Jeder Mensch bricht

Der hochgelobte Spielfilm über die Jagd auf Osama bin Laden erntet harsche Kritik von Folter-Gegnern.

Von Peter Hossli

Er trifft den Gefangenen mitten ins Gesicht. Tagelang lässt er den Häftling nicht schlafen. Zieht ihm die Hose runter, lässt ihn gefesselt mit nackter Scham allein mit einer Frau.

Der Peiniger ist ein Spion im Dienste der USA. Rücksichtslos foltert er einen islamischen Terroristen. So beginnt der Spielfilm «Zero Dark Thirty» von Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelow (61).

Minutenlang zeigt die Regisseurin, wie der Agent den Kopf eines geknebelten Gefangenen mit Wasser übergiesst. Der glaubt zu ertrinken. «Es ist möglich, jeden zu brechen», so der Folterknecht.

Das ist die zentrale Aussage des betörenden Werks über die zehnjährige Suche nach Terrorfürst Osama bin Laden (†54). Letzte Woche lief «Zero Dark Thirty» in den USA an, begleitet von euphorischen Kritiken – und der Debatte, ob er Folter verherrliche. Ab Januar läuft er in der Schweiz.

Nach wochenlanger Tortur an einem geheimen Ort bricht der Terrorist ein. Bei Taboulé, gefüllten Weinblättern und Fladenbrot packt er aus. Was er erzählt, hilft Geheimdienstlern, das Netz um Bin Laden enger zu spannen. Bis sie ihn im Mai 2011 in einer Villa in Pakistan orten – und töten.

Oscars scheinen «Zero Dark Thirty» sicher. Trotzdem hagelt es Kritik. Weil der Film behaupte, vor allem Folter hätte den Terroristen überführt. «Kein Waterboarding, kein Bin Laden», beschreibt ein Kolumnist der «New York Times» dessen Botschaft.

Der «New Yorker» wirft Bigelow vor, «die moralische Debatte übers Foltern zu unterschlagen». Stattdessen zeige sie, «dass harsche Befragungen eine zentrale Rolle spielten, den Kurier zu finden, der zu Bin Laden führte». Was längst widerlegt sei.

Lautstark stellt sich deshalb der einflussreiche US-Senator John McCain (76) gegen Bigelow. «Mir wurde übel», sagte er nach einer Visionierung. «Der Film zeichnet ein falsches Bild von Folter.» Brutale Befragungen brächten keine nützlichen, sondern nur irreführende Informationen hervor. McCain sollte es wissen. Fünf Jahre verbrachte er in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft und wurde dort brutal gefoltert.

Nun schloss sich der Republikaner mit zwei demokratischen Senatoren zusammen und verfasste einen scharfen Brief an Sony Pictures, das Hollywoodstudio hinter «Zero Dark Thirty». Was ungewöhnlich ist. Selten äussern sich US-Politiker zu Künstlern – aus Respekt vor der Redefreiheit.

«Zero Dark Thirty» sei «eine grosse Enttäuschung», schreiben die Senatoren. «Der Film ist grobfahrlässig irreführend, indem er suggeriert, Folter hätte Information zutage gebracht, die behilflich war, Osama bin Laden zu finden.» CIA-Akten aber würden beweisen: «Das ist nicht korrekt.»

Handelte es sich nur um dumpfes Haudrauf-Kino, wäre das nicht weiter schlimm gewesen. Doch «Zero Dark Thirty» gibt sich einen klar journalistischen Anstrich, will auf «Fakten aus erster Hand» basiert sein, die Wahrheit zeigen.

Seit Bigelow sich dem Projekt annahm, ist ihr Film ein Spielball der Politik. So fürchteten Republikaner lange, er käme vor den US-Wahlen am 6. November in die Kinos – und würde Präsident Barack Obama als Terror-Jäger preisen. Doch nicht der Präsident, eine kluge, hartnäckige Spionin findet den Terroristen. Obama spielt nicht mal eine Nebenrolle.

Er wie Vorgänger George W. Bush betonten jeweils, die USA würden nicht foltern. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 belegten jedoch Menschenrechtler, wie der CIA in entlegenen Ländern Terroristen brutal befragt.

Nun greifen Menschenrechtler Bigelow an. «Es ist besorgniserregend, wie ihr Film die öffentliche Wahrnehmung von Folter als effektives Mittel beeinflusst», sagt der Direktor des Centers for Victims of Torture.

Die Regisseurin fühlt sich missverstanden. Sie zeige im Film klar, dass eine intelligente Spionin, nicht Folter den Terroristen fand. Folterszenen wegzulassen wäre Geschichtsklitterung gewesen.

Das US-Verteidigungsministerium lieferte der Regisseurin die Details zur Jagd. Das Militär zeigte ihr Helikopter, die bei der Tötung Bin Ladens flogen. «Dafür wob Bigelow die Botschaft ein, dass Foltern etwas nützt», so Buchautor David Sirota. Kriegsfilme sind eben stets Propagandafilme.