Zum Glück ist morgen wieder Montag

In seinem neusten Buch untersucht der Philosoph Alain de Botton die Arbeitswelt. Er sagt, warum unglückliche Eheleute bessere Arbeiter sind, eine schwierige Kindheit ihre guten Seiten hat, Sex den Arbeitsplatz vergiftet – und warum er kein Sushi mehr isst.

Von Peter Hossli und Claudia Gnehm (Text) und Sabine Wunderlin (Fotos)

alain_de_bottonWas arbeitet einer, der bloss schreibt? «Ich verschiebe die Buchstaben des Alphabets», sagt Alain de Botton, ein Schweizer in England, derzeit einer der weltweit erfolgreichsten Autoren.

Er sitzt in der Lounge der Swiss am Flughafen Kloten. Ist in Zürich, um über «Freuden und Mühen der Arbeit» zu reden – sein neues Buch über die Arbeitswelt.

«Die meisten Menschen verschieben schwere Objekte, ich ordne die Wörter», sagt er. «Weil Wörter nicht physisch sind, verherrlichen wir Schriftsteller körperliche Arbeit.» Deshalb schaue er anderen beim Schaffen zu.

Dann hat er den besten Job? «Nein, es ist einer der schlimmsten.» – «Schreiben ist schwierig, weil man es immer besser machen kann.» – «An vielen Tagen produziere ich nur Mittelmass.»

Um drohender Melancholie zu entfliehen, begab sich de Botton auf Reisen, traf Buchhalter, Bäcker, Ingenieure. Verfolgte die Odyssee eines Thunfischs vom Ozean auf den Esstisch. «Seit ich weiss, wie ein Thunfisch auf den Teller kommt, kann ich kein Sushi mehr essen.»

Arbeit und Liebe
Woher unsere Dinge kommen, fasziniert ihn. «Wir wissen nicht, wo und wie und durch wen sie fab­riziert worden sind.» – «Produzenten wollen nicht, dass wir darüber nachdenken, sie sagen nur: ‹Geniesst die Produkte›, sie sagen nicht, woher sie kommen.» – «Wer es weiss, fühlt sich elend.»

Lösungen liefert sein Buch nicht. Es sind Beobachtungen. Gelernt habe er, was schon Sigmund Freud erkannte: «Alles, was Menschen tun, dreht sich letztlich um Arbeit und Liebe», sagt de Botton (42). «Beides ist schwierig, bei einem ist meistens eine Krise angesagt.» – «Ein echtes Problem hat, wem es gleichzeitig im Beruf und in der Liebe nicht läuft.»

Wie Öl zu Wasser verhalten sich Arbeit und die Liebe, sagt de Botton. «Läuft es schlecht in der Liebe, ist die Arbeit ein Trost.» Sein Schluss: «Wer persönlich unglücklich ist, arbeitet gut.» Er versteht, warum viele erfolgreiche CEOs geschieden sind. «Ein guter Arbeiter ist daheim selten glücklich», sagt er. «Ganz zusammenbrechen darf seine Beziehung nicht. Am produktivsten ist, wer eine dahinplätschernde, leicht trübselige Ehe führt.»

Blendend verkaufen sich de Bottons Bücher. Er betreibt in London eine Schule, erteilt gegen viel Geld Kurse. Mit 23 veröffentlichte er sein erstes Buch. Acht Bestseller hat er publiziert, über Architektur, Kunst, Philosophie, Reisen, Religion. Er lebt gut davon. 200 Millionen Dollar soll sein Vater bei der Bank Rothschild verdient – und ihm hinterlassen haben.

Geld als Gradmesser
Was bedeutet ihm Geld? «Geld bedeutet Respekt.» – «Ich bin sehr daran interessiert, wie viel ich Ende Jahr verdient habe, ich will Geld machen, dazu stehe ich.» – «Geld ist ein Gradmesser, wie wichtig ich und meine Arbeit sind.» Es zu scheffeln, sei leichter als es auszugeben. Weder mag er schnelle Boote noch schicke Autos. Gedankenlos kaufe er nur Bücher. Er kleidet sich schlicht, lacht viel, gestikuliert, redet rasch, spricht meist druckreife englische Sätze, wirkt charmant, zuweilen scheu.

Und doch hat er eine dunkle Seite. Als «Freuden und Mühen der Arbeit» auf Englisch erschien, zerriss die «New York Times» das Buch. De Botton verlor die Fassung, wünschte dem Autor bis zum Tod Misserfolge.

Seither haftet der Ausraster am Autor. «Kann ich Sie bestechen, nicht darüber zu schreiben?», fragt er – ohne ein konkretes Angebot zu unterbreiten.

Der zornige Philosoph
Die Leute hätten eine «makabre Faszination für Zorn», sagt er. «Es gefällt ihnen, wenn der Philosoph einen als Arschloch bezeichnet.» – «Alle dachten, ich sei Buddha, dabei bin ich ein Mensch wie alle anderen.»

Er ist ein überzeugter Atheist. Schrieb zuletzt einen Wegweiser für Ungläubige, in dem steht, was sie von der Religion verwerten können. Das Buch verkauft sich blendend, Kritiker aber mögen es nicht. Als «banal» bezeichnet es «The Guardian». Greift er diesen Kritiker ebenfalls an? «Nein, natürlich nicht. Ich werde nie mehr irgendwas zu einem Kritiker sagen, höchstens vielen Dank – Sie sind sehr nett.»

Kann einer ein Buch übers Arbeiten schreiben, der nie richtig gearbeitet hat? «Eine lächerliche Frage», faucht er. «Es ist, als sagten Sie, Tolstoi kann nicht über Bauern schreiben, weil er selbst ein Aristokrat ist.» – «Natürlich kann Tolstoi das, er ist ein guter Autor.» – «Wer intelligent und kreativ ist, versteht die Arbeit anderer.»

Er hält Arbeit für «lebensnotwendig». Sie lenkt uns davon ab, über das menschlichste Schicksal zu sinnieren – den Tod. «Aktivität ist zentral.» Er redet über Kinder, die Sand von einem zum anderen Haufen schaufeln. «Warum tun sie das? Für Geld? Um sich Sinn zu geben? Nein. Es geht ihnen allein darum, etwas zu erledigen.»

Das bürgerliche Ideal
Zumal Menschen «ruhelose Kreaturen» seien, «ständig emotional aufgewühlt», versehen mit labilem Verstand. «Wenn dir einer sagt: ‹Schau, ich kann dir den Sinn des Lebens zwar nicht erklären, und ich weiss nicht, wohin das alles führt, aber zwischen neun Uhr morgens und fünf Uhr abends erledigst du diesen Job›, dann hilft das vielen, ruhig zu sein.» – «Wir arbeiten, um uns aufrichtig zu fühlen, uns selbst zu achten», sagt er. «Wer nicht arbeitet, dem geht es schlecht, egal, wie viel Geld er hat.» – «Nicht zu arbeiten, ist nur eine Option, wenn du verrückt werden willst.» – «Willst du bei Verstand bleiben, musst du was finden, was du tun kannst, das anderen etwas bringt.»

Vor der Moderne arbeiteten die meisten Leute, bis sie genug Geld hatten, und dann hörten sie damit auf. Das änderte sich mit dem Bürgertum, mit dem Protestantismus. «Heute arbeiten selbst die Reichen bis zum Tod», sagt de Botton. «Wer nicht arbeitet, der schämt sich. In der bürgerlichen Welt glaubt jeder, er sei keine aufrichtige Person, wenn er nicht produktiv ist.»

Die meisten hassen ihren Job. «Falsch», sagt de Botton. «Viele Menschen sind glücklich mit ihrer Arbeit.» – «Das Familienleben ist ja meist schwieriger zu ertragen – viele gehen ins Büro, um anständig behandelt zu werden. Sie können schon am Samstag den Montag kaum erwarten. Zu Hause wirst du beleidigt, angeschrien, deine Kinder hassen dich, während die Menschen im Büro freundlich zu dir sind.»

Sex als Gefahr im Büro
Der Denker fand Besuche in der realen Arbeitswelt zuweilen brutal – beim Thunfischfang – und manchmal zu steril – im durchorganisierten Beratungsunternehmen. Über Verhaltensregeln macht er sich lustig. Unlängst veröffentlichte die Schweizerische Nationalbank ihren neuen Verhaltenskodex. Verboten sind Witze mit religiösen, sexuellen oder ethnischen Inhalten. De Botton ist nicht überrascht. «Arbeit ist die neue Religion.» – «Die Religion erlaubte keine Witze über Gott.»

Heute hätte Humor am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Sex aber stelle eine echte Gefahr dar, genau wie Sex einst die Religion bedroht habe. «Sex ist gefährlich für einen modernen Konzern.» – «Weil Sex interessant ist und von der Arbeit ablenkt. Deshalb muss Sex unterdrückt werden. Nicht etwa, weil Sex langweilig wäre, schockierend oder schrecklich», sagt de Botton.

«Sex muss unterdrückt werden, weil er so schön ist, so interessant.» – «Das Büro ist das neue Kloster, wo Sex absolut tabu ist, wo man nicht mal da­rüber reden darf.»

Ist die Gefahr real? «Wenn jemand eine dramatische Affäre hat, oder zwei im selben Team etwas miteinander haben, kann es das Arbeitsklima zerstören, ebenso wenn alle wissen, dass der Boss mit einer Angestellten schläft.»

Der Wert der Arbeit
Wie viel er pro Stunde verdient, weiss er nicht. Manchmal schreibe er tagelang kein einziges Wort, nichts falle ihm ein. Dann schreibt er pausenlos. Einträglicher ist es, iPads zu verkaufen. 42000 Dollar die Stunde verdiente der CEO von Apple, Tim Cook. «Geld allein drückt die Leistung für die Gesellschaft nicht eindeutig aus.»

Wie soll der Wert von Arbeit gemessen werden? «Die meisten messen ihn nur ökonomisch, wissen, wie viel sie verdienen, aber die wenigsten stehen wegen des Geldes auf, sie tun es wegen ihrer Kollegen, weil Arbeit Sinn stiftet, ihnen das Gefühl gibt, wichtig zu sein.» – «Die Arbeit nur wirtschaftlich zu betrachten, ist die Wurzel des Unglücks.»

Auffällig – er nennt in seinem Buch keinen einzigen Lohn. Weil er Schweizer ist und Schweizer nicht über Geld reden? «Mein Buch dreht sich um den Sinn der Arbeit, nicht ums Geld.»

Es gebe gute wie böse Gründe, warum Schweizer nicht übers Geld reden. «Zum einen kommt ein Teil des Geldes aus dubiosen Quellen», sagt de Botton. «Zum anderen kommt es den Schweizern bei der Arbeit nicht zuerst aufs Geld an.» – «Ein Schweizer Zimmermann will einen guten Job machen, es geht immer zuerst um Qualität, Geld kommt später.»

Was hält er von einem bedingungslosen Grundeinkommen, wie es eine Initiative in der Schweiz verlangt? «Es ist bedenklich, jemandem Geld für nichts zu geben, das macht die Leute depressiv.» Schwierige Fragen erklärt de Botton oft süffig durch Kinderaugen. «Verspricht man einem Kind für eine Aufgabe eine Belohnung, so ist es daher stolz und motiviert.»

Aus Ägypten wanderte sein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz ein, erhielt dort Asyl, liess sich in Zürich nieder. Deshalb besitzt Alain einen Schweizer Pass. «Mein Vater hatte die Mentalität eines fleis­sigen Immigranten.»

Der Vater war jüdischer Abstammung. Er schickte den Sohn mit acht Jahren an ein Eliteinternat in Oxford. Der kleine Junge fühlte sich fremd, war sportlich unbegabt, geriet rasch zum Aus­senseiter. Fortan schlüpfte er in die Rolle des Schulclowns.

Kindheit und Karriere
Warum ist er nicht Banker geworden? «Mein Vater wollte überall immer der Beste sein, er duldete keinen Konkurrenten.» «Er sagte: ‹Ich bin der Banker, du machst, was du willst, werde doch Arzt.›» Zudem war Alain schlecht in Mathematik. «Ich kann kaum drei und drei zusammenzählen, deshalb konnte ich nicht Banker werden.»

Hinzu kam eine psychologische Barriere. «Wenn du das Gleiche machst wie dein Vater, fragst du ständig: ‹Bin ich so gut wie er? Bin ich besser? Schlechter?› Das ist für beide sehr unangenehm.»

Er selbst hat zwei Söhne, fünf und sieben Jahre alt. «Einer soll Architekt werden, der andere Ingenieur. Es ist egal, welcher von beiden was macht, Schriftsteller aber dürfen sie nicht werden.» – «Ich möchte, dass einer für Rolls-Royce arbeitet und Maschinen entwirft, und der andere Brücken baut, das ist meine Fantasie.» – «Es ist gut, wenn Väter ihren Kindern sagen, was sie tun könnten, das gibt ihnen eine Richtung vor.»

Er nimmt sie ins Museum mit, zeigt ihnen Gebäude, kauft Legos. Ob das ihnen hilft, weiss er nicht. «Menschen, die hart arbeiten, hatten oft eine schreckliche Kindheit», sagt de Botton, der seinen Vater als «brutalen Tyrannen» beschreibt. «Wenn dich deine Eltern schlecht behandelten, dir das Gefühl gaben, du seist wertlos, dann arbeitest du besonders gut.» Anders ausgedrückt: «Willst du, dass dein Kind reich wird, gib ihm eine schreckliche Kindheit.» – «Wer eine behütete Kindheit hat, stets hört, wie toll er ist, lehnt sich zurück, strengt sich nie an.»

Es mache wenig Sinn, alle Kinder kreativ zu erziehen. Oft sei eine solide und strenge Erziehung ebenso nützlich. «Die moderne Wirtschaft braucht Leute wie Steve Jobs, und sie braucht Buchhalter», sagt er. «Höchstens 20 Prozent sind ­Steve-Jobs-Typen, die anderen sind Buchhalter.» – «Es ist besser, ein Buchhalter zu werden denn als Steve Jobs zu scheitern.» – «Scheitert Steve Jobs, bleibt nur der drogensüchtige Hippie übrig.»

Ein Buch über Sex
Was will er sein? Das Wort Philosoph bereitet ihm Mühe, obwohl er in Cambridge Philosophie studiert hat. Für Universitäten ist er zu populär, schreibt zu verständlich. «Ich bin kein akademischer Philosoph», sagt er. «Ich bin ein Autor, mich Philosoph zu nennen, ist aber okay.»

Er kann sich vorstellen, einmal nicht mehr zu schreiben. Filme will er drehen, Gebäude bauen – Hauptsache, er bleibt kreativ.

Derzeit schreibt er über Körpersäfte, «ein realistisches Buch über Sex», gibt er vor. «Sex ist ein Problem für alle.» – «Es ist falsch zu glauben, wir seien sexuell befreit, Sex sei einfach.» Verkaufen wird sich das Buch blendend. «Ein Buch, mit dem du weinend im Bett liegst – neben deinem schnarchenden Partner.