Stets sitzt Paulson am Steuer

Henry Paulson gab vor zwei Jahren den erlauchtesten Job an der Wall Street auf und übernahm für einen geringen Sold das Finanzministerium. Im Fall von Lehman Brothers musste er seinen Ex-Kollegen erneut beistehen.

Von Peter Hossli

paulson.jpgJeweils am Wochenende, wenn die Börsen rasten, rettet Henry Paulson (62) die Welt. Eigenhändig zwang der US-Finanzminister vor Wochenfrist die Hypothekarbanken Freddie Mac und Fannie Mae unter staatliche Kontrolle. Mit einem Zuschuss von 200 Mrd. Dollar bewahrte er die grössten Verwalter von Immobilienschulden und somit das Finanzgefüge vor dem fast sicheren Kollaps.

Derweil sonnte sich George W. Bush auf seiner Ranch in Texas. Telefonisch informierte Paulson den Präsidenten. Statt den Vorgesetzten vorab über seine Absicht aufzuklären, teilte er ihm nur mit, was er eben getan hatte. «Paulson sitzt am Steuer», sagte Regierungssprecher Tony Fratto einem Reporter, der wissen wollte, ob die Macht vom Weissen Haus ins Finanzministerium übertragen worden sei. «Der Präsident will es so.» Anders drückte es der Kongressabgeordnete Barney Frank aus. «Die Finanzkrise hat sich zugespitzt, es braucht nun klügere Köpfe als Bush.»

Krise ebenfalls unterschätzt

Was der Chef der parlamentarischen Finanzkommission meint: Amerika braucht Henry Paulson. Der 62-jährige ehemalige Investmentbanker ist zu einem Superman der Finanzkrise geworden. Gerät eine Bank ins Schlingern, warten Firmenchefs und Politiker auf Paulsons Erlösungsschlag. Federführend stützte er im März zusammen mit der US-Notenbank den Verkauf des Traditionshauses Bear Stearns an J. P. Morgan mit 30 Mrd. Dollar. Ebenfalls im Frühling überzeugte er Bush, 168 Mrd. Dollar den US-Steuerzahlern zu schicken, um deren Konsumfreude zu beleben.

Beifall allein erntet Paulson nicht. Konservative, die von Bush und seiner Regierung die Minimierung der Staatsquote erwartet hatten, fürchten bei derart viel staatlicher Intervention ein Ende der vor 30 Jahren eingeleiteten Privatisierungswelle. Wohl daher lehnte Paulson es am Wochenende ab, den Verkauf von Lehman Brothers ebenfalls mit einer staatlichen Finanzspritze zu begünstigen. Lehman, so Paulson, hätte bereits Zugang zu preiswerten staatlichen Darlehen. «Paulson handelt reaktiv statt proaktiv», wirft ihm der Financier George Soros vor. «Er hätte bei Fannie und Freddie viel früher reagieren müssen.» Dass Paulson die Krise unterschätzt hatte, sagt auch Finanzkommissionschef Frank. «Es ist aber erstaunlich, wie rasch er zuweilen handelt.»

Er hat das Monster mitkreiert

Als Football-Spieler am College wurde Paulson «Hank the Hammer» gerufen. Mit Wucht preschte er auf die gegnerische Torlinie zu. Nach dem Wirtschaftsstudium an der Harvard University arbeitete er im Pentagon, dann zwei Jahre als Assistent von Ri- chard Nixon im Weissen Haus. Legendär war seine Emsigkeit. Selten schuftete er weniger als 90 Stunden die Woche. 1974 wechselte er zu Goldman Sachs, der renommiertesten Investmentbank. Innert 24 Jahren rackerte sich der kräftige Kahlkopf zum Chef.

Als einer der ersten US-Banker erkannte Paulson das Potenzial Chinas. Über 70-mal besuchte er das Land. Ebenfalls früher als andere Banker begann er, Eigenkapital in risikoreiche Anlagen zu investieren, statt nur vermittelnd zu agieren. Das Modell trug Goldman Sachs riesige Gewinne ein.

Kreiert hatte Paulson jedoch ein Monster, das viele für die Finanzkrise verantwortlich machen. Neidvoll äugten Chefs anderer Finanzhäuser auf Goldmans Gewinne und imitierten › oft weniger erfolgreich › Paulson. UBS, Bear Stearns und Lehman Brothers gerieten ins Schlingern, weil sie viel Kapital in wertlos gewordenen Anlagen investiert hatten.

Überzeugter Umweltschützer

Im Mai 2006 lud Bush den Goldman-Star zu einem Gespräch ins Weisse Haus. Der Präsident wollte den Manager mit den staatlichen Finanzen betrauen. Zumal er das Vertrauen der Hochfinanz geniesst. Damals begann der Sinkflug des Dollars. Börse und Konjunktur gerieten ins Stocken.

Paulson folgte dem Ruf und verzichtete auf dem Zenit seiner Karriere auf ein jährliches Einkommen von zuletzt 38 Mio. Sein Anfangssalär als Finanzminister: 150 000 Dollar. «Paulson hat mehr Geld verdient, als er ausgeben kann», erklärt Harvard-Professor Robert S. Kaplan die Bereitschaft zur Lohneinbusse. «Jetzt will er seinem Leben anderswie Sinn geben.»

Von Gier getrieben scheint Paulson nicht. Hat er freie Zeit, legt er den Nadelstreifenanzug ab, holt den Feldstecher und beobachtet im Wald Vögel. Ferien verbringt der Umweltschützer in den Regenwäldern von Belize und Brasilien. Er ist glücklich, eine exotische Wildkatze oder eine giftige Schlange zu erspähen.