Der Milliardär und seine Vorzeigekommunistin

Während Jahren beschenkte Dolder-Besitzer Urs E. Schwarzenbach eine enge Mitarbeiterin mit Häusern, Schmuck und Bargeld. Jetzt sagte er, sie habe ihm Kunstwerke im Wert von mehreren Millionen Franken gestohlen. Das hat bisher 16 Rechtsverfahren ausgelöst.

Von Peter Hossli (Text) und Joseph Khakshouri (Foto)

Dieser Streit hat epische Züge. Die Summe, die ihn einst auslöste, ist eher läppisch: 130 000 Franken. Wie oft bei grossen Epen begann es mit einem Lebewohl. Genauer mit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses, das 20 Jahre gedauert hatte. Die heute 52-jährige Kunsthistorikerin Pina Bozzi* hörte Ende Juni 2018 auf, für den Financier und Hotelier Urs E. Schwarzenbach (75) zu arbeiten. Beide unterzeichneten eine abschliessende Vereinbarung. Danach stellte sie ihm für ihre geleisteten Dienste eine letzte Rechnung über 130 000 Franken.

Schwarzenbach beglich sie nicht. Bozzi mahnte. Weder reagierte noch zahlte er. Folglich betrieb sie ihn. Und das löste gemäss Bozzi «Wut und Rachsucht» aus, heisst es in einer von zahlreichen Rechtsschriften, die den Streit dokumentieren und SonntagsBlick vorliegen.

Schwarzenbach zog vor Gericht und verlor ein erstes Zivilverfahren. Danach reichte er eine Strafanzeige ein. Er beschuldigt Bozzi, sie habe ihm über 20 Kunstwerke gestohlen. Bozzi zeigte Schwarzenbach wegen Verleumdung und falscher Anschuldigungen an. Die Kunst gehöre ihr, geschenkt vom Patron in der Zeit als dessen enge Mitarbeiterin.

Am vergangenen 9. Januar hätte es zur ersten öffentlichen Verhandlung in Meilen ZH kommen sollen. Zuerst liess sich Schwarzenbach krankschreiben, danach sein Anwalt. Der Richter vertagte das Geschäft. Es ist eines von 16 Rechtsverfahren, die der Streit um die 130 000 Franken bisher ins Rollen gebracht hat.

Anwälte beider Parteien haben Hunderte von Seiten dazu verfasst und die Schriften bei verschiedenen Gerichten eingereicht. Die Dokumente gewähren einen Einblick in eine Welt, die wenig mit dem Alltag vieler Schweizerinnen und Schweizer gemeinsam hat. Es ist eine Welt mit exquisiter Kunst, rauschenden Partys, mit Häusern in Italien und im Engadin. Und doch ist es eine Welt, die alle kennen. Mit unerwiderter Liebe, gekränkten Egos, einem bösen Erwachen – und den Steuerbehörden.

Die Baslerin Pina Bozzi schloss 1998 ein Studium der Kunstgeschichte ab. Damals war sie 27 Jahre alt und heuerte bei der Kunstsammlung von Urs E. Schwarzenbach an, dem Devisenhändler, der laut «Bilanz» über ein Vermögen von 800 bis 900 Millionen Franken verfügt. Er selbst bezeichnet sich als Milliardär. Wobei er betont: «Ich bin ‹asset rich› und ‹cash poor›.» Er habe viele Besitztümer, insbesondere weltweit mmobilien, sei aber nicht besonders flüssig.

Seine Kunstsammlung umfasst eigenen Angaben zufolge über 10 000 Werke. Die Öffentlichkeit kennt ihn als Besitzer des Zürcher Luxushotels The Dolder Grand. Für Schlagzeilen sorgt er seit Jahren, weil er sich mit den Zoll- und den Steuerbehörden zofft. Bekannt wurden dabei finanzielle Beziehungen zum Sultan von Brunei.

In diese luxuriös-geheimnisvolle Welt tauchte die junge Pina Bozzi ein, Tochter sizilianischer Einwanderer, aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen.

Rasch stieg sie auf und übernahm die Leitung der Sammlung. Zwischen ihr und Schwarzenbach entwickelte sich eine Beziehung, die «trotz gelegentlicher Irritationen» von «grosser Intensität und tiefem Vertrauen» geprägt war, geht aus ihrer Strafanzeige hervor; sie bestätigt es im Gespräch.

Schwarzenbach nahm sie mit an Anlässe, auf Reisen, an Kunstmessen. Sie fuhr in eleganten Wagen mit, flog in Privatjets, besuchte Gestüte und Poloturniere. Es war ein Leben im Überfluss, das ihr zuweilen unangenehm war. Feste auf imposanten Landgütern erinnerten Bozzi an «den französischen Sonnenkönig», wie sie sagt. «Es wirkte wie im Märchen.»

Angetan war sie von der Sammlung. Die Kunsthistorikerin konnte Werke nicht mehr nur in Büchern oder Museen anschauen, sondern sie hatte fortan direkt Zugang zu Gemälden, Antiquitäten, Skulpturen, Silber und Schmuck. Die Werke lagerten weltweit verstreut in Liegenschaften und Depots, die sie besuchte, verwaltete und beaufsichtigte. Bozzi war die Herrin eines Schatzes. Bis sie die gesamte Sammlung gesehen hatte, verstrichen zehn Jahre.

Schwarzenbach war von ihr angetan, wie aus der Strafanzeige gegen ihn hervorgeht. Er beförderte die Verwalterin der Kunstsammlung zu seiner persönlichen Beraterin. Gerne kokettierte er mit der gut aussehenden Akademikerin, die fünf Sprachen spricht und einen «unterhaltsamen politischen Linksdrall» habe.

Grosszügig beschenkt

Dabei habe er sich ihr gegenüber «zunehmend vereinnahmend und kontrollierend» verhalten. Anderen untersagte er es, Bozzis Dienste in Anspruch zu nehmen. «Sie sollte ihm allein und exklusiv dienen», heisst es in ihrer Strafanzeige. Jederzeit wollte er wissen, wo sie sich gerade aufhielt. Schwarzenbach soll darauf bestanden haben, als Einziger ihren Arbeitskalender einsehen zu dürfen.

Liebesbekundungen erhielt Bozzi von Schwarzenbach schon kurz nach ihrem Eintritt in das Unternehmen, so ihre Strafanzeige. Bozzi war anfangs «sehr irritiert», später prallten die Bekenntnisse an ihr ab. Heute stuft sie sie als «Teil seines extremen und vereinnahmenden Charakters» ein.

Sie hielt ihn auf Distanz, heiratete, 2005 kam ihr erstes von drei Kindern zur Welt. Trotzdem beschenkte er sie grosszügig. Die in den Strafanzeigen dokumentierte Liste der materiellen Zuwendungen ist atemberaubend. Um die Jahrtausendwende kaufte Schwarzenbach für Bozzi ein Haus in der Stadt Basel für eine Million Franken. Er liess es für 1,5 Millionen Franken umbauen und überschrieb es später auf sie. Er schenkte ihr zwei Millionen Franken, für die sie im Kanton Basel-Landschaft ein Haus baute. Sie erhielt Aktien der Dolder Hotel AG sowie wiederholt Bargeld, Schmuckstücke sowie antike Möbel. Schwarzenbach liess seiner Beraterin eine Kreditkarte von American Express ausstellen. Bozzi durfte sie geschäftlich und privat nutzen. Als der Streit losging, gab Schwarzenbach an, es habe sich um Darlehen gehandelt.

Beim Schenken zeigte er zuweilen Humor und Mitgefühl. Einst überliess er seiner «Vorzeigekommunistin» eine Erstausgabe des kommunistischen Manifests von Karl Marx aus dem Jahr 1848. Als ihre Mutter starb und sie in ein Loch fiel, konnte Bozzi sich monatelang freinehmen, bei vollem Lohn. Schwarzenbach beauftragte den italienischen Künstler Francesco Clemente (71), ein Porträt von ihr zu malen – für 45 000 Franken.

Alles nahm Bozzi nicht an. Sie lehnte eine Wohnung in St. Moritz GR im Wert von sechs Millionen Franken ab und ein Haus in der Toskana im Wert von sieben Millionen.

Besonders generös soll Schwarzenbach mit Kunst gewesen sein. Laut ihrer Strafanzeige schenkte der Patron seiner Untergebenen gegen 30 Werke von renommierten Künstlern wie Pablo Picasso, Julian Schnabel, Sophie Täuber-Arp, Alberto Giacometti und Auguste Rodin.

Dem widerspricht Schwarzenbach. Er behauptet in einer im Juni 2021 eingereichten Strafanzeige, Bozzi habe diese Werke ohne seine Einwilligung mitgenommen und böswillig ohne sein Wissen aus dem Katalog seiner Sammlung gelöscht. Der Frau, die er offenbar anhimmelte, wirft er vor, ihn bestohlen zu haben: Kunst im Wert zwischen neun und 14 Millionen Franken. Sie hätte beim Verkauf eines dieser Werke dem Auktionshaus Sotheby’s falsche Angaben gemacht. Was sie eindeutig überführe.

Das sei falsch und verleumderisch, entgegnet Bozzi per Strafanzeige gegen Schwarzenbach. Sie schildert, wie die Kunstwerke zu ihr gekommen seien, selbst solche, die Schwarzenbach nicht vermisst. Der Financier gebe den Wert der ihr geschenkten Kunst als zu hoch an.

Barschenkungen, einzelne Gegenstände und die Liegenschaften sind dokumentiert. Für die Kunst hingegen fehlen Schenkungsurkunden. Darauf habe Schwarzenbach bewusst verzichtet, da seine Frau es nicht erfahren sollte, so die Strafanzeige. Dem widerspricht Schwarzenbachs Anwalt. «Das ist eine Schutzbehauptung dieser Frau, weil sie keinerlei Beweise für die angeblichen Schenkungen hat. Im Gegenteil: In einer seinerzeit mit ihr abgeschlossenen Vereinbarung, sind sämtliche Geschenke erwähnt, die sie von Herrn Schwarzenbach im Verlauf der Jahre erhalten hat. Aber Kunstwerke sind keine aufgelistet. Denn Herr Schwarzenbach hat ihr die betreffenden Kunstwerke gar nicht geschenkt.»

Bozzi hat die Kunst dem Steueramt nicht deklariert. Sie erklärt dies in der Strafanzeige mit Schwarzenbachs «Diskretionserfordernissen». Deshalb habe sie sich nie schriftlich bei ihm bedankt. Schwarzenbachs Anwälte hätten ihr erklärt, es würden keine Schenkungssteuern anfallen, da der Schenker zum Zeitpunkt der Schenkung im Ausland lebte.

Steuergeschichten veränderten das Verhältnis zwischen Schwarzenbach und Bozzi um das Jahr 2015. Die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) ermittelte gegen Schwarzenbach. Sie warf ihm vor, Kunst in die Schweiz gebracht zu haben, ohne diese zu deklarieren. Schwarzenbach musste Nachsteuern in Millionenhöhe zahlen. Noch ist in dieser Sache ein Strafverfahren gegen ihn hängig. Entscheiden muss darüber das Bundesgericht.

Aus diesem juristischen Minenfeld wollte Bozzi raus, zumal Schwarzenbach die Aktivitäten der Sammlung einschränkte und ihr das Personal weglief.

Zuletzt verdiente sie 200 000 Franken pro Jahr. Ende Februar 2016 löste sie den Arbeitsvertrag auf und gründete ein eigenes Unternehmen. Schwarzenbach war ihr Kunde; er überliess ihr Kunst für ihr neues Büro. Zwei weitere Jahre lang arbeitete sie für ihn auf Mandatsbasis.

Bis zum endgültigen Bruch. Ende Juni 2018 schickte sie die besagte letzte Rechnung. Statt sie zu begleichen, überzog er sie mit Klagen. «Sie selbst hat alles ausgelöst», sagt jetzt Schwarzenbachs Anwalt. «Herr Schwarzenbach hat diese letzte Rechnung natürlich nicht beglichen, nachdem er feststellte, dass diese Frau ihm Kunstwerke im Wert von rund zehn Millionen Franken gestohlen hatte.»

Die Polizei durchsuchte Bozzis Haus im Beisein ihrer Kinder. Zeitweise waren ihre Bankkonten gesperrt. Die Polizei stellte alle ihre elektronischen Geräte sicher – und nahm sie zwischenzeitlich fest. «Das Vorgehen von Urs E. Schwarzenbach gegen Pina Bozzi erinnert sinngemäss an sogenannte Slapp-Klagen, mit denen der Gegner zermürbt und finanziell ruiniert werden soll», sagt ein Anwalt von Bozzi.

Er müsse es «als ‹unerhörten Affront› empfunden haben, dass seine ‹hübsche kleine› Kuratorin es doch tatsächlich gewagt hatte, gegen ihn aufzubegehren, und damit vor Gericht sogar noch erfolgreich war», heisst es in ihrer Strafanzeige. Bozzi «soll wirtschaftlich, psychisch und gesellschaftlich zerstört werden. Dies entspricht – versinnbildlicht dargestellt – den feudalen Allmachtsfantasien» von Schwarzenbach. «Er baut Existenzen auf, kann sie – wenn Vasallen ihrem Treueschwur nicht mehr Folge leisten – aber auch jederzeit vernichten.»

Angebot zum Waffenstillstand

Es gehe ihm einzig «um Macht und um Kontrolle», sagt Bozzi, die jetzt teure Anwälte beschäftigt. «Die Sache ist irrelevant. Ob 100, 1000 oder eine Million Franken spielt keine Rolle.» Sie hätte Schwarzenbach nie betreiben sollen, sagte ein Kunsthändler zu Bozzi im Sommer 2021 bei einem Mittagessen im Restaurant Rhyschänzli in Basel. «Es geht ihm nur darum, dass ich die Frechheit gehabt habe, ihn zu betreiben.»

Der Anwalt des Financiers widerspricht ihr. «Herr Schwarzenbach hatte nie die Absicht, seine ehemalige Mitarbeiterin zu zerstören. Er mag vieles sein, aber er ist sicher nicht böse oder rachsüchtig.» Er streckt die Hand aus: «Sie hätte jederzeit zu Herrn Schwarzenbach gehen können und ihm sagen: ‹Komm, wir lösen das.› Ihre Anwälte wären jetzt gut beraten, das Gespräch mit uns zu suchen. Sonst besteht die Gefahr, dass ihre Mandantin strafrechtlich verurteilt wird.» Das tönt so, als böte der Milliardär einen Waffenstillstand an. * Name geändert