Von Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)
Pingu fällt auf den Schnabel. Ein Mädchen lacht, ein Junge grölt. «Thany!», rufen Kinder im Chor. Das ist Arabisch und heisst: «Nochmals!»
Ein gutes Dutzend Kinder sitzt auf grünen und roten Plastikstühlen und sieht auf den Bildschirm, der an der Container-Wand hängt. Darauf flimmern Trickfilme. «Pingu», «Tom und Jerry», wieder «Pingu». Für ein paar Stunden «erleben die Kinder etwas Normalität in einer abnormalen Situation», sagt Jesper Jensen (61). Der gross gewachsene Däne leitet den Unicef-Kinderhort im Transitlager Vinojug an der griechisch-mazedonischen Grenze. «Einen kinderfreundlichen Ort» nennt er den Cointainer, wo Mütter und Kinder verweilen, aber keine Väter.
Jensen betreut Kinder auf der Flucht, syrische, irakische und afghanische. Boote brachten sie und ihre Eltern über die Ägäis. Hier in Mazedonien ruhen sie sich ein paar Stunden aus. «Wer flieht, verliert seine Fixpunkte, alles scheint ständig in Bewegung», sagt Jensen. Seit 1990 ist er humanitär tätig. «Ich helfe Menschen, sich selbst zu helfen.» Im Irak arbeitete Jensen, in Pakistan, im Kosovo, im Kongo und Ruanda.
«Bei mir können Kinder ein paar Stunden einfach Kinder sein.» Trickfilme schauen, Schoggimilch trinken. Vor allem aber zeichnen. «Zuerst fragen die Kinder immer nach Stiften und Papier», sagt er. Ob fünf oder 14 Jahre alt: «Sie wollen einfach hier sitzen und malen.»
Jensen hängt ihre Bilder im Container an die Wand. Seine Galerie berührt, ist lustig, traurig – und hoffnungsvoll. Ein Kind hat seine Familie gezeichnet, eine Mutter, den Vater, ein Mädchen. Sie alle stehen, sich an den Händen haltend, auf einem Boot, das eben von der Küste ablegt. Am Himmel kreisen Vögel. Auf der anderen Seite des Meeres lacht die Sonne.
Den Namen der Zeichnerin kennt Jensen nicht. Selten unterschreiben Kinder ihr Werk. «Diese Zeichnung steht für alle auf der Flucht», sagt Jensen.
Auf einer Zeichnung bringt das Schiff die Passagiere in ein buntes Paradies. Ein Bild, vermutlich von einem Kind unter fünf Jahren gemalt, zeigt die Angst auf der Odyssee in Wind und Regen. Auf einer weiteren Zeichnung steuert ein Soldat einen Pick-up, ein zweiter steht auf der Ladefläche, die Finger am Abzug eines Gewehrs.
Aber nicht nur Flucht und Terror halten die Kindern fest, sondern Feen, Clowns im Zirkus oder eine Giraffe, die in einer bunten Oase Wasser trinkt.
«Zeichnen spendet Trost», sagt Jensen. Kaum länger als fünf Stunden verweilen die Kinder bei ihm, dann ziehen ihre Eltern mit ihnen weiter. Fahren keine Züge nach Serbien, bleiben sie «maximal 48 Stunden». Jensen fällt auf: «In den letzten Tagen sind gesündere Kinder aus Syrien angekommen.» Am Mittwoch der erste syrische Hund, «kerngesund». Der Mittelstand verlasse Syrien, erklärt er. Zudem kämen Menschen, die in Lagern in Jordanien und der Türkei hausten – «und die Hoffnung verloren haben, zurück nach Syrien zu können». Stattdessen brechen sie nach Europa auf. «Ab März, wenn das Wetter besser wird, steigt die Zahl der Flüchtlinge an», glaubt Jensen.
Was ist dagegen zu tun? «Eine politische Frage», blockt er ab. «Mich interessiert nur der Schutz der Kinder.» Klar sei: «Die Quelle der Flucht muss versiegen.» Das heisst: Der Krieg muss enden.