Wo Trump der Messias ist

Nirgendwo hat Donald Trump mehr Anhänger als in Grundy, Virginia. Die Kumpel glauben, er rette die Kohle.

Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Fotos)

aufmacher_tuckerEin Klirren zerschlägt die idyllische Stille. Es ist der schrille Ton des Förderbandes, das schwarzes Geröll aus dem Berg zieht. «Weniger als früher», sagt Danny Tucker (53), die Stimme und das gebräunte Gesicht rau, die Augen sanft. «Aber noch reicht es.»

Noch lebt Grundy in den Appalachen, will Tucker damit sagen. Aber der Tod liegt bereits in der Luft.

Vor zwei Jahren kaufte er die Mine in Virginia. Täglich gibt sie 1000 Tonnen schwarzes Gestein her. Vierzig Prozent davon kann er als Schwarzkohle verkaufen. Ein gutes Geschäft? «Schon lange nicht mehr», so Tucker. Er betreibt es, weil er nicht anderes will. In fünfter Generation ist er Kumpel. Eine sechste, fürchtet er, wird es nicht geben. «Der Präsident zerstört die Kohle.»

Weil Barack Obama (54) ein Grüner sei und Erdgas fördere.

Dann sagt Tucker, was in Grundy jeder fast jeder laut sagt: «Unsere einzige Chance ist – Trump.»
Er zieht an einer Zigarette, obwohl Rauchen bei Minen verboten ist. Das ist Tuckers Mine, Tucker macht die Regeln. «Gewinnt Clinton, kannst du Kohle in Amerika vergessen.» Und damit Grundy, die Region, die ganzen Applachen. «Ohne Kohle bleibt nichts übrig.»

Weil jeder um die Existenz fürchtet, hat Trump nirgendwo mehr Zustimmung. Vor Häuser stehen, an Brücken hängen Trump-Schilder. Verspricht Trump, «Amerika grossartig» zu machen, hören Menschen in Grundy: «Ich rette eure Kohle».

Dabei war Grundy traditionell demokratisch. Bis Obama dem Klimawandel und somit der Kohle den Kampf ansagte. «Obama hasst Kohle», sagt Tucker. «Ihm ist egal, dass in den USA wegen uns die Lichter brennen.» Noch erzeugen Kohlekraftwerke einen Drittel des US-Stroms. Unter Clinton soll der Anteil weiter schrumpfen.

Ein Satz machte sie zum Feindbild in Virginia: «Wir werden Kohleminen schliessen und Kumpel zur Ruhe setzen», sagte sie im Frühling vor laufenden Kameras. Nun könnte Trump in Virginia sogar siegen.

«Clinton führt Krieg gegen Kohle»: der harsche Satz macht bei Hardee’s die Runde, dem beliebtesten Ort um zu frühstücken. Es gibt dünnen Kaffee, in Schmalz frittierte Rösti-Plätzchen. Zu Tisch sitzen pensionierte Kumpel – kräftige Kerle, die zeitlebens im Dunkeln nach schwarzem Gestein geschürft haben. «Donald Trump wird Präsident», glaubt Jamie Estep (68), ein schlaksiger Typ mit Spitzbart und Südstaaten-Akzent. «Wir schuften Tag und Nacht, um Clinton zu verhindern, sie will uns zerstören.»

Was schuften heisst, weiss er. Vierzig Jahre ging er fünfmal die Woche unter Tag, kratze zehn Stunden Kohle aus dem Berg. Nun sieht er zu, wie es täglich weniger tun. Wie die Anzahl lokaler Minen in den letzten dreissig Jahren von 600 auf 8 zurückging. Er wählt Trump, «weil Politiker uns nicht helfen», sagt Estep. «Trump ist kein Politiker, er tut, was er will.»
Er schlürft Kaffee aus dem Styropor-Becher. Am Tisch herrscht wenig Zuversicht. Jerry Blankenship (66) war 28 Jahre in der Grube. Für ein Comeback der Kohle sei es zu spät, die Nachfrage weg. «Ist eine Mine dicht, bleibt sie zu.» Daran ändern könne Trump nichts. «Ausser er zettelt einen Krieg an. Ist Krieg, boomt Kohle.» Einst gingen 10000 Kinder zur Schule, heute sind es weniger als 2000. Bereits in vierter Generation war er unter Tag. Eine fünfte gibt es nicht. «Unsere Väter arbeiteten in den Minen, unsere Kinder ziehen weg.»

Blankenship hat nie woanders gelebt als hier, in der weissesten Gegend Amerikas. Weniger als drei Prozent sind schwarz oder Latino. Der Weg hierher ist weit, die kurvigen Strassen zwängen sich durch enge Täler. Olivenöl kennt man nicht einmal vom Hörensagen.

Steil erheben sich bewaldete Hügel: Berge, in denen schwarzes Gold lagert: der wichtigster heimische Energieträger Amerikas. Kohle schmolz Stahl für die Eisenbahn, die Amerika erschloss – und für die Wolkenkratzer der Städte.

Man fühlt sich verlassen und vergessen. Lebt von dem, was Wald und Erde hergeben: wilde Tiere und Kohle. Vielen reicht das nicht mehr. Wohnten 1992 noch 34000 Menschen hier, sind es nun noch 22500. Ein Haushalt im Schnitt verdient hier 22000 Dollar, halb so viel wie landesweit. Besser wird es nicht, die gut bezahlten Jobs in den Minen verschwinden.

Am Auto von Robert Hall (66) haften Aufkleber der NRA, der Waffenlobby der USA. Der kräftige Republikaner führt das Wahlbüro Grundys. Er registriert Wähler, ist verantwortlich, dass am Wahltag im November alle Stimmen gezählt werden. «Bei mir rennen die Leute die Bude ein – Wegen Trump.»

Er erwartet die höchste Wahlbeteiligung aller Zeiten. Weil Trump selbst jene an die Urne lockt, die Politiker nicht mehr trauen. «Wir haben ja nichts zu verlieren», sagt Hall. «Warum sollten wir es nicht mal mit Trump versuchen?»

37 Jahre lang holte er mit Lastwagen Schlacke von Minen ab und fuhr sie zum Verladebahnhof. Bis vor kurzem arbeitete seine Tochter für die Arbeitslosenkasse von Grundy. Selbst für sie hat es kaum Arbeit, sie zog nach North Carolina.

Gegen Umweltschützer habe er nichts, so Hall. Kohle sei nicht sauber. Aber: Schliessen die Politiker die Minen, sollten sie etwas anderes öffnen. «Alles, was sie uns beibringen, ist wie man einen Koffer packt und Grundy verlässt.»

Er isst im Dotson’s Drive-In, einem Diner an der Hauptstrasse. Was auf den Teller kommt, war zuvor im Gefrierfach und der Fritteuse. Kathy Coleman (43) serviert es. Ihr Bruder fährt Kohle, ihr Mann ist Kumpel, ihr Vater war es. «Früher blieben wir Frauen daheim, kümmerten uns um die Kinder.» Das Geld der Mineure reicht dafür nicht mehr. Sie wählt «sicher nicht Hillary», obwohl sie als erste Frau Geschichte schreiben könnte. Nicht nur, weil sie Clinton für eine Lügnerin hält. «Wichtiger ist, dass Trump die Kohle zurück bringt.»

Wenn er das nicht schafft? «Verschwinden Kentucky, Virginia und West Virginia von der Landkarte, dann braucht es uns nicht mehr.»

Wie mancher Kumpel führt Raymond Slate (59) einen Bauch vor sich her. Bereits in dritter Generation ist er Mineur, seit 42 Jahren unter Tag. Er hat eine Tochter. «Ihren Mann schulte ich vom Fahrer zum Mineur um». Er besorgte dem Schwiegersohn einen Job in der Mine. «Weil er dort mehr verdient.»

Slate wählt Trump, «da Clinton Obama verlängert, und Obama hat die Kohle getötet.» Traut er Trump? «Wir haben keine andere Wahl, er ist unsere letzte Chance.»

Sein Chef, Danny Tucker, steht in einem engen Container, raucht. Von hier überwacht er drei Löcher, die in den Berg führen: den Schafft fürs Förderband; einen für die Kumpel; einen dritten, über den ein Generator Sauerstoff ins Innere bläst. Elf Mineure hat er unter Tag. Bis alle wieder draussen sind, ist er nervös. «Ein gefährlicher Job», sagt Tucker. Ungefragt sagt er: «In den letzten 115 Jahren starben in US-Minen genau 104870 Menschen.»

Eine Zahl, die jeder auswendig kennt. Tucker raucht. «Du musst Respekt haben vor dem Berg.»