Von Peter Hossli, Rafaela Roth und Samuel Tanner
Als am Freitag die Spitze der SRG vor die Medien trat, ging es um den grössten Star, den das Schweizer Fernsehen je hatte. Darius Rochebin, der langjährige Moderator der Tagesschau von RTS, «notre Darius», wie er genannt wurde. Ein Mann, der Putin und Macron interviewte. Rochebin war so gross, dass er es nach Frankreich schaffte. Seit dem vergangenen Sommer arbeitete er für die französische Anstalt LCI. Dann wurde er suspendiert. Am Ende dieser Medienkonferenz konnte Rochebin nun aufatmen, er wurde entlastet.
Im Oktober hatte die Zeitung «Le Temps» schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. Rochebin habe Mitarbeitende sexuell belästigt und seine Macht missbraucht. Nun stellte eine Anwaltskanzlei, die von der SRG mit der Untersuchung beauftragt worden war, in einem Bericht fest: Es konnte seitens Rochebins keine sexuelle Belästigung, keine Persönlichkeitsverletzung und kein Mobbing festgestellt werden. Strafrechtlich relevante Vorwürfe haben sich keine erhärtet.
Die «NZZ am Sonntag» erreichte Darius Rochebin am Freitagabend. Vorerst möchte er sich nicht äussern. Der Fernsehmann will den Entscheid abwarten, ob er wieder moderieren darf. Zudem liegt der Schlussbericht der Untersuchung erst im Juni vor.
Rochebins Anwalt Vincent Solari zeigt sich zufrieden. «Die Untersuchungsergebnisse bestätigen vollumfänglich, was wir von Beginn an erklärt haben: Es liegen keine Anzeigen, keine sexuelle Belästigung und keine strafbaren Handlungen vor», sagt er. Gegen die Zeitung «Le Temps» und die beteiligten Journalistinnen und Journalisten hat Rochebin bereits eine Klage in Frankreich eingereicht. Rochebin strebt ein zivilrechtliches Verfahren mit Schadenersatzklage an.
Auf Anfrage bestätigt SRG-Sprecher Edi Estermann, dass auch das Medienunternehmen rechtliche Schritte gegen «Le Temps» prüfe. «Wir können uns vorstellen, gegen die Zeitung juristisch vorzugehen.»
Ist dies die Geschichte der verlorenen Ehre des Darius Rochebin? Es ist komplizierter.
Der «Le Temps»-Artikel «La RTS et la loi du silence», der alles in Bewegung brachte, wurde letzte Woche für den Swiss Press Award nominiert. Laut Jury-Präsident Fredy Gsteiger, der als stellvertretender Chefredaktor bei SRF arbeitet, bleibt der Artikel im Rennen: «Der Artikel von ‹Le Temps› wird durch diese Untersuchung in keinem Punkt dementiert. Er ist und bleibt einer der Artikel, die im vergangenen Jahr viel bewegt haben.»
Auch bei der Zeitung «Le Temps» reagiert man gelassen. «Die Ergebnisse des anonymisierten Zwischenberichts negieren in keiner Weise das, was wir in unserer Recherche geschrieben haben», sagt «Le Temps»-Journalist Boris Busslinger, der als Co-Autor am ersten Artikel über Darius Rochebin und die anderen RTS-Kadermitarbeiter beteiligt war. «Unabhängig davon, wie RTS die beiden Fälle beurteilt, bleiben die Fakten bestehen.»
Fakt ist: Im am Freitag präsentierten Zwischenbericht wurden nur 43 der 237 Aussagen berücksichtigt – und unter ihnen befinden sich ausschliesslich RTS-Angestellte. Die Recherchen von «Le Temps» basieren auf Aussagen vieler Personen, vorwiegend junger Männer, die in dieser Untersuchung nicht befragt worden sind.
Der welsche Komiker Thomas Wiesel informierte RTS, dass Rochebin mit anonymen weiblichen Konten auf Facebook unterwegs war. Jetzt sagt er: «Die Untersuchung betraf nur RTS und hat daher weder die Opfer berücksichtigt, die sich im ‹Le Temps›-Artikel äussern, noch die Zeugen, von denen ich einer bin.» Ein weiterer junger Mann, der Kontakt mit Rochebin hatte, bestätigt, dass er nicht zu einer Aussage eingeladen worden war.
Die Rehabilitation von Rochebin sei «mit Vorsicht zu geniessen», sagt eine Person, die den Fall gut kennt. «Er hat sich vieles rausgenommen, das grenzwertig ist.» Bekannt und belegt ist, dass er anonyme Facebook-Konten betrieben und damit Personen in die Irre geführt hatte – Männer wie Frauen, und besonders junge Menschen.
Später ist er für die Konten abgemahnt worden, zumal dieses Verhalten den Regeln von RTS widerspricht.
«Le Temps» schrieb damals, Rochebin habe versucht, eine Frau zu küssen. Und an einem Apéro an Silvester 2006 habe er die Hand einer anderen Frau genommen und in seinen Schritt gelegt. Die zwei betroffenen Frauen sind in der Untersuchung befragt worden. Bei der Befragung hätten sie ihre Aussagen abgeschwächt, sagt eine Person, die den Fall kennt. Und wichtiger noch: Sie haben keine Strafanzeige erhoben gegen Rochebin. Gemäss Strafgesetzbuch ist sexuelle Belästigung ein Antrags- und kein Offizialdelikt.
«Rochebin hat mehr gemacht, als er durfte», erklärt es eine Person. Er habe seine Macht und seinen Sonderstatus überstrapaziert. Auf der anderen Seite gebe es Neider, die die Lichtgestalt nach ihrem Weggang nach Frankreich gezielt demontiert hätten. Jüngere Journalisten bei RTS hätten einen Groll auf Rochebin gehabt und hätten die Zeitung «Le Temps» ständig mit Informationen beliefert. Diese nahm das dankbar an.
Das Bild des Darius Rochebin bleibt diffus. Klarer ist das Bild geworden, welches das Arbeitsklima bei RTS zeigt. Insgesamt sind bei der SRG seit November letzten Jahres 237 Rückmeldungen eingetroffen. 7 betrafen Rochebin. Keine davon war strafrechtlich relevant. Von den 237 Meldungen gehe es insgesamt selten um sexuelle Belästigung, sondern vielmehr um Lohnungleichheit und das ruppige Umfeld. Der Zeitraum der Beanstandungen umfasse zwanzig Jahre.
Der Untersuchungsbericht, den die Spitze der SRG am Freitag vorgestellt hat, ist erst ein Zwischenbericht. Die Untersuchungen gehen weiter. Aber Darius Rochebin werden sie nicht mehr belasten. Er wird, so wie es aussieht, bald wieder am Bildschirm erscheinen.