Von Peter Hossli
Pumpe oder Brust? Stillt Sarah Palin ihr vier Monate altes Söhnchen Trig, oder füttert sie es mit abgepumpter Brustmilch? Mit Verve erörtern Amerikas Mütter derzeit diese Frage, sei es in Büros oder in Online-Foren. Eine Gouverneurin habe keine Zeit, ihr Baby zu stillen, schreibt eine Leserin der Website «Urban Moms». Palin, glaubt eine andere zu wissen, trage Trig in der Stoffschlinge zur Arbeit und stille ihn unbemerkt. «Das ist unprofessionell», schimpft eine Mutter. «Palin ist mein Vorbild», entgegnet eine andere.
Amerikas Mütter sind verwirrt, seit der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain die 44-jährige Gouverneurin von Alaska als Vizepräsidentschaftskandidatin nominiert hat. Die alte Debatte, was eine gute Mutter ist, erhält Aufwind mit umgekehrten politischen Vorzeichen. Erst seit kurzem gestehen berufstätige und gut ausgebildete US-Frauen ohne Skrupel ein, das Muttersein behage ihnen mehr als ein Bürojob. Nun gibt ausgerechnet eine erzkonservative Alaskerin vor, beides zu vereinen. «Sie hat alles», sagt der republi- kanische Kommentator Tony Blankley, «eine wunderbare Familie und eine anspruchsvolle Karriere.»
Liberale Mütter, die einst lauthals nach mehr Kinderkrippen schrien, kritisieren daher Palin mit Argumenten, gegen die sie sich zuvor zu verteidigen hatten. Es sei «nicht statthaft, mit fünf Kindern das zweithöchste Amt im Land anzustreben», sagt eine New Yorker Designerin. Konservative, die Mütter gerne im Haus und am Herd sehen, preisen die erfolgshungrige Palin als Hüterin hehrer Familienwerte.
Feministinnen sollten Palin zur Heldin küren, durchbricht sie doch die traditionelle Mutterrolle und bringt Job und Familie unter einen Hut. Doch sie schweigen. Die vehemente Abtreibungsgegnerin Palin untergräbt ein ebenso zentrales Anliegen der Frauenbewegung. Selbst im Falle einer Vergewaltigung oder Inzest schliesst sie einen Schwangerschaftsabbruch partout aus.
«Heuchelei», sagen Palins Kritikerinnen. Zumal sie bereits drei Tage nach Trigs Geburt wieder am Regierungspult sass. Dabei hat der Bub ein Downsyndrom und brauchte besonders viel Zuwendung. «Solche Kritik ist sexistisch, kein Mann muss sich das gefallen lassen», sagt Dick Morris, ein republikanischer Berater. «Palin kann ihre Aufgaben problemlos meistern.» Ihr Auftritt am Parteitag zeigte dies. Palin redete selbstsicher und attackierte aggressiv.
Nicht nur Amerikas Liberale sind ob Palin perplex. Radikale Christen reagierten entsetzt, als sich Gerüchte bewahrheiteten, Palins 17-jährige Tochter Bristol sei im fünften Monat schwanger. Zumal Palin voreheliche sexuelle Abstinenz predigt. Hat die Mutter ihre Tochter nicht richtig aufgeklärt?, fragten hämisch liberale Mütter. Das ungeborene Kind sei «Gottes Wille» und Verhütung sei eine Sünde, verteidigen sie viele Evangelikale. Bristol gebühre Respekt, sie trage das Kind aus und heirate nun den 18-jährigen Vater Levi Johnston.
Erledigt war die Seifenoper um Palins Enkelkind in spe noch nicht. Eine gute Mutter erspare ihrer schwangeren Tochter die Demütigung, drei Abende vor globalen Fernsehkameras mit ihrem Freund Händchen halten zu müssen. Sie hätte McCains Angebot ausschlagen müssen. «Es ist unfair, Palin als schlechte Mutter zu bezeichnen, weil ihre Tochter schwan-ger ist», schreibt eine «Urban Moms»-Leserin. «Das kann uns allen passieren.»
Galt das Interesse der US-Medien bisher hauptsächlich der historischen Kandidatur von Barack Obama, rückt der «mommie war» den schwarzen Senator ins Abseits. Eher hilflos brachte Obama just seine Mutter ins Spiel. «Sie war 18, als sie mich zur Welt brachte», sagte er. Um die Scheinwerfer wieder auf sich zu ziehen, ermahnte er die Presse, Kandidatenkinder nicht in den Wahlkampf zu zerren. So versuchte Obama, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die ihm vorwerfen, dass er keine Frau als Vize nominiert hat. Verdiente Frauenrechtlerinnen bekunden offen Mühe, dass nicht Hillary Clinton, sondern Palin zur prominentesten US-Politikerin und Mutter aufgestiegen ist – quasi aus dem Nichts.
Hohe Quote dank Palin
John McCain und Barack Obama liefern sich beim Rennen um die Gunst der Fernsehzuschauer ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach Schätzungen der Medienforschungsgruppe Nielsen und nach Senderangaben sahen am Donnerstag 42,4 Millionen TV-Zuschauer in den USA die Rede McCains auf dem Parteitag der Republikaner. Eine Woche zuvor kam Obama auf die gleiche Zuschauerzahl. Allerdings haben die Republikaner dank Sarah Palin die Nase insgesamt vorn: Sie lockte mit ihrer Rede rund 37,2 Millionen Zuschauer vor die Fernseher. Obamas Vizekandidat Joe Biden fesselte lediglich 24 Millionen. (AP)