Tom Kummer

Er ist einer der dreistesten Betrüger der Pressegeschichte. Jetzt zeigt ihn ein Dokumentarfilm als verhinderten Künstler, der sich in den Journalismus verirrt hatte. Wo er bis heute all den Kollegen als Vorbild dient, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.

Von Peter Hossli und Igor Kravarik (Illustration)

kummer_igorDie Geschichte über USA-Korrespondent Tom Kummer, 47, ist rasch erzählt. Er erfand in den 90ern Reportagen und Interviews. Wir Journalisten wussten das. Es gab solche, die darüber hinwegschauten, seine Texte teuer einkauften und veröffentlichten. Andere haben bewusst darauf verzichtet.

Ende der Geschichte? Mitnichten. Falschverhalten wird zum Vergehen, wenn die Beteiligten es vertuschen, verdrehen, rechtfertigen. Mit Kummer passiert das seit 2000, als das Magazin «Focus» ihn endgültig entlarvte. Jetzt verharmlost der Film «Bad Boy Kummer» den Berner als getriebenen und uneinsichtigen Künstlertyp.

Subversiv habe er ein Sys­tem entblösst, das Reporter zu willenlosen Werbeträgern Hollywoods degradiere, verteidigen ihn die Vertuscher. Interviews anderer Korrespondenten seien weniger knackig, lautet eine zweite Entlastung. Schweizer Journalisten kämen in Amerika nicht an Stars ran, eine dritte.

Falsch. Wer Geduld mitbringt, hartnäckig ist, dazu charmant, kann in den USA alle treffen, weiss der Autor aus eigener Erfahrung. Gespräche mit Amerikanern sind meist witzig, offen, ehrlich, unterhaltsam – wenn man sie denn führt. Kummer tat das nicht. Fotografen, die mit ihm durchs Land zogen, berichten, wie er auf Reportagen jeweils im Hotelzimmer sass, statt Menschen zu treffen.

Und doch wird er weitherum verehrt. Beispielhaft das Verhalten der WoZ, die im Februar 2009 eine gefälschte Reportage Kummers brachte. Statt sich bei den Lesern zu entschuldigen und die Faktenlage offenzulegen, griff das Blatt den Reporter an, der den Fake enthüllte.

Drei Jahre nachdem er aufgeflogen war, versuchte das «Tagi-­Magazin» ihren Schreiber zu rehabilitieren. Mit einem Fotografen sandte es Kummer im Sommer 2003 nach 29 Palms, ein kalifornisches Kaff, wo US-Grenadiere einen Stützpunkt betreiben. Über Kriegsheimkehrer sollten die beiden eine Reportage machen. Kummer schickte einen Text. Der damalige «Tagi»-Chefredaktor stoppte ihn: «Das können wir nicht drucken.» Ein zweiter Reporter reiste nach 29 Palms, um den Artikel fertigzustellen.

Als «Borderline»-Journalisten reden viele Kummer schön, wie wenn solches Grenzgängertum eine Krankheit oder gar ein eigener Stil wäre. Dabei ist es hohle Wortklauberei, mehr nicht. Irgendwie pervers, wie andere Krea­tionen unserer Branche: «Midrisk», «zuspitzen», «kalt schreiben» – deswegen verlieren wir Leser, nicht wegen der Gratiszeitungen.

Journalisten vergessen oft: Wir sind Handwerker, und unser Handwerk ist einfach. Ein Reporter hört zu, prüft Fakten, schreibt auf, was er weiss, was andere ihm sagen. Klar, dabei passieren gelegentlich Fehler. Wer aber wissentlich Falsches publiziert, hat in der Presse nichts verloren. Die bewundernd beschriebene «fliessende Grenze zwischen Fiktion und Fakt» gibt es nicht im Journalismus. Wer sie etwa in einer US-Zeitung überschreitet, verliert sofort den Job, zusammen mit seinem Chefredaktor. Zwar mussten in Deutschland die beiden Chefs des «SZ-Magazins» wegen Kummer ihre Pulte räumen. Folgenlos war der Skandal aber für Schweizer Redaktoren.

Niemand klagte ihn ein. Weder Honorare noch Spesen für nie gemachte Reisen forderten die Magazine zurück. Eine minutiöse Aufklärung des Falls gibt es nicht. Längst haben die Chefs von damals Karriere gemacht.

Dass die Akte Kummer kaum Konsequenzen hatte, öffnete die Schleusen. Tom, jetzt ein Kinostar, ist ein dankbares Schild, hinter das wir uns verkriechen. Wenn wir mit Zeitungsenten hausieren, die Bedeutung bundesrätlicher Sätze verdrehen, in Nachrichten Figuren erfinden, szenische Textanfänge dichten; googlen statt telefonieren, abschreiben, die Realität auf der Videowand wähnen. Oder wenn wir für das PR-Video eines Möbelhändlers denselben Designer interviewen, über den wir kurz darauf ein journalistisches Porträt verfassen.

Kummer ist ein Blender, seine Arbeit kaum der Rede wert. Er fabuliere meisterhaft, werfen seine Bewunderer ein. Sie schwafeln von «Kult», «New Journalism», «temporeicher Schreibe», «begnadet», «postmodern». Was Kummer aber schreibt, ist letztlich inhaltsfreies Geschwurbel – und somit wertlos. Wirklichkeit ist immer besser als Fiktion.