Von Peter Hossli
Spontan entlädt sich ihr lautes Lachen. «Ist das ein Witz?», fragt Zürichs Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (51). Sie sitzt in den Wandelhallen des Bundeshauses, hält eine Broschüre in den Händen.
Nicht ein Comicheft liest die Politikerin, es ist das offizielle Wahlmagazin des Bundes. Über fünf Millionen Wahlberechtigte haben es letzte Woche erhalten, zusammen mit den Wahllisten. Darin erläutert die Bundeskanzlei – offizielles Informationsorgan der Verwaltung – das Wahlprozedere mit Analogien aus der Gastronomie. Zumal beides – Schweizer Politik und heimische Küche – «einmalig und hochklassig» seien.
Prall gefüllte Gewürzbeutel stehen da stellvertretend für die Parteien. Bei der SVP liegt grüner Chili im Jutesack, bei der FDP Lavendel. Curry symbolisiert die CVP, roter Chili die Sozialdemokraten, roher Pfeffer die Grünen.
Nationalräte gelten als «Zuckerperlen», die eine Mandeltorte zieren. Der Kuchen steht für das Parlament, die Position der 200 Perlen für die Abstimmungen in der abgelaufenen Legislatur seit 2007. Ziel jeder Session sei es, «klaren Fond mit allen Aromen» zu brühen.
Wie «Gemüse im Aspik» sässen die Räte «im Glashaus», also wie Erbsen, Rüebli und Broccoli, die in Sülze schmoren. Soll heissen: Das Parlament ist öffentlich, die Politik transparent.
Der eher laue Wahlkampf? Eine «stressige Zeit» für Kandidaten, die wie «Julienne ganz schön ins Schwitzen geraten». Mit Gemüsestreifen setzt die Wahlbroschüre die 3458 Schweizerinnen und Schweizer gleich, die heuer zur Nationalratswahl antreten.
Die als Zuckerperlen ab Dezember die Torte schmücken sollen.
Ein «Ausdruck unserer Spassgesellschaft» sei das Heftchen, sagt die Grüne Prelicz-Huber. «Das ist nicht die Ebene, auf der wir die Politik näherbringen sollten.»
Ähnlich klingt es in allen Winkeln des politischen Spektrums. «Verhöhnt» fühlt sich der Aargauer Transportunternehmer Ulrich Giezendanner (SVP). «Kabarettistisch» sei das Heft. Lustig findet er es nicht. «Ich bin kein Clown.» Er warnt: «Wir müssen aufpassen, dass wir die Politik nicht ins Lächerliche ziehen.» Den Verfassern der Broschüre rät er, sich bei Viktor Giacobbo zu melden. Der TV-Komiker suche stets «lustige Leute» als Schreiber.
Giezendanner (57) überlegt sich einen parlamentarischen Vorstoss. Denn: «Ich will genau wissen, wer dafür verantwortlich ist.»
Die Verantwortung trägt Bundeskanzlerin Corina Casanova (55), Bündnerin und so etwas wie die achte Bundesrätin. Sie erfüllte den gesetzlichen Auftrag, allen Wahlberechtigten eine Anleitung zuzustellen. «Den Appetit wecken, bei den Wahlen mitzumachen», wolle die Bundeskanzlerin mit «Analogien aus der Welt des Essens», erklärt ihre Sprecherin Ursula Eggenberger. Bewusst hätte man auf technische Sprache verzichtet und versucht, mit vergnüglichen Texten den Urnengang anzupreisen.
Eher Politikverdruss fördere die Broschüre, sagt Otto Ineichen (70), Luzerner FDP-Nationalrat. «Jeder Bürger, der das sieht, fragt sich, ob wir sein Geld sinnvoll einsetzen.» Zusätzliche Wähler bringe das Heftchen kaum. «Das müssen wir Parlamentarier schon mit unserer Arbeit bewirken.»
Mit Rohkost erklärt Casanova die beiden Kammern des Parlaments. Zanken sich Stände- und Nationalrat, «haben wir den Salat». Abhilfe schaffe ein «guter Schwingbesen, um Öl und Essig und die anderen Zutaten gut zu mischen». Wichtig, «dass am Ende die Sauce und somit der ganze Salat» allen schmecke.
Überforderten Köchen empfiehlt die Kanzlerin «halb fertige Gerichte» und den Pizzakurier. Für überforderte Wähler? «Vorgedruckte Wahllisten.» Wie bei Fertiggerichten könnten wir diese Listen «nach unserem Gusto abändern» und Kandidatennamen doppelt aufführen – also «panaschieren» und «kumulieren».
Die Bundeskanzlei nähme die Wähler nicht ernst, sagt SP-Generalsekretär Thomas Christen (36). «Schweizer befinden vier Mal im Jahr über komplexe Sachvorlagen», sagt er, «es sind mündige Menschen, die das Wahlsystem ohne Analogien verstehen.»
Als Parodie auf die Politik könne so etwas ja originell sein, sagt CVP-Nationalrätin Ruth Humbel (54) aus dem Kanton Aargau. «Als staatliche Wahlbeilage streift das Heft die Grenzen der Respektlosigkeit.» Sie könne es «kaum fassen, dass man uns mit Salat, Früchten, Käse und Zuckerperlen vergleicht». Nicht nur das Parlament verhöhne die Bundeskanzlei, sie verweigere «allen den Respekt, die sich jetzt bei den nationalen Wahlen zur Verfügung stellen».
Keinerlei Kritik aus dem Parlament sei bisher in der Bundeskanzlei eingetroffen, sagt Sprecherin Eggenberger. Fast durchwegs positiv hätten Wähler auf das amtliche Küchenlatein reagiert. Beispiele: «Genial», «informativ, kurz und bündig und erst noch lustig», «Absolut Spitze! Auch für den letzten Trottel verständlich».
Von einer «Selbstverbilligungsaktion» spricht da der Zürcher SP-Nationalrat Andreas Gross (59). «Es ist grundsätzlich gut, wenn man den Leuten die Politik schmackhafter macht.» Diese Broschüre aber sei «eine Kapitulation davor, Bürgern die grösste Errungenschaft der Demokratie plausibel zu erklären – nämlich Freiheit für alle Menschen».
«Befremdend», nennt Gross’ Parteikollegin Jacqueline Fehr (48) die Broschüre. «Politikinteressierte fühlen sich nicht ernst genommen.» Jene, die abseits stünden, «verstehen kaum, was hier gemeint ist». Die Zürcherin hat es lieber «nüchtern und politisch».
Keinesfalls eine Zuckerperle sein will der Zürcher SVP-Nationalrat Hans Fehr (64). «Ich bin kein Netter, und ich bin kein Süsser, ich bin ein Kämpfer für die Schweiz.»
Gegen die Broschüre protestiert hat die FDP, sagt deren Generalsekretär Stefan Brupbacher (43). Die Liberalen wollten nicht als Lavendel dargestellt werden. «An den Haaren herbeigezogen» seien die Essanalogien, sagt Brupbacher, viele der Titel «tendenziös».
Statt sich humoristisch abzumühen, sagt Brupbacher, sollte die Verwaltung ihre Aufgabe erledigen – Informationen verbreiten. «Wer Kochrezepte will, ist bei Betty Bossi besser bedient.»
Chefköchin Casanova fleht die Wähler an: «Bitte versalzen Sie mir die Suppe nicht.» Ihr Rezept? «Gehen Sie wählen.»
Ein Zückerchen verspricht sie jenen, die es tun – ein buntes Luxemburgerli von Sprüngli. Wer bei so viel Fett um die Linie bange, soll das Wahlcouvert am 23. Oktober «zu Fuss an die Urne bringen». Dann «sind Sie die paar Kalorien ja auch schon fast wieder los» – amtlich verordneter Sauglattismus.