Akte Arafat

Wie starb Yassir Arafat? Diesen Krimi versuchen Schweizer Forscher zu klären. Sie analysieren die sterblichen Überreste des Palästinenserführers in Lausanne.

Von Peter Hossli

Ein Blick in die Unterhose offenbart meist mehr, als man wissen will. Schauen seriöse Schweizer Forscher genauer hin, kann das schon mal einen ungeheuerlichen Verdacht auslösen.

An die intime Wäsche von Yassir Arafat (†75) machten sich im Sommer Radiologen des Universitätsspitals Lausanne. Zudem untersuchten sie Kopftuch und Zahnbürste des Palästinenserführers.

Sie fanden geringe Spuren eines geruchlosen, radioaktiv strahlenden, silbern glänzenden Gifts: Polonium 210. Dringt das Isotop in den Körper ein, zerfrisst es Nieren, Leber und Milz. Schon eine Dosis von 0,1 Mikrogramm ist tödlich.

Die Analyse von Arafats Siebensachen erwirkte die arabische Fernsehstation Al-Dschasira. Arafats Witwe hatte dem Sender eine Tasche mit Gegenständen überlassen. Darin lag ein Slip mit Blut- und Urinflecken. Arafat soll ihn vor seinem Tod im Spital getragen haben.

Beflügelt hat der Befund die Theorie, die sich seit Arafats Tod am 11. November 2004 hartnäckig hält: Der PLO-Chef starb nicht eines natürlichen Todes – er wurde ermordet, womöglich gar radioaktiv verstrahlt. Einig ist man sich in Gaza und im Westjordanland, wer für die Tat in Frage käme: Agenten von Erzfeind Israel.

Allerdings reicht Polonium auf Stoff und Zahnbürste nicht, um die Mordthese zu erhärten. Tödlich ist das Strahlengift nur, wenn es sich in Blut und Muskeln ausbreitet. Wird es in Arafats Körper nachgewiesen, hat es ihn wohl getötet.

Deshalb störten die Lausanner Radiologen letzten Dienstag die Grabesruhe Arafats in Ramallah. Palästinensische Ärzte entnahmen der Leiche winzige Gewebeteile. Die sterblichen Überreste übergaben sie den Schweizern in einer Moschee. Zudem erhielten russische und französische Gerichtsmediziner je ein kleines Stück Arafat.

Die drei Teams wollen bis nächsten Mai unabhängig voneinander forensische Berichte erstellen und so einige der offenen Fragen zu einem mysteriösen Tod klären.

Zwei Jahre schon hatte sich Arafat im Oktober 2004 in seinem Haus in Ramallah verschanzt, als er plötzlich erkrankte. Ein Helikopter flog ihn aus dem Westjordanland nach Amman, ein Militärflugzeug brachte ihn nach Paris. Zwei Wochen später starb er. Als Ursache nannten die Ärzte einen Schlag­anfall, ausgelöst durch innere Blutungen nach einer Entzündung. Gift fanden sie damals keines, zumindest waren alle Tests negativ.

Kaum war Arafat tot, begannen sich Gerüchte zu ranken. Einmal starb er an Aids, dann an Parkinson, mal an Krebs. Rivalen aus den eigenen Reihen sollen ihn ermordet haben. «Wir waren uns immer sicher, dass die Israelis Arafat vergiftet haben», sagte sein einstiger Geheimdienstchef dem «Spiegel».

Klarheit schaffen sollen nun sechs Schweizer Forscher. Bis Mai 2013 analysieren sie Arafats Gewebe in Lausanne. «Das ist eine komplexe und schwierige Aufgabe», sagt Rechtsmediziner Patrice Mangin. Er leitet das Team. «Wir gehen rein wissenschaftlich vor.»

Zur Seite stehen ihm Chemiker, Radiologen und Anthropologen. «Wir suchen nach radioaktiven und toxischen Stoffen in den Überresten von Arafat», erklärt Spitalsprecher Darcy Christen. Mehr darf er zur Analyse nicht sagen, sie ist streng geheim. Die Kosten trägt die Palästinensische Autonomiebehörde.

Das Lausanner Team war «sehr beeindruckt, wie professionell in Ramallah alles vorbereitet war», so Sprecher Christen. «Bei der Exhumierung waren viele zugegen, die Arafat kannten, es war bewegend.»

Zwei Tests führen die Lausanner durch. Einen jetzt, den zweiten in 138 Tagen. So viel beträgt die Halbwertszeit von Polonium. Acht Jahre nach der mutmasslichen Vergiftung dürfte höchstens noch ein Millionstel der einstigen Verstrahlung messbar sein, also fast nichts. Es sei denn, Arafat wurde mit einer sehr hohen Dosis vergiftet. Doch dann hätten seine französischen Ärzte etwas merken müssen.

Wie alles im Nahen Osten ist die Analyse politisch heikel. Palästinenser hoffen, dass die Schweizer Polonium finden. «Dann ist zu 99,9 Prozent sicher, dass es Is­rael war», sagt ein Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Israel bestreitet den Vorwurf.

Sicher ist: Es ist schwierig, an Polonium zu gelangen. Schwarzhandel dafür ist kaum existent. Um das Isotop herzustellen, braucht es Nuklearreaktoren. Solche hätte Israel.

Für Israelis war Arafat ein Terrorist. Aus ihrer Sicht wäre es legitim gewesen, ihn zu töten. Ex-Premier Ariel Sharon bedauerte einst, «ihn nicht ermordet zu haben». Als Beweis für ein Komplott Israels reicht das aber nicht. Zumal zuletzt nur engste Vertraute Arafat umgaben.

Zusätzliche Brisanz erhält die Analyse durch den jüngsten Uno-Beschluss, Palästina aufzuwerten. Seit Donnerstag sind die Gebiete nicht mehr nur «beobachtende Körperschaft» der Uno, sondern ein «Beobachterstaat». Das ermöglicht es Palästina, andere Staaten vor den Internationalen Gerichtshof zu ziehen – etwa wegen Mordes durch Polonium 210.

Wenig Grabesruhe für Prominente
Längst nicht mehr alle Toten finden ihre Ruhe. Neue Methoden veranlassen Forscher, Gräber von Prominenten zu öffnen. Allein im Jahr 2010 öffneten sie die Gruften von Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar (1783–1830), US-Schachspieler Bobby Fischer (1943–2008) und dem rumänischen Diktator Nicolae Ceausescu (1918–1989). Ein bisschen Haar, ein verfaulter Zahn, ein Knochensplitter reichen, um mit Hilfe von DNA-Analysen Geheimnisse zu entschlüsseln. Kunstbeflissene etwa wollen Leonardo da Vincis Grab öffnen – um zu eruieren, ob die Mona Lisa ein heimliches Selbstporträt ist.