Von Peter Hossli (Text) und Sabine Wunderlin (Foto)
Ein Skandal ist erst dann ein Skandal, wenn es dazu eine fotografische Ikone gibt. Etwa das Bild des leblos in der Badewanne liegenden Uwe Barschel. Oder dasjenige von Bill Clinton, das zeigt, wie er seine Sexgespielin Monica Lewinsky in der Menge herzt.
Diese Bilder gingen um die Welt. Noch heute ist sofort klar, welche Geschichte sie erzählen. Fotografische Meisterwerke sind beide Fotos nicht. Wie die meisten Skandal-Ikonen sind es Zufallstreffer. Ihr Marktwert ist die Exklusivität.
Genau wie die Ikone zum Fall Hildebrand. Ein Bild, das Philipp (48) und Kashya (50) Hildebrand beim Auftritt am Ball des Kinderspitals Zürich im Hotel Baur au Lac zeigt. Ein Paar, das Geld für teure Kleider hat, ist auf dem Foto zu erkennen. Selbstsicher wirkt es, international, fast mondän.
Abgedruckt wird das Foto, wenn die Medien über die umstrittenen Dollarkäufe der Hildebrands berichten, und zwar weltweit.
Aufgenommen hat es die Ringier-Fotografin Sabine Wunderlin am 23. Oktober 2010, an einem Samstagabend. Zusammen mit einer Reporterin besuchte sie den ersten grossen Anlass der Zürcher Ball-Saison. Ihr Auftrag: Für die Gesellschaftskolumne des SonntagsBlicks sollte sie die «Schönen, Reichen und Berühmten» fotografieren, wie Wunderlin sagt. Jeweils von Kopf bis Fuss musste sie die Besucher ablichten. Zumal es um die schicken Roben der Damen ging.
Eine Stunde nach Türöffnung beschritt das Ehepaar Hildebrand den roten Teppich. Sofort sah Wunderlin den gross gewachsenen Banker. «Das ist der neue Nationalbankpräsident», sagte sie zur Reporterin. «Ob er Hildebrand oder Jordan heisst, das wusste ich damals nicht mehr», gesteht sie.
Die Fotografin ging auf das elegante Paar zu, fragte auf Deutsch, ob sie es fotografieren dürfe. «Ja», sagte er. Beide posierten gerne.
Kashya legte den rechten Arm in den angewinkelten Ellbogen ihres Gatten. Der trug einen anthrazitfarbenen Smoking mit schwarzem Revers und eine schwarze Fliege, die Hosen schienen etwas zu lang. Die Frau von Welt an seiner Seite trug ein blaues Samtkleid nebst Collier mit zwei Anhängern.
Viermal drückte Wunderlin ab. Nach Sekunden war der Fototermin vorbei. Die Fotografin notierte die Namen. Geduldig buchstabierte er den etwas ungewöhnlichen Vornamen der Gattin.
Das Paar schritt weiter, feierte mit dem Stargast, der spanischen Schauspielerin Mónica Cruz. An jenem Abend wurde Geld für Kinder mit Immunschwäche gesammelt. Im SonntagsBlick erschien das Bild am nächsten Tag nur klein mit der Legende: «Philipp Hildebrand von der Nationalbank in Begleitung seiner Gattin Kashya».
Das Foto gelangte ins Bildarchiv von Ringier. Wunderlin löschte die anderen drei Aufnahmen.
Unangetastet lag das Bild bis am letzten 23. Dezember auf dem Server. An jenem Tag publizierte die SNB eine Medienmitteilung zu den Dollarkäufen. Rasch fand ein Fotoredaktor das Bild. «Es war ein perfekter Treffer», sagt BLICK-Blattmacher Urs Helbling.
Das passende Foto zum Titel «Stolpert SNB-Chef Hildebrand über seine schöne Frau?», der an Heiligabend erschien. SonntagsBlick druckte es am nächsten Tag nochmals. Über die Festtage luden «Le Temps», die «Aargauer Zeitung», die «NZZ am Sonntag», die «Weltwoche» und das Schweizer Fernsehen das Foto vom Ringier-Server.
Obwohl es «gar nicht so gut ist», sagt Fotografin Wunderlin. «Kein Meisterwerk, sondern Gebrauchsfotografie.» Vor allem der lange Schlagschatten stört sie.
Die Weltpresse stört er offenbar nicht. Wer das Foto auftreiben kann, druckt es nach, stellt es auf ein Webportal – die meisten ohne dafür zu zahlen oder Wunderlin als Urheberin zu nennen.
Sie freut sich dennoch. «Das Ideal der fotografischen Arbeit ist, eine Ikone zu erstellen», sagt Wunderlin. «Dass es bei mir ausgerechnet mit einem gestalterisch eher banalen Bild geglückt ist, hat durchaus etwas Amüsantes.»