Das Geschäft mit Leid und Elend

Bei Schweizer Hilfswerken löst der Taifun auf den Philippinen Hektik aus. Denn sie wissen: Katastrophen bringen viel Geld in die Spendenkassen.

Von Peter Hossli

Schrecklich, die Bilder von den Philippinen. Unfassbar das Leid, über das Reporter aus dem südostasiatischen Inselstaat berichten. «Schlimmer als die Hölle» sei die Verwüstung, die der Taifun Haiyan ins Land getragen hat, schreibt das britische Magazin «Economist».

Tausende starben, zwölf Millionen sind von der Katastrophe betroffen. Nur schleppend gelangt die Hilfe zu den Bedürftigen. Kinder suchen ihre Mütter, Väter ihre Kinder. Chaos und Hunger gehen Hand in Hand.

Für Schweizer Hilfswerke aber ist das Unglück ein Segen. 2013 war für sie kein besonders gutes Sammeljahr, 2012 sogar ein schlechtes. Katastrophen blieben aus, Spender geizten mit Gaben. Das dürfte sich nun ändern. «Bei Naturkatastrophen spenden Schweizer deutlich mehr, als wenn nichts passiert», sagt Professor Georg von Schnurbein vom Centre for Philanthropy Studies der Universität Basel. «Naturkatastrophen erleichtern Geldsammlern die Arbeit.»

Und sie arbeiten emsig. Kaum hatte der Wirbelsturm die Philippinen erreicht, riefen Caritas, Terre des hommes, Heks, Fastenopfer und viele andere zum Spenden auf – mit Sammelkonten, die den ­Vermerk «Nothilfe Philippinen» tragen. Ergreifende Bilder, wissen sie, erzeugen schweizweit Mitleid und öffnen die Portemonnaies – gerade in der besinnlichen Zeit.

Hart umkämpfter Markt
«Es gibt eine klare Korrelation zwischen Katastrophe und Spendenaufkommen», sagt der Sprecher der Heilsarmee, Martin Künzi. «Hilfswerke, die für die Philippinen sammeln, profitieren vom Impuls, sofort die Not lindern zu wollen.»

Dabei ist genau das gar nicht möglich. Geld etwa, das die Glückskette sammelt, fliesst nur zu einem Fünftel in die Nothilfe. Zumal die zum Überleben wichtigen Güter längst gekauft und bezahlt sind.

Das Gros der Einnahmen vergibt die Glückskette an langfristige Projekte. Um solche vor Ort zu finden, sind Mitarbeiter von Partnerorganisationen mit ihren Satelliten-Telefonen rasch ins Krisengebiet geflogen. Sie wissen: Die besten Projekte erhalten am meisten Geld.

Morgen Montag hält die Glückskette auf den Kanälen der SRG einen nationalen Sammeltag ab. Auch sie zählt darauf, dass der Taifun bei Schweizern Mitleid erregt.

Erst sieben Millionen Franken konnte sie dieses Jahr sammeln. 2012 nahm sie nur 18 Millionen Franken ein, deutlich weniger als sonst. 2011 waren es 62 Millionen, im Jahr zuvor sogar 120 Millionen Franken. «Ein Jahr mit schwerwiegenden Katastrophen ist ein Jahr mit vielen Spenden für die Glückskette», schildert deren Sprecherin Daniela Toupane die harte Realität ihres Metiers.

Bei Desastern wie den Unwettern in Gondo VS im Jahr 2000 stieg der Spendenfluss markant an, ebenso nach dem Tsunami in Asien 2004, dem Erdbeben in Haiti 2010 und den Fluten in Pakistan 2011. Ist die Natur gnädig, versiegen diese Gaben. So spendeten Schweizer 2010 noch 694 Franken pro Haushalt, 2012 nur 382 Franken, wie der Spendenmonitor des Forschungsinstituts gfs-zürich belegt.

«Der Spendenmarkt ist ein hart umkämpfter Markt», sagt Lorenz Spinas, Inhaber der Agentur Spinas Civil Voices, die Werbekampagnen für Nonprofit-Organisationen entwickelt. Seit Jahren habe das Spendenaufkommen in der Schweiz kaum zugenommen. «Gleichzeitig sind viele neue Akteure hinzugekommen, die um Spenden werben», so Spinas. Es herrsche ein «harter Verdrängungswettbewerb» unter den Hilfswerken.

Organisationen «mit klarem Profil» seien erfolgreich. «Katastrophen sind Profilierungsmöglichkeiten», so Spinas. «Ist eine Organisation in einer Katastrophe präsent, gilt sie als rasch handelnd und agil – das ist positiv.» Zumal die Branche generell eher träge wirkt.

Hilfe für Afrika gestoppt
Brennt es, setzt sie ihre Maschinerie in Gang. So hat World Vision bereits 870000 Flyer verteilt mit der Botschaft, 120 Franken könnten einer Familie auf den Philippinen «ein Dach über dem Kopf» sichern.

Das Fastenopfer hebt die «über 10000 Todesopfer» hervor – und das noch tagelang nachdem die Opferzahl nach unten korrigiert wurde. Mit Floskeln buhlt das Hilfswerk um Bares: «Das Elend kennt kaum Grenzen – unterstützen Sie die Nothilfe von Fastenopfer auf den Philippinen.»

Die Heilsarmee bittet um Spenden für die Philippinen, obwohl «wir unser Geld vor allem in der Schweiz einsetzen», sagt Sprecher Künzi. «Im Moment ist das Thema Philippinen wichtig, da möchten wir die Möglichkeit zu geben anbieten.»

Solidar Suisse hat einen brieflichen Spendenaufruf für Brunnen in Mozambique sofort sistiert. «Es macht schlicht keinen Sinn, jetzt dafür Geld zu sammeln», sagt Sprecherin Eva Geel. «Es ist ein gutes Projekt, aber in den Köpfen der Spender sind die Philippinen, nicht Mozambique.» Derweil hat Solidar Suisse einen Versand für ein Nothilfe- und Wiederaufbauprojekt auf den Philippinen vorbereitet. «Uns ist es wichtig, dass wir dort etwas bewirken können.»

Einfach wird das nicht sein. Das Land zählt zu den korruptesten der Welt. Oft versickert Geld, bevor es wirksam eingesetzt werden kann. Die Infrastruktur ist vielerorts in derart schlechtem Zustand, dass riesige Investitionen notwendig wären.

Gleichwohl haben Hilfswerke sofort reichlich Geld für das Inselreich gesprochen. So stellte Caritas Schweiz 500000 Franken zur Verfügung – im Wissen, mehr zurückzuerhalten. In Katastrophensituationen erhalten Hilfswerke für jeden investierten Franken bis zu fünf Franken von der Glückskette und dem Deza, sagt Caritas-Sprecher Stefan Gribi.

Zu viel gesammelt
Jeweils «sehr grosszügig» zeigten sich Schweizer nach Katastrophen, sagt Glückskette-Sprecherin Toupane. Zuweilen sogar zu grosszügig. Rund 227 Millionen brachte die Glückskette für den Tsunami von 2004. Anfang 2012 lagen noch immer 15,8 Millionen auf dem Tsunami-Konto.

Ein heftiges Erdbeben forderte im Januar 2010 auf Haiti über 300000 Todesopfer, verwüstete weite Teile der Karibik-Insel.

66 Millionen Franken sammelte die Glückskette für Haiti. Anfang 2013 waren 21 Millionen noch ­immer nicht verteilt.

Nach Fluten in Pakistan im Sommer 2011 erhielt die Glückskette 42 Millionen Franken. Anfang 2013 lagen nach wie vor 14 Millionen auf dem Pakistan-Konto.

Das Geld sei noch da, weil es «vorher nicht effizient und nachhaltig eingesetzt werden konnte», sagt Toupane. 70 Prozent der Spenden gingen an Projekte für den Wiederaufbau, zehn Prozent für den Abschluss von Projekten, nur 20 Prozent an die rasche Nothilfe.

Das sei eine sinnvolle Aufteilung, urteilt Georg von Schnurbein von der Universität Basel. «Die Schweizer Hilfswerke gehen sorgfältig mit dem Geld um, deshalb kann es etwas länger dauern, bis die Gelder verteilt sind.»

Zweckgebundene Spenden seien zwar ein Problem. «Anderseits kann man es den Spendern nicht verbieten, ihr Geld für einen ganz bestimmten Zweck auszugeben.»

Für Non-Profit-Organisationen sei die «Glückskette ein Glücksfall», sagt von Schnurbein. Sie sammelt Geld und gibt es dann an ihre Partner weiter. «Im Vergleich zu Einzelaufrufen ist die Glückskette effizienter.»