Von Peter Hossli
Eine Zehnernote zum Frühstück gab es heute Morgen in Zürich. Vier junge Frauen in glitzernden Röcken verteilten im Hauptbahnhof 10’000 Franken in bar. Hunderte von Passanten waren eigens gekommen. «Damit kann ich Zigaretten und einen Energy-Drink kaufen», erklärt ein Lehrling. «Mir reicht das fürs Mittagessen», sagt eine ältere Frau. «Für das Bier», witzelt einer, der bereits nach Bier riecht. «Weil ich mehr über die Aktion erfahren will», ist der Gymi-Schüler Lorenz Obrist (17) in den HB gekommen. «Es ist das zentrale Thema unserer Zeit – wer kann heute noch arbeiten?»
Die Aktion? Sie ist politisch. Mit dem kostenlosen Geld werben vife Aktivisten für die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen, über welche die Schweiz am 5. Juni abstimmt. Wird sie angenommen, könnte pro Monat jeder Erwachsene ohne Leistung 2500 Franken erhalten, jedes Kind 625 Franken. Einher gehen Kürzungen bisheriger Sozialleistungen.
Auf den verteilten Noten prangt ein Aufkleber: «I ♥ Grundeinkommen». Es ist der offizielle Flyer für die Abstimmung.
Die vier Verteilerinnen stecken den Pendlern das Geld regelrecht zu, lächeln, «nehmen Sie den Zehner mit, Sie müssen dafür nichts tun», sagen sie. Steht einer zweimal an, wird er nicht abgewiesen.
«Das Grundeinkommen soll ein menschenwürdiges Leben ermöglichen»
Doch darf man Geld einfach so annehmen, ohne dafür zu arbeiten? «Heute gibt es nicht mehr genug Arbeit für alle, das muss man anerkennen», sagt Che Wagner (28), Historiker und Kampagnenleiter der Initiative. Zunehmend würden Roboter und Computer leisten, was zuvor Menschen taten. «Das bedingungslose Grundeinkommen soll ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.»
Eher skeptisch ist der pensionierte Grafiker Kurt Schmidt (64), er nahm die Zehnernote nicht an. «Man arbeitet doch fürs Geld!» Seine Frau Brigitte Schmidt (57) griff zu, weil es eine organisierte Aktion ist und der Betrag die 10 Franken nicht übersteigt. «Einen Hunderter von einem Fremden hätte ich nicht genommen.»
«Geld ohne Gegenleistung motiviert micht nicht»
Die 16-jährige Gymi-Schülerin Charlotte Brombach langte, ohne zu zögern, hin, «megacool» sei die Aktion. Sie habe kein Problem, Geld anzunehmen. «Wir erhalten es von unseren Eltern ja auch bedingungslos.» Später aber, wenn sie im Beruf stehe, könne sie sich das nicht mehr vorstellen. «Bekäme ich Geld ohne Gegenleistung, könnte ich mich nicht mehr motivieren.»
Dem widerspricht Kampagnenleiter Wagner. «Das ist ein Mythos, die Tätigkeit ist der Anreiz, nicht das Geld.»
Nicht nur Schweizer holten sich Zehner ab. «Das ist lieb von euch», bedankt sich der 42-jährige algerische Tellerwäscher Mido Sigari. «Aber normal ist das nicht, wir arbeiten fürs Geld.» Dem stimmt der algerische Automechaniker Othmana Benrokia (38) zu. «Die Schweiz ist ein schönes Land, aber Geld regnet es nur im Paradies vom Himmel – und das Paradies gibt es nicht auf Erden.»
Nicht widerstehen konnte der Autor dieses Textes. Er nahm einen bedruckten Zehner mit. Und Starbucks akzeptierte ihn als Zahlungsmittel.