Von Peter Hossli
Fünf Tage lang ist Davos wie Hollywood. Etwas, über das viele reden, aber kaum jemand versteht. Ein Mythos für Aussenstehende.
Hollywood verklären wir, ahnen, dort gehe es um Geld und Macht, um Exzesse und Glamour. Sind angewidert und doch fasziniert. Ohne wirklich etwas davon zu wissen. Zumal wir draussen stehen.
Wer aber drinnen ist, trifft vorwiegend kluge, getriebene Menschen, die hart arbeiten, stets bemüht, hochwertige Unterhaltung zu schaffen, vielleicht sogar Kunst.
Gestern Nacht ging in Davos das 44. Weltwirtschaftsforum (WEF) zu Ende. Eine Veranstaltung wie Hollywood. Wo Exzesse auf Glamour treffen, wie wir erahnen, Reiche und Mächtige die Welt aufmischen, bewacht von Scharfschützen, eingezäunt von Stacheldraht. Das fasziniert und widert an.
Hinter den Absperrungen aber, drinnen im Kongresszentrum, begegnen sich gescheite und offene Menschen. Die etwas bewirken wollen. Die Ideen haben. Das packt. Zumal nichts mehr anregt, als spannende Menschen, die Ideen teilen.
Das beginnt oft in Socken. Beim Eingang ziehen Marissa Mayer (38), Al Gore (65) und Christine Lagarde (58) ihre schweren Winterstiefel aus, schlüpfen in bequeme Schuhe, starten Gespräche. Neugierde treibt ihr Reden, nie Zynismus. Ein britischer Professor der Universität Cambridge erzählt, warum er in Chile Gletscher vermisst. Eine Amerikanerin, wie sie in Afghanistan und im Sudan Radiostationen aufbaut. Der Chefredaktor von Al Jazeera berichtet von fünf Reportern, die in Ägypten gefangen gehalten werden. Hollywood-Star Matt Damon (43) legt eindringlich dar, warum dreckiges Wasser weltweit mehr Menschen tötet als Patronen und Granaten.
So entsteht ein Flickwerk aus Gedanken, das zu einem Ganzen zusammenwächst. Zu dem, was WEF-Gründer Klaus Schwab (75) den «Geist von Davos» nennt.
Der Puls der Welt ist hier greifbar. «Wie ist die Stimmung?», lautet jedes Jahr die häufigste Frage. Gegen Ende Woche kristallisiert sich ein Konsens. Der Optimismus ist zurück, heisst es heuer, die Krise sei verflogen. Mehr von Chancen als von Problemen ist die Rede.
Ätzend nur, wenn Europäer klagen. Wie oft. UBS-Präsident Axel Weber (56) etwa, der vor einer europäischen Tea Party warnt. Wohltuender, wie Amerikaner frohlocken, Inder und Mongolen, Japaner – und sogar die Iraner.
Flammend, wie Japans Premierminister Shinzo Abe (59) die Renaissance der jahrelang nur vor sich hin dümpelnden Nation preist. Auf Zuwanderer und auf Frauen setze Japan – ausgerechnet das so männliche und verschlossene Land.
Mitreissend der aufgekratzte Optimismus des amerikanischen Aussenministers John Kerry (70). Frieden in Nahost sei greifbar, beschwört er – und erntet stehenden Applaus. Zumal er Lösungen anbietet. Nicht Hindernisse, die Möglichkeiten müssten im Fokus stehen. «Alle wissen, was es braucht – jetzt müssen wir es nur noch umsetzen.» Nächstes Jahr könne es einen palästinenischen Staat geben.
Ermutigend, wenn Irans Präsident Hassan Rohani (65) klipp und klar verspricht, keine nuklearen Waffen zu entwickeln.
Und doch – Geschichte geschrieben hat Davos 2014 nicht. Rohani traf Kerry nicht. Der herbeigesehnte Handschlag zwischen iranischem und israelischem Präsidenten blieb ebenfalls aus. Stattdessen boten sich die verfeindeten Staaten ein kurioses Katz- und Mausspiel.
Ohnehin hinterlässt der geschmeidige – vielenorts gefeierte – Auftritt von Rohani einen bitteren Nachgeschmack. Schwab gelang es nicht einmal, ihm das Wort «Israel» zu entlocken. Noch fehlen handfeste Taten zu den wohlklingenden Worten. Vor zehn Jahren schon trug Irans Präsident Mohammad Chātami (70) in Davos die gleiche versöhnliche Botschaft vor.
Kurz danach begann in Iran eine höchst repressive Zeit.