Verletzte Trump die Verfassung?

Richter schliessen Trump von den Vorwahlen im US-Bundesstaat Colorado aus. Was bedeutet das für die Präsidentschaftswahlen? Eine Analyse.

Text: Peter Hossli Photo: Markus Spiske on Unsplash

Hat Donald Trump (77) einen Putsch angezettelt? Diese Frage dürften schon bald Amerikas oberste Richterinnen und Richter beschäftigen. Sagen sie mehrheitlich Ja, kann Trump nie mehr ein öffentliches Amt bekleiden. Sagen sie Nein, hat der ehemalige Präsident gute Chancen, erneut ins Weisse Haus einzuziehen.

Die Entscheidung fällt im Gerichtssaal. Und das ist so amerikanisch wie warmer Apfelkuchen.

Ein «Land der Anwälte und der Richter» sei Amerika, notierte der französische Gelehrte Alexis de Tocqueville (1805–1859) nach einer Reise durch die USA. Ganz im Gegensatz zum alten Europa, wo Gepflogenheiten, Vögte und Bischöfe den Alltag bestimmten. In der Neuen Welt aber sei es die Verfassung.

Diese gilt seit 1787 – und steht vor einem weiteren grossen Test. Mit einem Verdikt von 4 zu 3 Stimmen hat am Dienstag der Oberste Gerichtshof von Colorado entschieden, Trump sei von den Vorwahlen in ihrem Bundesstaat ausgeschlossen. Sie stützen das Urteil auf Abschnitt 3 des 14. Zusatzes der US-Verfassung. Demnach darf nie mehr ein Amt beim Staat bekleiden, wer einen Eid auf die Verfassung geleistet hat und danach «einen Aufstand anzettelt».

Unbestritten ist: Dieses Urteil hat Sprengkraft – und für Trump ist allein schon die Frage knifflig, ob er tatsächlich in Berufung gehen soll.

Verfassung vor Test

Nach Auffassung der obersten Richter in Colorado habe Trump am 6. Januar 2021 gegen den 14. Zusatz der Verfassung verstossen. Damals stürmten Tausende von Menschen das Parlamentsgebäude in Washington, um die Ratifizierungen der Wahl von Joe Biden (81) zum 46. US-Präsidenten zu verhindern. «Präsident Trump hat den Aufstand nicht nur angezettelt», heisst es im Urteil von Colorado. «Selbst als die Belagerung des Kapitols in vollem Gange war, unterstützte er sie weiterhin.» Seine Handlungen an diesem Tag «stellten eine offene, freiwillige und direkte Beteiligung an dem Aufstand dar».

Das Urteil sei «politisch motiviert», liess Trump umgehend ausrichten. Seine Anwälte würden es anfechten.

Vorerst gilt es nur für Colorado. In anderen Staaten nahmen die Gerichte ähnliche Klagen der Bürgerorganisation «Citizens for Responsibility and Ethics» nicht an. In Michigan ist eine Klage noch hängig. Nun hat Trump bis zum 4. Januar 2024 Zeit, beim Supreme Court, dem obersten Gerichtshof, in Washington Berufung einzulegen. Er wird sich den Schritt gut überlegen müssen. Geht er nicht in Berufung, gelangt sein Name nicht auf die Wahllisten von Colorado.

Richter befinden über Wohnrecht im Weissen Haus

Geht er in Berufung, erhalten die US-Wahlen eine Wende, bevor eine einzige Stimme abgegeben worden ist. Wie im Jahr 2000 hätten neun Richter mehr Macht über das Wohnrecht im Weissen Haus als die rund 170 Millionen amerikanischen Wählerinnen und Wähler. Heisst das Gericht das Urteil von Colorado gut, wäre Trump in allen 50 Bundesstaaten von politischen Ämtern gesperrt.

Prüfen müssten die Richter, ob Trump das 14. Amendment tatsächlich verletzt hat, also einen Aufstand anzettelte. Der Zusatz kam 1868 in die Verfassung, als Folge auf den Bürgerkrieg, der die damals noch junge Nation beinahe auseinandergerissen hatte. Die Gesetzgeber wollten aufwieglerische Personen vom Staatsdienst ausschliessen. Zur Anwendung kam der Zusatz bisher selten, er ist vage formuliert, die Präsidentschaft nicht ausdrücklich erwähnt. An Universitäten allerdings diskutieren Staatsrechtler seit dem 6. Januar 2021, ob das ein Putsch gewesen sei. Wenn ja, ob Trump ihn verantwortet.

Das Urteil von Colorado drängt die Fragen aus den Vorlesungs- in die Gerichtssäle. Hier sind die Hürden hoch. Lehnen die Richter in Washington die Berufung ab, wäre Trump nur in Colorado von den Vorwahlen ausgeschlossen. Auf die dortigen Stimmen wäre er nicht angewiesen, um Kandidat der Republikaner zu werden.

Allerdings scheint der Sturm auf das Kapitol von beachtlicher nationaler Bedeutung zu sein, sodass das Gericht den Fall annehmen dürfte. Die Vorteile liegen bei Trump. Sechs der neun Richter gelten als konservativ. Sie legen die Verfassung traditionell aus und lehnen politische Einmischungen ab. Drei von ihnen hat Trump selbst bestellt. Auf ihre Loyalität kann er wohl zählen.

Und bei seinen Anhängern hat seine Beliebtheit nach jedem Angriff vor Gericht zugenommen.