Von Peter Hossli
Es ist ein verheissungsvolles Bild: Der Blick von Brooklyn über den East River, vorbei an der Brooklyn Bridge auf die leuchtende Skyline Manhattans. Dahinter liegt, was New York für manche verkörpert und die Stadt selbst verinnerlicht hat: Freiheit und Zwang, Hoffnungen und Ängste, Armut und Fülle – sowie Tausende Geschichten fürs Kino. Längst bilden New-York-Filme ein eigenes Genre.
Das wird jetzt um ein Kapitel erweitert. Just zu Weihnachten kamen in den USA die ersten Spielfilme in die Kinos, die die malträtierte Stadtsilhouette sowie Ground Zero auf die Leinwand bringen.
Hatten besorgte Produzenten nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 das World Trade Center noch schleunigst aus bereits abgedrehten Filmen entfernen lassen, stellen Regisseure ihre Kamera nun wieder auf der Brooklyn-Seite des East River auf. Das Bild, das sie einfangen, hat einiges an Glanz verloren. Hinter der Brücke ragen keine silbernen Türme mehr in die Höhe. Die Skyline der Metropole ähnelt eher einer öden Stadt im Mittleren Westen.
Es musste schon Robert De Niro sein, ein Urgestein des New-Yorker Filmschaffens, der sich als Erster vor diese schmerzhafte – und für die Grandezza des Kinos untaugliche – Lücke stellt. Dort, wo die Zwillingstürme einst Schatten warfen, schliesst er mit einem Widersacher Frieden. Das gelingt ihm mit Bravour am Ende der sonst flauen Mafiaposse «Analyze That».
Die geschundene Stadt gar zum Leitmotiv gemacht hat Spike Lee in seinem neuen Film «25th Hour», einem packenden Drama über einen Drogendealer. In einer Mischung aus Sehnsucht und Nostalgie scheint sich Lee die zerstörten Türme bereits in der Titelsequenz zurückzuwünschen. Aus etlichen Winkeln liess er die Installation «Tribute in Light» filmen. Dabei leuchten statt des World Trade Center zwei bläuliche Lichtsäulen in den Him- mel. Im letzten Bild der Filmsequenz, von Brooklyn aus aufgezeichnet, erlöscht das Licht.
Regisseur Lee hat mit «25th Hour» den ersten kommerziellen Film überhaupt gedreht, der sich dem New York nach dem 11. September annimmt. Edward Norton spielt darin Monty, einen Dealer, der gefasst wurde und reuig ist. Sieben Jahre muss er in den Knast. Ein letztes Mal zieht er durch seine Stadt. Sein New York, das verletzlich geworden ist, das wie er im Fundament erschüttert wurde, dessen Zukunft ebenfalls ungewiss ist.
Hoch über Ground Zero bereden Montys Freunde in einer Wohnung des- sen Schicksal. Über ihren Rücken hinweg fängt die Kamera die schiere Grösse der Verwüstung ein. Lastwagen karren die letzten Stahlpfeiler weg. Zurück bleibt eine Narbe mitten in der Stadt. «Wir wussten, dass wir hier etwas Wichtiges machen», sagte Lee in einem «Daily News»-Interview. «Es ging uns aber nie darum, die Ersten zu sein.»
Historisch, aber nicht minder schlagkräftig nähert sich ein dritter Koloss unter New Yorks Regisseuren der zerstörten Skyline: Martin Scorsese. Am Schluss seines Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelten Sozialepos «Gangs of New York» wächst die Stadt aus der Asche des blutigen Massakers von 1863 empor. Stolz thronen im letzten Bild die Zwillingstürme.
Diese Stadt, drückt Scorsese mit diesem Schimmer Hoffnung selbstsicher aus, ist unverwüstlich. Selbst schwärzeste Stunden wie die Aufstände während des Sezessionskrieges kann sie überdauern – um dann stärker denn je zu strahlen.
Diesem Imperativ verpflichtet haben sich auch die sieben Architekturteams, die Mitte Dezember ihre Pläne für den Neubau auf Ground Zero präsentierten. Mit zuweilen spektakulären Bauten wollen sie binnen zehn Jahren eine neue Silhouette errich-ten. Zumindest eines haben New-York- Filme bis dahin gemeinsam: die Kluft am Himmel.
verstecken geht ja auch schlecht