Mission Impossible

Magdalena Martullo-Blocher führt im Kanton Graubünden einen schier aussichtslosen Wahlkampf. Ihr Manager-Image wird ihr zum Verhängnis. Auch ihr Vater kann ihr nicht helfen.

Von Peter Hossli und Marcel Odermatt (Text) und Sabine Wunderlin (Fotos)

martullo1Belebt ist die Altstadt von Chur. Händler legen Gemüse aus, bieten Honig und Würste feil. Eine Stimme ist auf dem Markt gestern Samstagmorgen nicht zu überhören: «Was haben Sie eingekauft?», fragt Magdalena Martullo-Blocher (46) laut auf Züritüütsch einen älteren Churer. Sie antwortet gleich selbst. «Ah, es ist Salat und Blumenkohl, dann kochen Sie eine Blumenkohlsuppe?»

Martullo-Blocher, Hauptaktionärin und Chefin der EMS-Chemie, kandidiert für den Nationalrat des Kantons Graubünden. Noch hat sie Mühe, aus der Rolle der Unternehmerin zu schlüpfen. Mit Wählern spricht sie wie mit Personal. Sie stellt Fragen – «wählen Sie SVP?» – und antwortet meist selber.

Andere Kandidaten der SVP verteilen auf dem Churer Markt kleine Geschenken: Valérie Accola (42) gibt etwa Lippenpomade ab, Heinz Brand (60) verschenkt Nusstörtchen. Martullo verteilt – nichts. Sie selbst ist das Produkt. Viele bleiben stehen, vor allem ältere Frauen palavern mit ihr. Wenige rümpfen die Nase. «Ich wähle sicher keine Zürcherin», sagt eine Churerin. «Wir müssen uns gegen Zürich abschotten.» Eine Pensionärin kontert: «Ich wähle zwar nicht SVP, aber Martullo. Sie ist toll.» Warum? «Sie ist eine Kopie ihres Vaters.»

Doch ausgerechnet der spielt in ihrem Wahlkampf keine Rolle.

Christoph Blocher (74) tourt mit dem anderen Hoffnungsträger der SVP, Roger Köppel (50), durch die Schweiz. Als wäre der Journalist Ziehsohn und Zukunft der Volkspartei nach Blocher. Kein einziges Mal ging der alt Bundesrat mit der Tochter auf Wahlkampf.

Das ist kein Zufall, sondern ein Teil der Strategie. Blochers Schützenhilfe hätte ihr geschadet, die Mission Nationalrat wäre noch schwieriger. «Es war ein bewusster Entscheid der Bündner Parteileitung, dass sich die Spitze der Schweizer SVP nicht in unseren Wahlkampf einmischt», sagt SVP-Kantonspräsident und Nationalrat Brand. Obwohl Martullo ein Star ist, tritt sie nicht in den SVP-Wahlsongs auf. «Wir sind der Meinung, dass solche Auftritte nicht goutiert worden wären», sagt Brand.

Was sicher stimmt. Bündner mögen es nicht, wenn sich andere in ihre Politik einmischen. Und genau das ist Martullos Problem. Sie ist erfolgreiche Unternehmerin, die EMS-Chemie produziert in Domat/Ems GR. Aber sie lebt in Meilen ZH, an der Goldküste. Ihr Büro hat sie in Herrliberg ZH, dem Sitz der EMS-Chemie-Holding.

Bündner schätzen sie als Unternehmerin. Sie sind froh um die Steuern, die ihr Konzern in ihrem Kanton abliefert, und die Stellen, die sie schafft. Aber ihr politisches Profil widerspricht den wichtigsten Anliegen des Kantons. Martullo plädiert für einen schlanken Staat. Sie ist eine eiserne Liberale, die Steuern senken will, die Leistung statt Subventionen fordert. Für die Industrie wichtiger ist als Landwirtschaft. Der Steinbock-Kanton aber ist auf Transferzahlungen aus Bern angewiesen – für die Randgebiete, den Tourismus und die Bauern.

Dieser Widerspruch erschwert die Kandidatur der Mutter von drei Kindern. «Ich glaube nicht, dass Frau Martullo gewählt wird», sagt der abtretende BDP-Nationalrat Hansjörg Hassler (62). «Sie wird nicht als eine von uns gesehen. Bündnerinnen und Bündner wollen aber ihre eigenen Leute nach Bern schicken.» Der Kanton hat nur fünf Sitze in der grossen Kammer, verteilt auf fünf Parteien: SVP, BDP, GLP, CVP und SP. Die SVP müsste zusätzlich ­einen Sitz gewinnen, damit Martullo nach Bern kann.

Ihre Kandidatur ist ein Lackmustest für Graubünden. Auf dem Spiel steht der Ruf des Standes als unabhängige Alpenrepublik. Für die einen ist die Bündner Autonomie hehre Realität. Die anderen halten das für einen Mythos, schon immer hätte ein Landadel die Herrschaft im Grischun ausgeübt. Übergeben die Bündner jetzt einer reichen Zürcherin die Vertretung des Volkes, «zeigt das unsere Unterwürfigkeit», so ein Bündner Doyen. «Dann unterwerfen wir uns dem neuen Adel – dem Geld.»

martullo2Zwei Stunden schüttelt Martullo in Chur Hände, kauft Teenagern Plaketen für die Schlagerparade Chur ab, postet beim Käse- und ­Salamihändler. Sie fühlt sich wohl. Nur die Kamera des Schweizer Fernsehens und die SonntagsBlick-Reporter stören sie. «Jetzt gehen Sie mal weg», sagt sie. «Wenn sie fotografieren, meinen die Leute, ich mache das für die Presse.» Dabei hat sie selbst einen Fotografen aufgeboten – ein Angestellter der EMS. Der macht Fotos für ihre Website. Ohnehin mischt sie Geschäft und Politik. Ihr EMS-Sprecher erledigt zusätzlich die Medienarbeit für sie als Politikerin.

Ein ältere Frau geht auf sie zu. «Guten Tag, Frau Martullo, schön sie zu sehen.» Sie grüsst zurück und sieht den Reporter. «Der Journalist muss weg», sagt sie. «Zur Demokratie gehört, dass die Presse den Wahlkampf beobachtet», sagt der Reporter. «Jetzt kommen Sie wieder mit dieser Demokratie – gehen Sie weg.»

Die Kandidatin scheint nervös, als merke sie: Der Weg in die Politik ist noch weit.