Von Peter Hossli
Geissen seien bei den Dreharbeiten keine geschlachtet worden, versichert Lorenz Spinas. Der Bündner Werber sitzt in seinem hellen Büro im Zürcher Kreis 4. Er ist der Kopf hinter dem Werbespot, der letzte Woche die politische Schweiz in Rage versetzte.
Ein Spot, der alt Bundesrat Christoph Blocher und Bundesrat Ueli Maurer als Somalier darstellt, die in der Schweiz um Asyl bitten. Die im Blechcontainer hausen, frieren, sich langweilen. Sie hungern und kochen deshalb ihre geliebte Ziege Zottel. «Spätestens bei der Wiedergeburt als Somalier wäre mancher froh, er hätte sich damals für die Rechte der Flüchtlinge eingesetzt», endet der Film. Lanciert hat ihn die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
«Die Kampagne zeigt, wie realitätsfremd Amnesty ist», wetterte FDP-Generalsekretär Stefan Brupbacher. «Das ist im Stil der SVP», sagte CVP-Nationalrätin Ruth Humbel. Die SVP selbst gibt sich empört.
Amnesty hat ihr Ziel erreicht. Die Organisation wollte den Aufschrei. Aus ihrer Sicht hat die SVP das Thema Asyl zu lange geprägt, wird zu viel über zu hohe Kosten und schwarze Schafe statt über Menschenwürde geredet. «Das Schweizer Asylrecht hat sich in den letzten Jahren stark verschärft», sagt die Geschäftsleiterin der Schweizer Sektion von Amnesty, Manon Schick (38). «Darüber müssen wir einen Diskurs führen.» Mit Bildern weinender Kinder wäre ihr das kaum geglückt, weiss sie. «Man spricht über Kampagnen, wenn sie lustig oder schockierend sind.»
Schick heuerte Werber Spinas (52) an, um die Asylthematik ganzheitlicher darzustellen. Zehn Ideen entwickelte sein Team, zwei arbeitete es aus. Amnesty entschied sich für die Variante mit den wiedergeborenen Somaliern – eine gezielte Provokation. «Wir wussten: Das kann landesweit eine Kontroverse auslösen», sagt Spinas. «Mit reinen Fakten ist es kaum mehr möglich, Aufmerksamkeit zu erlangen und Handlungen auszulösen.» Werbung werde dann beachtet, wenn sie ein emotionales Erlebnis erzeuge.
Das gelinge den Mutigen. «Wer nie etwas falsch machen will, wird meist übersehen», weiss Spinas. Bewusst spitzt er seine Botschaften zu. «Und sie müssen einfach und intelligent dargestellt werden.»
Für die Inszenierung heuerte er den Schweizer Regisseur Alex Meier an. Der suchte gezielt Schwarze mit Körperhaltungen, die an Blocher und Maurer gemahnen. Er fand sie auf den Strassen von Zürich. Im 59 Sekunden langen Spot wird somalisch geredet. Sprecher kannte das Zürcher Lokalradio Lora, es strahlt regelmässig somalische Sendungen aus. Von einem Bündner Tierpräparator liehen sich die Werber die Hörner einer Afrikanischen Zwergziege – dieselbe Rasse wie SVP-Maskottchen Zottel.
Der Spot ist mit durchdachten Details versetzt. Die Ueli-Maurer-Figur trägt eine Afrofrisur, weil Maurer selbst einst Locken hatte. Blocher sitzt im abgewetzten Sportanzug da, in offenen, viel zu wenig warmen Sandalen, einer zu dünnen Jacke. Maurers Beine stecken in bauchigen Jeans. Es sind Kleider, wie sie viele Asylbewerber in der Schweiz tragen. Nicht weil ihnen der Sinn fürs Modische abginge: Sie können sich nichts Besseres leisten.
Zottel garen sie im billigen Alutopf auf einem einfachen Gaskocher. Als Tisch dient ein leerer, umgedrehter Bierharass.
Die fiktiven Somalier hocken im Regen. Ihr Container steht auf sandigem Grund, irgendwo im Niemandsland. «Dort, wo viele die Flüchtlinge gerne verbergen wollen», sagt Spinas. Sein Team spürte altes Filmmaterial auf, das Maurer und Blocher beim Zwiegespräch zeigt. Regisseur Meier wies die Laiendarsteller an, sich wie die SVP-Politiker in den TV-Aufnahmen zu bewegen. Er drehte vor einem Greenscreen, damit er die Bilder nachträglich ändern konnte.
Der Dreh dauerte einen Tag. Am Computer ersetzte Meier die Köpfe der Laien mit jenen von Blocher und Maurer. Er liess einen Container fotografieren, montierte ihn ins Video rein. Gerne hätte er in einem echten Asylheim gedreht. Die nötige Bewilligung erhielt er nicht.
Die Kampagne besteht nicht nur aus dem Video. Amnesty schaltet online Inserate. Sie zeigen andere als Asylbewerber verfremdete Politiker. In Bahnhöfen hängen Plakate. Auf einer Website sind viele Fakten aufgelistet. Total kostet die Aktion 150000 Franken – ein Klacks. «Es haben viele Leute günstig gearbeitet», so Amnesty-Chefin Schick.
Das Budget allein sage wenig aus über die Wirkung von Werbung, erklärt Spinas. «Eine gute Idee ist immer wertvoller als Geld.» Was ist gut? Aus Spinas’ Sicht kommen Witz, Intelligenz und eine perfekte Inszenierung an. «Die Inszenierung muss einfach und intelligent sein.» Wie bei einer guten Boulevardzeitung brauche es «eine Pointe, die alle verstehen». Der Schock hingegen, mit dem der italienische Kleidermulti Benetton lange warb, sei passé. Ideen testet er bei gut ausgebildeten, gut informierten Leuten. «Fallen sie in diesem Milieu durch, funktionieren sie meist nicht.»
Spinas betreut Kunden wie WWF, Caritas, Helvetas und Amnesty International. Organisationen, die allesamt Gutes tun wollen. Als «Agentur mit Haltung» bezeichnet er seine Firma Spinas Civil Voices. Meist teilt er die Anliegen, die er bewirbt. «Kann sich keiner unserer 30 Angestellten mit einem Thema identifizieren, lehnen wir den Auftrag jeweils ab.»
Wie kontert er Kritik, die Amnesty-Kampagne verunglimpfe Politiker, spiele zu hart auf den Mann? «Es gehört weltweit zu offenen Gesellschaften, dass man führende Köpfe mit Witz kritisieren darf.» Ist die Grenze des guten Geschmacks nicht überschritten, wenn zwei SVP-Grössen den SVP-Bock Zottel kochen? «Asylbewerber geben oft das Letzte her, das wollten wir zeigen», sagt Spinas. Niemand verlasse freiwillig seine Heimat. «Die Bevölkerung glaubt, das Asylproblem sei viel grösser, als es ist», sagt er. «Fakt ist: Seit 1999 hat sich die Zahl der Asylsuchenden halbiert, gefühlt ist aber das Gegenteil eingetroffen.»
Als «skandalös» schelten den Spot derweil viele Politiker. «Nicht die Kampagne ist skandalös», sagt Amnesty-Chefin Schick. «Skandalös sind die letzten Verschärfungen im Asylrecht.»
Keinesfalls würdelos stelle das Video die beiden Menschen dar. «Wer es problematisch findet, Blocher als schwarzen Somalier zu sehen, sollte sich fragen, was er gegen schwarze Somalier hat», sagt Schick. Sie weist die Vorwürfe zurück, die Kampagne kopiere die Hetzinserate der SVP: Sie verstosse keine schwarzen Schafe aus der Schweiz. «Wir setzen uns für somalische Flüchtlinge ein und finden sie nicht minderwertig.»
Amnesty riskierte mit der Werbeaktion einiges, gesteht Schick. «Wir waren uns nicht sicher, ob sie funktioniert.» Das Risiko hat sich ausbezahlt. Fast jede Schweizer Zeitung griff die Kampagne auf. Online verbreitet sich der Spot blitzartig. Die «Tagesschau» von SF zeigte ihn und verhalf Amnesty so zu kostenloser TV-Werbung.
Politische Entscheide dürfte die Kampagne kaum beeinflussen, glaubt Spinas. Aber: «Sie soll Mitteparteien und Linke sensibilisieren, um sich gegen weitere Verschärfungen zu stellen.» Dazu drängen will Amnesty nun Parlamentarier. «Es hilft nichts, Flüchtlinge pauschal als Kriminelle und Schmarotzer zu diffamieren», sagt Schick. Ihre Lösung? «Eine menschenwürdige Asylpolitik mit kürzeren und fairen Verfahren.»
Für sie ist das freche Video ein Erfolg, wenn es bei vielen eine Frage auslöse: «Was geschieht, wenn ich selbst mal Flüchtling bin?»
Blocher reagierte souverän, mit Witz. «Kakao» nannte er auf tagesanzeiger.ch den Spot. «Das Markenzeichen von Ueli Maurer ist doch gerade, dass er keine Haare hat.»