Von Peter Hossli
Der Zürcher Kreis 6 liegt am Fuss des Zürichbergs. Jugendstilhaus reiht sich an Jugendstilhaus. Wer hier leben kann, kann sich ein gutes Leben leisten. Abends ist es still, abgesehen von quietschenden Trams und bellenden Stadtfüchsen.
Nicht so diese Woche: Der Kreis 6 hat sich in Little Istanbul verwandelt. Statt Füchse hört man türkische Gespräche, feiern Türken tagsüber Partys.
An der Weinbergstrasse – der Ader durch den Kreis 6 – liegt das türkische Generalkonsulat. Es ist neben dem Konsulat in Genf und der Botschaft in Bern einer von drei Orten, wo 96000 in der Schweiz registrierte wahlberechtigte Türken ihre Stimme zur umstrittenen neuen türkischen Verfassung abgeben können.
Der Andrang sei riesig, sagt Wahlbeobachter Hakan Parlak (42). Am Donnerstag hätten 2002 Personen abgestimmt, am Freitag waren es 2120, gestern Samstag 2025. «Das sind mehr als am besten Tag bei den türkischen Parlamentswahlen im November 2015», sagt Parlak.
Autos mit Nummernschildern aus dem Thurgau, dem Aargau, aus beiden Basel belegen die Parkplätze im Quartier. Sowohl die Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (63) wie die Opposition bringen Stimmberechtigte mit Bussen nach Zürich.
«Ich habe das Gefühl, ich lebe in Südeuropa und nicht mehr in einem Schweizer Bünzli-Quartier», so eine Anwohnerin.Die Abstimmung verlaufe «neutral und friedlich», so Wahlbeobachter Parlak. Es werde viel Wert darauf gelegt, dass allen das Prozedere ohne Beeinflussung erklärt werde. «Fairness wird grossgeschrieben.»
Gestern kochten Kurden für alle das Mittagessen. Religiöse Frauen, die Kopftücher tragen, unterhalten sich mit säkularen Türken. Ja-Stimmende palavern mit Nein-Stimmenden. «Im Vorfeld der Abstimmung war die Debatte sehr gereizt», sagt Parlak. «Sehe ich die neutrale Stimmung im Wahllokal, so stimmt mich das für die Zukunft sehr zuversichtlich, egal wie das Resultat ausfällt.» Seine Prognose für die Schweiz: «60 Prozent stimmen mit Nein.»
Auslandtürken können noch bis am 9. April abstimmen. Das Resultat steht am 16. April fest, nachdem die Türken in der Türkei an der Urne waren.