Von Peter Hossli (Text) und Igor Kravarik (Illustration)
Es passiert in London, New York, Frankfurt, Zürich. Jeden Tag. Tausendfach. Banker lassen ihre feinen Anzüge aus dunklem Tuch in den Schränken, bewerben sich als Lehrer, im Gewerbe, im Journalismus. Deftige Lohneinbussen nehmen sie in Kauf, dazu einen herben Verlust an sozialem Prestige.
Ihre Lamborghinis stellen sie beim Autohändler unter, wechseln von Apartments in Wohnungen, schlürfen Cola statt Champagner.
Der Abstieg vom Geldolymp erfolgt aus einem einfachen Grund – die Finanzbranche braucht die vielen teuren Banker nicht mehr.
Es sind «Regenmacher, die im Regen stehen», wie die «Süddeutsche Zeitung» titelt. Banken und Banker, die 2007 die Finanzkrise losgetreten haben, leiden unter der grössten Krise ihrer Branche seit 1930.
Daran ändert sich so schnell wohl nichts, glaubt Oswald Grübel, einst CEO der Credit Suisse, später bei der UBS. «Die Banken werden bestimmt wieder kommen», sagt Grübel, «aber das dauert noch eine Weile.» Wie lange? «Noch fünf, vielleicht sogar zehn Jahre.» Er hält inne. «Der nächste Aufschwung kommt erst in zehn Jahren.»
Nur schlecht sei das nicht, so der 68-Jährige. «Andere Industriezweige profitieren, sie können die vielen hervorragenden Leute der Finanzbranche übernehmen, die nun
auf den Arbeitsmarkt gelangen.»
Eine Aussage mit Sarkasmus. Denn Grübel weiss: Die Branche, die er jahrzehntelang prägte, kriselt überall. «Die Presse wollte schon immer eine kleinere Finanzbranche mit tieferen Löhnen. Dort sind die Banken jetzt angekommen.»
Zerronnen sind Profite, passé astronomische Gehälter, im Keller die Kurse der Bankenaktien – und somit wertlos die Optionen, die einst Teil lukrativer Boni-Pakete waren.
Den prozentual grössten Aderlass verzeichnete die UBS. 46 Prozent ihres Personals stellte die Schweizer Grossbank seither auf die Strasse, an zweiter Stelle folgt die Bank of America mit minus 29 Prozent. Platz vier der unrühmlichen Hitparade belegt die Credit Suisse mit 25 Prozent weniger Personal.
Die UBS hat den «head count», so der Bankenjargon, also die Anzahl Köpfe, seit 2008 um 30150 verringert, die Credit Suisse um 12258. In den letzten zwölf Monate strich die UBS 7210 Jobs, die CS 2058.
«Der Personalabbau ist eine Folge der gesetzlich erhöhten Kapitalanforderungen», erklärt Grübel – und der ausbleibenden Gewinne. «Die Grossbanken verdienen nicht mehr genug, sie müssen ihre Bilanzen reduzieren, Personal abbauen. Erzielt eine Bank zehn Milliarden Gewinn pro Jahr, kann sie die Profite nutzen, um Kapital aufzubauen – doch diese Gewinne fehlen, deshalb werden die Banken kleiner.»
Freuen sollte sich darüber keiner, gemahnt Grübel. «Mit schrumpfenden Banken ist kein Wirtschaftswachstum möglich», so der Banker. «Für Wachstum braucht es Kreditschöpfung, verringern sich die Bilanzen, werden weniger Kredite gesprochen.»
Besonders betroffen ist das Investmentbanking, das Geschäft der Gier. Geht es auf, fliessen satte Summen in die Tresore. Geht ein Risiko daneben, ist an einem Tag rasch mal weg, wovon ein afrikanischer Kleinstaat monatelang lebt.
Deshalb brandmarkt die Occupy-Bewegung die Geldbranche zum Paria. Doch nicht nur das Gespött bereitet Sorgen. Politiker engen sie weltweit mit neuen Gesetzen ein.
Wegen der Gier, und weil Investmentbanker die Einlagen vieler Kleinsparer verspekulierten. Jetzt zahlen sie die Zeche. Finanzhäuser in Zürich, New York und London fahren das Risiko runter, lösen ganze Teams hoch bezahlter Spekulanten auf. «Durch alle global tätigen Investmentbanken rollt in diesen Tagen eine neue Entlassungswelle, egal, ob offiziell angekündigt oder nicht», zitiert die «Süddeutsche Zeitung» Andreas Halin vom Frankfurter Personalbüro Globalmind.
Das Geschäft läuft schlicht zu schlecht. In der ersten Hälfte 2012 sanken die Erträge schneller als die Kosten. Börsengänge – einst höchst profitabel – floppten reihenweise. Etwa jener von Facebook. Wegen peinlicher Pannen verlor die UBS dabei 349 Millionen Franken.
Anfang Mai setzten JP-Morgan-Chase-Banker in London 5,8 Milliarden Dollar in den Sand. Ebenfalls in London verspielte letztes Jahr ein UBS-Trader 2,3 Milliarden Dollar.
Der Rest von 2012 wird nicht rosiger sein. Der Umsatz im globalen Investmentbanking werde heuer bestenfalls um 18 Prozent zurückgehen, im schlechtesten Fall um 45 Prozent, so eine Studie der US-Beratungsfirma Oliver Wyman. «Es war in den letzten 30 Jahren nie schlimmer», sagt Co-Autor James Davis. Schmälern wird das, wofür sich die Banker letztlich abstrampeln: den persönlichen Kontostand.
«Die Löhne im Investment-Banking werden weiter sinken», sagt Oswald Grübel. «Zumal sie gebunden sind an die Gewinne, und die bleiben noch eine Weile aus.»
SVP-Politiker und Banker Thomas Matter (46) begrüsst die Salär-Entwicklung beim Investment-Banking. «Die Löhne dieser Sparte sind viel zu hoch, ich hoffe, dass sie dauerhaft zurückkommen.» Eine Hoffnung, die sich erfüllen dürfte. «Durch den Schrumpfungsprozess ist das Angebot an Bankern weit grösser geworden, als die Nachfrage derzeit ist», sagt Matter. «Erstmals seit 30 Jahren sinken die Löhne», sagt der Verwaltungsratspräsident der 2011 gegründeten Neuen Helvetischen Bank. «Wollen die Grossbanken weiterhin Investment-Banking betreiben, müssen die Gehälter weiter sinken.»
Doch nicht nur das Investment-Banking sei in der Schweiz bedroht, betont der Swissfirst-Gruppe-Gründer. «Bröckelt das Bankgeheimnis in der Schweiz weiter, dann kommt es zu einer dramatischen Reduktion des Finanzplatzes Schweiz», sagt Matter. «Über alle Sparten könnten in den nächsten Jahren bis zu 50000 Arbeitsplätze bedroht sein.» Von insgesamt 376000.
Biete die Schweiz gar keine Privatsphäre in finanziellen Belangen mehr, würden ausländische Kunden wohl vermehrt in ihren Heimatländern Schweizer Banken aufsuchen. «Die Qualität der Dienstleistungen, die Stabilität und die Sicherheit erhält ein Kunde auch dort.» Etwa in Los Angeles, London, Frankfurt oder in Singapur.
Derweil bemühen sich geläuterte Banker um ihr Image. Im März gab Goldman-Sachs-Manager Greg Smith seine hoch bezahlte Stelle auf – und beschrieb in der «New York Times» das «vergiftete und destruktive» Klima bei Goldman. «Ich wusste, dass es Zeit zum Gehen ist, als ich Studenten nicht mehr guten Gewissens in die Augen schauen und sagen konnte, dass sei ein grossartiger Arbeitsort.»
Ende Juli hieb einer der grössten Finanztitanen in die gleiche Kerbe. Sanford Weill, bis 2004 CEO der Citigroup, rief zur Zerschlagung der Megabanken auf. Zu mächtig seien diese geworden. Nicht mehr effizient. Eine Gefahr für die globale Wirtschaft. «Banken dürften nie mehr zu gross sein, um bankrott zu gehen», sagte Weill (79) am US-Fernsehsender CNBC.
Ausgerechnet Weill. Er war Architekt einer der grössten Banken aller Zeiten, der Erfinder der Megabank. Er kaufte kleine Banken und Versicherungen auf, bis ihm 1998 ein Meisterstück gelang: Er führte Travelers und Citicorp zur Citigroup zusammen. Erstmals seit 65 Jahren wurde in den USA eine kommerzielle Bank mit einer Versicherung vereint. Weill brachte darauf den US-Kongress dazu, die 1933 verabschiedete Glass-Steagall Act ausser Kraft setzen. Das Gesetz setzte Mauern zwischen Banken, Versicherungen und InvestmentBanken.
Fortan schuf Weill einen Finanzkoloss, der in jedem Sektor führend war. Bis das Konzept kläglich scheiterte. Schliesslich mussten US-Steuerzahler die Citigroup 2008 mit 45 Milliarden Dollar retten.
Wenn Weill nun die Megabanken aufspalten will, gerate er in den Ruf der Heuchelei, frotzeln weltweit die Leitartikler. Zumal die von ihm 1999 durchgeboxte Gesetzesänderung als eine der Hauptursachen der Finanzkrise gilt. Weill selbst gehe es wie anderen gefallenen Topbankern nur darum, das angekratzte Image aufzupolieren.
Zumal kein Banker seine Megaboni zurückgab, keiner hinter Gittern sitze. Schamlos lassen sich Präsident Barack Obama und Widersacher Mitt Romney die Wahlkämpfe von Banken zahlen.
So wars nicht immer. Nach dem Crash 1929 ging der Chef der New Yorker Börse in den Knast. 1936 schimpfte der damalige US-Präsident Roosevelt Banker und Spekulanten als «Feinde des Friedens».