebüsst. Islamische Extremisten würden die Schuld an diesem Zerfall allein dem Westen zuschieben. «Sie wenden Gewalt an, mit dem Ziel, die alte Dominanz zurück zu erhalten.» Das hätte innerhalb des Islams zu einem wüsten Clash zwischen moderaten und extremen Kräften geführt, wobei die Extremisten den «Terrorismus als Taktik und als Instrument nutzen».

Zum dunklen Anzug mit kaum sichtbaren Nadelstreifen trägt er ein hellblaues Hemd und eine weiß-rot-blau karierte Krawatte. Der ergraute Haaransatz ist auf dem Rückzug. Unter buschigen Brauen gucken Augen hervor wie sie in New York viele Diplomaten haben – etwas müde, etwas matt, aber eifrig und liebenswürdig. Ethnisch ist Khalilzad ein Paschtun. Er kam im Norden Afghanistans zu Welt. Als Teenager zog er in die USA, wo er die High School besuchte. Er studierte im Libanon an der American University of Beirut Politologie und promovierte in Chicago. Seine Frau, mit der er zwei erwachsene Kinder hat, traf er an der RAND Corporatin, ein strategischer Think Tank.

Zuerst unter Jimmy Carter, dann unter Ronald Reagan beriet Khalilzad die US-Regierung bei der Hilfe des afghanischen Widerstands gegen die sowjetischen Besatzer. Für den älteren George Bush war er im Pentagon tätig, im Kabinett des jüngeren beriet er zuerst Donald Rumsfeld und später Condoleezza Rice. Rapide entfaltete sich Khalilzads Karriere nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Just zogen ihn die Kriegsplaner bei, die Attacke gegen die Taliban vorzubereiten. Nach dem Sturz des Regimes fungierte er als amerikanischer Statthalter in Kabul und später als US-Botschafter. In Afghanistan wie Irak drängte er auf freie Wahlen.

khalilzad_hossli.jpgDie interne Krise in der islamischen Welt betrachtet Khalilzad als «entscheidendes geopolitisches Problem». Es könne nicht mehr ignoriert werden. «Was in der islamischen Welt passiert, betrifft den Rest der Welt.» Er hätte sich der Aufgabe verschrieben, «den moderaten Kräften zu helfen, den Extremismus in der Welt zu beseitigen». Deshalb will er nun an der Uno Muslime und Nicht-Muslime dazu bringen, den moderaten Islam zu unterstützen. Sein Ziel sei es «die islamische Region zu normalisieren und wieder funktionsfähig zu machen». Also noch mehr Krieg? «Es gibt auch andere als militärische Mittel, Irak und Afghanistan waren diesbezüglich Ausnahmen.»

War es denn ein Erfolg? Wird es ein Erfolg werden? Er lehnt sich zurück, hält einen Moment inne. «Wir sind in der Mitte einer komplizierten Situation», sagt er. «Aber ich glaube tief in meinem Herzen wie auch intellektuell, dass Menschen grundsätzlich gleich sind, dass alle das gleiche wollen, nämlich in einer friedlichen Gesellschaft zu leben. Menschen lieben ihre Kinder und sie lieben sich selbst, und sie wollen nicht, dass ihre Kinder morgens in die Schule gehen und abends nicht nach Hause kommen.» Klar, sagt er, die ganze Welt werde nie wie die Schweiz aussehen. «Aber alle wollen glücklich sein.» Zum Glück gehörten Sicherheit, wirtschaftliches Wohlbefinden und die Möglichkeit, bei der Bestellung der Regierung mitreden zu dürfen. «Ich habe im Nahen Osten gelebt», betont Khalilzad, «die Menschen dort wollen diese Dinge ebenfalls.»

Amerika hätte als letzte verbliebene Supermacht die Pflicht, die gesamte Welt «zu befrieden, zu demokratisieren und zu bereichern», lautet seine neokonservative Losung. Ein erster Schritt sei die Zerschlagung der Sowjetunion gewesen. Nun müsse die demokratische Zone in die islamische Region getragen werden. «Der Weg dorthin ist schwierig, kompliziert, es braucht Zeit», sagt er. «Aber wir können nicht mehr warten, wir müssen aktiv helfen und moderate Kräfte stärken.» Zeitlich legt er sich nicht fest. Es dauere sicher «länger als fünf oder zehn Jahre», sagt er und deutet eine langjährige US-Präsenz in Irak an. «Am Ende werden wir es schaffen, da bin ich zuversichtlich.»

Den Optimismus schreibt er der Wahlheimat zu. «Ich bin ein Amerikaner», sagt er etwas brüskiert auf die Frage, als was er sich heute fühle. «Ich kam in Afghanistan zu Welt, das bin ich mir bewusst, ich sorge mich um Afghanistan und um die Afghanen, aber ich bin ein amerikanischer Offizieller, ich bin stolz, Amerikaner zu sein.»

Als «einzigartig» beschreibt Khalilzad die USA. Hier könne man von überall herkommen, sich entfalten, man werde akzeptiert, respektiert, man erhalte grosse Ehre wie Verantwortung. «Die Offenheit und der hohe Grad an Integration hebt Amerika hervor», sagt er. «Die Stärke Amerikas ist es, dass jeder zuerst ohne Vorbehalte akzeptiert wird, leistet einer viel, wird er dafür zusätzlich belohnt.»

Mittlerweile sind achtzehn Minuten verstrichen. Die Zeit drängt. «Noch eine Frage, bitte», ruft von hinten höflich und bestimmt Khalilzads Mitarbeiter. Okay, was passiert mit Iran? «Iran ist ein Land mit enormem Potenzial und großer Geschichte», legt Khalilzad los und preist den derzeit erbittertesten Widersacher der USA. «Es ist eines der Schlüsselländer der Welt und es wird letztendlich einer der maßgeblichen Akteure auf der Weltbühne sein.» Derzeit durchlebe Iran aber eine «schwierige Periode» mit einer streitbaren Regierung. Hinzu kämen interne Probleme. Die USA müssten Druck ausüben und sich gleichzeitig engagieren. Kurzfristig gehe es um die Eindämmung der nuklearen Programme, dann um die iranische Einmischung in Irak und in Afghanistan.

Khalilzad weigert sich jedoch, die Welt kurzfristig zu sehen. «Bei allem, was man tut, darf man das grosse Ziel nie aus den Augen verlieren». Es gehe in Iran darum, die junge Generation zu stärken. «Diese will respektiert werden – und sie will Einfluss haben.»

Just bricht der Mitarbeiter das viel zu kurze Gespräch ab. «Vielen Dank, Sir», verabschiedet sich Khalilzad und eilt davon. «Wenn Sie wollen, können Sie noch ein paar Fragen per E-Mail schicken», sagt die Pressefrau.

Ob es denn Krieg gebe in Iran, lautet eine der nachgereichten Fragen. Wann sind Präventivschläge angemessen? Oder wann haben Sie Zeit gefunden, zweihundert Artikel und Bücher über die globale Rolle der USA zu verfassen? «Leider können wir Ihre Fragen nicht beantworten», heißt es per E-Mail. «Wir haben sehr wenig Zeit für Medien. Alles Gute.»