Von Peter Hossli
Die Nation sei «ohne Boden», titelt diese Woche die Wochenzeitung (WOZ). Gemeint ist Amerika. Als Beispiel dient die Super Bowl, das Finale der Footballliga. Aufhorchen lässt der Name des Autors: Tom Kummer, 46, Journalist aus Bern, wohnhaft in Los Angeles. 2000 kam ans Licht, was die Branche längst wusste: Jahrelang drehte Kummer den Magazinen des «Tages-Anzeigers» und der «Süddeutschen Zeitung» gefälschte Geschichten an.
Nun durfte er wieder ran. Sein Text – ein als Reportage angepriesenes Thesenstück – ist typisch Kummer. Falsche Fakten, vermischt mit wundersam überhöhten Passagen. So soll Schauspielerin Angelina Jolie das Football-Spiel als «aufregendstes Finale in der Geschichte der National Football League» bezeichnet haben. Google- und Nexis-Lexis-Recherchen ergeben keine Jolie-Zitate zur Super Bowl. Weil sie nicht existieren. Jolie flog letzte Woche auf Werbetour nach Japan. Von dort reiste sie weiter nach Thailand. Schaute sie im Lager geflohener Burmesen etwa fern? Eher ists klassisch Kummer: Stars, die wir anhimmeln, legt er Worte in den Mund.
«Es war die beste, emotionalste Football-Show aller Zeiten, bestätigte auch Steven Spielberg in der ‹Los Angeles Times›», so Kummer. Nur: Im Archiv der Zeitung ist das Spielberg-Zitat nicht zu finden. «Deutlich weniger Fans» hätten sich das Spiel am Fernsehen angeschaut, schreibt Kummer. Fakt ist: Am Sonntag erzielte die Super Bowl die höchste Einschaltquote aller Zeiten, so die Quotenagentur Nielsen. Ohnehin verdreht der Autor Zahlen, die seine These schwächen. Mit «150 Millionen US-Dollar» hätte das TV-Ereignis «einen Viertel weniger» umgesetzt als 2008. Falsch. Sendekette NBC vermeldete Werbeeinnahmen von 206 Millionen Dollar für die Übertragung des Spiels. Mehr als je zuvor.
Matchwinner Santonio Holmes bezeichnet Kummer als einstigen Crackdealer. Da weiss er mehr als Holmes preisgibt. Gegenüber dem «Miami Herald» outete der sich als Drogenhändler, nie als Crackdealer. Wichtig? Das Strafmass in den USA hängt von der Droge ab, die einer dealt.
Der Text ist gespickt mit Bombastischem, Kummers Markenzeichen. Seine «reichen Freunde» in den Hügeln hinter Hollywood sollen etwa ihren Swimming Pool mit Schutt gefüllt haben. Angeblich wegen der Krise verkauften sie ein Gemälde des Künstlers Ed Ruscha. Für die Super-Bowl-Party leisteten sie sich aber keine «riesigen Schalen» mit «Guacamole und Chilisauce» mehr. Ja, sicher.
Auf einem “drei Meter breiten Flachbildschirm” will Kummer das Spiel angeschaut haben. Das gibt es gar nicht. Das derzeit grösste TV-Modell hat Panasonic im Angebot. Es misst 2,6 Meter in der Diagonale und 2,4 Meter in der Breite. Der Fernseher kostet bei Amazon knapp 70’000 Dollar.
Journalistische Grundregeln tritt Kummer mit Füssen, deshalb hat er fast überall Schreibverbot. Nicht bei der WOZ. «Einer Person, die Mist gebaut hat, wollten wir eine zweite Chance geben», begründet WOZ-Redaktionsleiterin Susan Boos den Auftrag an Kummer. «Er will in den Journalismus zurück, wir entschieden uns, mit einem unproblematischen Stoff zu beginnen.» Die Super Bowl, sagt Boos, sei «in der Schweiz nicht relevant». Zudem hätte Kummer «sauberen Journalismus» zugesagt. Dass in seinem ersten WOZ-Text vieles nicht stimme, bestreitet sie.
Aus falscher Ehrfurcht? Die «New York Times» soll Kummer mal als «bad guy of German journalism» bezeichnet haben, schreibt die WOZ bewundernd. Es ist falsch. Zwar berichtete das US-Blatt am 2. Juni 2000 über den Fälscher, jedoch mit anderen Worten. Öfters wiederholt Kummer die Floskel selbst, mit der «Los Angeles Times» als Urheberin. Auffindbar ist auch dieser Artikel nicht.
Bereits letzten Herbst hatte die WOZ Kontakt mit Kummer. Für eine Satirenummer sollte er ein Interview mit Ex-UBS-Chef Marcel Ospel fälschen. Prompt lieferte Kummer den Ospel-Fake. Die Redaktion hatte das Stück jedoch aus juristischen Gründen nicht publiziert. Es war nicht klar als Satire zu erkennen.
Tom Kummer retournierte mehrere telefonische Anfragen nicht. Es ist zu hoffen, er baut nie mehr Mist.
Update: Die WOZ nimmt Stellung.
Wer kritisieren möchte, sollte richtig lesen können. “«Deutlich weniger Fans» hätten sich das Spiel am Fernsehen angeschaut, schreibt Kummer.” Genau das schreibt er eben nicht. Kummer schreibt: Deutlich weniger Fans “feierten mit”. Und zwar in Tampa, dem Austragungsort des Super Bowl. Und darum geht es auch bei den von Kummer angeführten 150 Millionen USD. Diese Zahl bezieht sich nicht auf die Werbeeinnahmen sondern auf die vielzitierte Schätzung von PWC zu den sinkenden Umsätzen, die in der Stadt gelassen werden. Nachzulesen etwa im Guardian (http://www.guardian.co.uk/sport/2009/jan/30/super-bowl-nfl-recession). Der Vorwurf der Zahlenverdrehung ist also schlicht falsch.
Hat die WOZ den Text online ohne Hinweis geändert? Viele der Kritikpunkte hier finden sich in dem Text nicht (mehr).
Kummer schreibt:
“Zuerst [vor dem vierten Quarter] aber noch ein Werbespot aus fünfzig Jahren Popkultur mit dem Slogan «Jede Generation erfrischt die Welt» und einem Song von Velvet Underground aus der Ära Nico.”
Hat diesen Werbespot jemand gesehen?
Oder meint Kummer den Refresh-Anthem-Spot (Tagline: “Every Generation Refreshes The World”) von Pepsi, der vor dem zweiten Quarter lief? Mit Musik von Bob Dylan (“Forever You”)?