Von Peter Hossli, Marcel Odermatt, Roman Seiler
Eine zentrale Frage im Fall Hildebrand ist bis heute ungeklärt geblieben: Hat SVP-Nationalrat Christoph Blocher den IT-Mann Reto T. zum Datenklau in der Bank Sarasin angestiftet?
SonntagsBlick weiss: Es gab keine Anstiftung durch den alt Bundesrat. Am 3. Dezember letzten Jahres empfing Blocher in seiner Villa in Herrliberg ZH Reto T. und dessen Anwalt Hermann Lei, einen Thurgauer SVP-Kantonsrat. Die beiden informierten Blocher.
T. hatte mit dem Datendiebstahl das Bankgeheimnis verletzt. Das, wusste er, könnte seine Karriere und Existenz zerstören.
Doch Christoph Blocher beruhigte ihn. Wenn etwas schieflaufe, werde er ihm schon helfen, versprach der Unternehmer.
Ein konkretes Angebot, wie er ihn unterstützen würde, gab es damals nicht. Das erzählen zwei unabhängige, dem Fall nahestehende Quellen.
Sofort realisierte Blocher die Brisanz des Falls. SNB-Präsident Philipp Hildebrand, in seiner Funktion eine Art Gott über den Franken, hatte im Umfeld eines geldpolitischen Entscheids über sein Konto Dollar gehandelt.
Der SVP-Stratege befand sich in einer heiklen Situation. Würde er nichts tun, wäre er ein schweigender Mitwisser. Würde er aktiv, könnte er in den Ruch geraten, ein politisches Komplott gegen Hildebrand zu führen. Zumal der SVP-Vize mehrmals dessen Rücktritt gefordert hatte.
Bereits am 4. Dezember, einem Sonntag, berief Blocher ein zweites Herrliberger Treffen ein, dieses Mal mit beratenden Anwälten. Dabei fehlten Lei und T. Sie gehörten nicht zum inneren Kreis, der die Strategie entwickelte.
Fortan ging alles schnell. Am Montag, dem 5. Dezember, liess sich Blocher als frisch gewählter Zürcher Nationalrat vereidigen. Gleichentags ging er zu Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey und unterrichtete sie über mögliche Devisenspekulationen Hildebrands. Bis am 15. Dezember erfolgten zwei weitere Treffen. Bei einem übergab er Calmy-Rey die von T. besorgten Kontoauszüge.
Aus politischen Überlegungen hatte es Blocher eilig. In wenigen Wochen, an Neujahr, würde Eveline Widmer-Schlumpf ins Amt der Bundespräsidentin rutschen – falls die SVP sie nicht abwählen könnte. Damit rechnete er nicht.
Die Bündnerin ist seit Blochers Abwahl 2007 seine Erzfeindin. Mit ihr, war er sich sofort bewusst, würde es sehr schwierig werden, den Fall Hildebrand abzuwickeln.
Am kommenden Freitag will Blocher an der traditionellen Albisgüetli-Tagung seinen Getreuen in einer Ansprache detailliert schildern, wie er den Fall erlebt hat.
Derweil laufen längst die Abrechnungen. Mit fiesen Manipulationen schwärzen die einen die anderen an. Lei und T. haben sich inzwischen überworfen.
Vergangene Woche hat T. einen Strafantrag gestellt gegen seinen ehemaligen Anwalt Lei – wegen Verletzung des Anwaltsgeheimnisses. Das weiss SonntagsBlick von zuverlässiger Seite. Aus Sicht von T. hat Lei das Anwaltsgeheimnis verletzt. Das käme strafrechtlich der Verletzung des Bankgeheimnisses gleich. Ohne Einwilligung von T. hat Lei die Bankkontodaten Hildebrands der «Weltwoche» zugespielt. Ein Akt, der jetzt für den Thurgauer SVP-Kantonsrat ein juristisches Nachspiel hat.
Für ein solches Vergehen sieht das Strafgesetz einen Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren oder eine hohe Geldstrafe vor.
Dagegen behauptet Hermann Lei, er sei dem mutmasslichen Datendieb T. in der Causa Hildebrand stets als Freund und nie als Anwalt beigestanden. Dazu T. in einem Mail an den SonntagsBlick: «Dass die Sache anwaltlichen Charakter hatte, bzw. ich ihn als solchen sah, ist belegt.»
Neben Lei steht der Zürcher SVP-Kantonsrat Claudio Schmid im Fokus der Untersuchung. Er brachte Reto T. in Kontakt mit Reportern der Blick-Gruppe. Sein Computer soll beschlagnahmt worden sein; er musste der Staatsanwaltschaft den gesamten Mail-Verkehr mit Reto T. offenlegen.
Längst ist der Streit in die Niederungen abgesunken. So spielten Informanten dem SonntagsBlick eine Anzeige aus dem Jahr 2009 gegen T. zu. Eine Frau schildert darin mit höchst derben Worten, wie T. sie belästigt haben soll. Wären die Anschuldigungen so publik geworden, hätten sie T. öffentlich blossgestellt.
Ein entlastendes Dokument aber verheimlichte die Quelle. Das dem SonntagsBlick nun vorliegende Papier stellt den Streit ganz anders dar. Fakt ist: T. ist in allen Punkten freigesprochen worden, obwohl in solchen Fällen oft die Frau obsiegt – und obwohl sein Anwalt Lei an Gerichten im Thurgau nicht den besten Ruf geniesst.
Schmutz wird gegen Reto T. geworfen, weil er die von ihm besorgten Kontodaten nicht mehr den Medien zuspielen wollte. Stattdessen kämpfte er für eine saubere Abklärung des Falls Hildebrand. «Ich habe mich ausdrücklich für eine Untersuchung der Ereignisse eingesetzt, nicht für eine ‹Bestrafung›», schreibt er dem SonntagsBlick. Mit Christoph Blocher hatte er sich auf eine solche Abklärung geeinigt.
Das Mail von T. erreichte SonntagsBlick vor einer Woche – seither schweigt er. Über einen Anwalt hat er gebeten, ihm und seiner Familie keine Fragen mehr zu stellen. Er brauche jetzt Ruhe.
Eine wuchtige Walze ist über ihn gedonnert. Psychisch hat ihm all das schwer zugesetzt. Er befindet sich nach wie vor in Behandlung.
Dass er von der Justiz wegen des Datenklaus strafrechtlich belangt wird, ist nur eine seiner Sorgen. Er muss fürchten, dass ihn sein ehemaliger Arbeitgeber, die Privatbank Sarasin, zivilrechtlich verklagt. Und das, weiss T., könnte ihn finanziell ruinieren.
Einen Selbstmordversuch aber, wie es die Medien berichteten, hat Reto T. nie unternommen.
Das ist eine gute Nachricht.
Grübel: Bankgeheimnis wird ausgehebelt
Die Bankgeheimnisverletzung bei der Bank Sarasin ist eines der typischen Probleme, mit denen sich Banken heute konfrontiert sehen. Das sagt Ex-UBS-Chef Oswald Grübel. «Bankmitarbeiter müssen mit Kundennamen arbeiten. Wenn ein Angestellter von seinem Computer aus Kontoinformationen an jemanden ausserhalb der Bank sendet, kann man das kontrollieren», so Grübel. Wenn Angestellte die Bildschirme mit ihrem Handy fotografieren und die Bilder aus der Bank tragen, seien die Banken jedoch machtlos. «Mit der heutigen Technik wird das Bankgeheimnis angegriffen und damit ausgehebelt», so Grübel.
Weil es mit krimineller Energie stets möglich ist, das Bankgeheimnis zu brechen, rüsten die Geldhäuser ihre Überwachungstools stets auf. Von SonntagsBlick befragte Gross- und Privatbanken nehmen alle Vorfälle ernst, bei denen Daten entwendet werden. Der Fall Sarasin zeigt laut Grübel, wie wichtig es sei, integre Angestellte zu beschäftigen: «Finanzinstitute müssen sich auf sie verlassen können.» Zudem bedaure er, dass Hildebrand habe zurücktreten müssen. Er sei mit ihm nicht immer gleicher Ansicht gewesen: «Aber ich habe ihn sehr geschätzt.»