Von Peter Hossli
Amerika ist das mächtigste Land der Welt, nicht wegen der unübertrefflichen Streitkräfte. Es ist die ungeheure Kraft, sich ständig zu erneuern. Innert vier Jahren wandte sich das Land von George W. Bush ab und Barack Obama zu. Die nationale Auffrischung wird am Dienstag gegen Mittag gefeiert, wenn auf den Treppen des Kapitols, untermalt von Soul-Legende Aretha Franklin, der neue Präsident vereidigt wird.
Über zwei Millionen Menschen sehen bei eisiger Kälte von der Mall in Washington zu, wie Pastor Rick Warren auf der Westseite des Parlamentsgebäudes ein Gebet spricht. Danach erhebt Vizepräsident Joe Biden (66) die Hand zum Schwur. Schliesslich legt Barack Obama (47) seine Rechte auf die Bibel, die einst Abraham Lincoln gehörte. Vor dem obersten Richter spricht Obama den Eid, wie ihn die US-Verfassung vorschreibt: «Feierlich schwöre ich, das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten ehrlich auszuführen. So gut ich kann, werde ich die Verfassung der Vereinigten Staaten bewahren, schützen und verteidigen.»
Beenden wird er das Gelöbnis mit dem freiwilligen, aber oft gesagten Zusatz: «Möge mir Gott dabei helfen.» Hernach hält Obama die rund 15 Minuten dauernde Antrittsrede. Diese gerät oft dann erhaben, wenn die USA wie jetzt kriseln.
Nach der Rede serviert der Kongress dem Präsidenten ein Mittagessen – in Anlehnung an Obamas Idol Lincoln: Aufgetragen wird das Essen in Tellern, die dem Geschirr von First Lady Mary Todd Lincoln nachempfunden sind. Zur Vorspeise gibt es Jakobsmuscheln, wie sie Lincoln mochte. Zum Hauptgang lässt er sich die heimischen Vögel Fasan und Ente auftischen, zusammen mit Süsskartoffeln. Eine Speise, die Lincoln als Bub öfter ass. Obama trinkt Wein aus Kalifornien, den die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein mitbringt.
Eine gepanzerte Limousine fährt das Präsidentenpaar nach dem Essen entlang der Pennsylvania Avenue ins Weisse Haus. Ein Stück des Weges dürfte die First Family traditionsgemäss zu Fuss zurücklegen. Hinter kugelsicherem Glas schaut sich der Präsident nachmittags die Parade an.
Seit Monaten sind Hotels im Umkreis von 150 Meilen von Washington ausgebucht, ebenso Flüge und Züge in die Hauptstadt. 20 000 Polizisten und Soldaten bewachen das Ereignis. 250 000 Tickets sind im Umlauf, um Obamas Rede aus der Nähe zu sehen. Da die Nachfrage bei vier Millionen lag, ist der Schwarzmarktpreis pro Billett auf 4000 Dollar gestiegen. Zwei Millionen auf der Mall werden der Inauguration auf Monitoren folgen.
Begleitet wird der offizielle Teil von einer fünf Tage dauernden gigantischen Party, deren einzelne Anlässe auf 25 eng beschriebenen Textseiten Platz finden. Ein pompöses Fest, das 40 Millionen Dollar kostet. Anscheinend vergessen will die Republik, dass sie nie eine Monarchie war. Auf zehn Bällen tanzen die Obamas, fünf weitere Bälle kommen ohne Präsidentenpaar aus. Die Musik zum Tanz liefern Beyoncé, Mary J. Blige, Mariah Carey, Faith Hill, Jay-Z, Alicia Keys und Shakira.
Sehnlichst erwartet werden die zehn Kleider, die Michelle Obama tragen wird. Seit Jacqueline Kennedy hat keine First Lady die Modewelt derart erregt. Geheim bleibt, was der Präsident anziehen wird. Jüngst legte er sich einen Smoking des US-Schneiders Hart Schaffner Marx für 950 Dollar zu. «Ob er ihn trägt, wissen wir nicht», sagt eine Firmensprecherin.
Waren bei George W. Bushs Amtsantritt konservative Country-Musiker mit Cowboystiefeln zu Gast, treten bei Obama coole Rapper auf, ergraute Rocker und alles was Rang und Namen hat in Hollywood. Samuel L. Jackson kommt, ebenso die Regisseure Steven Spielberg und George Lucas. Fernseh-Talkerin Oprah Winfrey wird da sein, Barbra Streisand und Basketball-Riese Shaquille O’Neal.
Dutzende private Partys sind wilder als die offiziellen. Nachtclubs werben mit Stars wie Spike Lee, P. Diddy und Lisa Marie Presley. Schauspielerin Carrie Fisher («Star Wars») ist im Ronald Reagan Building Gastgeberin der Obama-Pyjama-Party, ein «Abend mit Trinken, Essen, Tanzen, Keksen und Milch». Kleidervorschrift: Pyjama oder Smoking. Nur legere Kleider tragen soll, wer zur Google-Party geht.
Zu einer selbstsicheren Demokratie gehört auch Opposition. Sieben Protestzüge sind für Dienstag bewilligt. Zwischen 15 und 3000 Leute demonstrieren im Rücken von Obama gegen das Recht auf Abtreibung, für Frieden auf der Erde, gegen Homosexuelle – und für die sofortige Verhaftung von George W. Bush.
Die Highlights
Heute Sonntag um 14.30 Uhr Lokalzeit geben beim Lincoln Memorial die Rocker Bruce Springsteen, U2, Beyoncé Knowles und Stevie Wonder musikalische Einlagen. Denzel Washington, Martin Luther King III und Queen Latifah lesen historische Texte.
Am Montag ab 17 Uhr werden bei überparteilichen Abendessen drei Amerikaner geehrt: Im National Building Museum Colin Powell, im Washington Hilton John McCain und am Bahnhof Union Station Vizepräsident Joe Biden. Um 19 Uhr lädt First Lady Michelle Obama Amerikas Jugend ins Verizon Center zur Kinderinauguration.
Am Dienstag um 11.30 Uhr beginnt die Amtseinführung auf dem Kapitol. Es folgen Lunch und Parade. Ab 19 Uhr tanzen die Obamas auf zehn Bällen.
Am Mittwoch um 8.30 Uhr besuchen sie mit den Bidens die National Cathedral zum gemeinsamen Gebet.