Amerika unter dem Hammer

Der Dollar ist tief. US-Aktien sind günstig. Länder im Nahen Osten schwimmen in Ölmilliarden. Folglich kaufen sich ausländische Staatsfonds und Konzerne die Wahrzeichen Amerikas.

Von Peter Hossli

chrysler.jpgEinst war es das grösste Gebäude der Welt, das unbestrittene architektonische Sinnbild der modernen Stadt. Nun gehört das New Yorker Chrysler Building dem Staatsfonds von Abu Dhabi. Für 800 Millionen Dollar kaufte der Abu Dhabi Investment Council kürzlich 90 Prozent des 1930 errichteten silbergrauen Art-déco-Wolkenkratzers. Ende Mai posteten Anleger aus den Scheichtümern Katar und Kuwait das aus weissem Marmor gebaute General Motors Building an der Fifth Avenue in Manhattan zum Rekordpreis von 2,9 Milliarden Dollar. Fast gleichzeitig langte eine italienische Gruppe beim 1902 fertig gestellten Flatiron Building zu, dem famosen New Yorker Hochhaus, das an ein Bügeleisen gemahnt.

Auch Spielberg verkauft

Ende Juni geriet ein anderes US-Wahrzeichen in fremde Hände. Steven Spielberg, fraglos der erfolgreichste Regisseur aller Zeiten, verkaufte für 500 Millionen Dollar seine Firma Dreamworks und somit sein filmisches Talent an das indische Konglomerat Reliance ADA. Weder ein Finanzhaus an der Wall Street noch ein Studio in Hollywood war in der Lage, den als nationales Kulturgut geltenden Spielberg in den USA zu halten.

Unter den Hammer gerät Amerika. In den Tagen nach dem Verkauf des Chrysler Buildings wurden etliche weitere spektakuläre Deals abgeschlossen. Der belgische Bierbrauer InBev kaufte für 52 Milliarden Dollar den seit 1852 in St. Louis beheimateten Bierkonzern Anheuser-Busch, Brauer von Budweiser, dem «King of Beers». Der Schweizer Pharmakonzern Roche schluckt den Rest der US-Biotechfirma Genentech für 43,7 Milliarden Dollar (die MZ berichtete). Die japanische Versicherungsgesellschaft Tokio Marine Holdings will sich für fünf Milliarden Dollar die Philadelphia Consolidated Holding schnappen. 13 Milliarden Dollar legen spanische Investoren hin, um die Autobahn in Pennsylvania zu verwalten.

Obama spricht von «Schande»

Politiker reagieren angriffig, Komiker polemisch auf Amerikas Schlussverkauf. Als «Schande» bezeichnet Präsidentschaftskandidat Barack Obama die belgische Übernahme von Anheuser-Busch. «Alles muss weg», witzelte Lewis Black in «The Daily Show», einer satirischen Newssendung, welche die Wahrheit oft besser trifft als die Abendnachrichten. «Wir brauchen Cash so dringend, dass wir Amerika für einen Dreck verscherbeln», so Black.

Ein fünfjähriger Trend

Tatsächlich ist das amerikanische Deal-Defizit beachtlich. Gemäss Researchfirma Dealogic haben US-Konzerne im ersten halben Jahr 2008 ausländische Firmen für 119 Milliarden Dollar erworben. Während US-Firmen im Wert von 222 Milliarden Dollar ins Ausland abgeschoben wurden. Damit verstärkt sich ein fünfjähriger Trend. Wurden 2003 226 US-Firmen für knapp 50 Milliarden Dollar ausserhalb Amerikas abgesetzt, waren es letztes Jahr 614 US-Firmen mit einem Verkaufswert von 294 Milliarden Dollar, ermittelte die Researchfirma Capital IQ.

Ökonomen erklären den Trend mal mit dem tiefen Dollarkurs, mal mit den günstigen Kursen an US-Börsen. Zumindest ist der Euro rund 14 Prozent stärker als noch vor einem Jahr. Gegenüber einem Korb internationaler Währungen büsste der Dollar knapp 10 Prozent ein. Verknappt hat die Finanzkrise in den USA zudem das Kapital für Fusionen und Übernahmen. Trotz Immobilienkrise gelten Häuser in New York noch immer als sichere Anlage. Staatsfonds aus dem Nahen Osten ahmen demnach deutsche Pensionskassen nach, die in den Neunzigerjahren en masse Boden und Bauten in Manhattan erworben hatten.

«Der grösste Finanztransfer»

Mit der stark gestiegenen Abhängigkeit von Ölimporten begründet daher Ölmilliardär T. Boone Pickens den Ausverkauf der Heimat. «Wir erleben den grössten Finanztransfer in der Geschichte unseres Landes», sagt Pickens in Werbespots, die derzeit landesweit für Windenergie werben. Hätten die USA während der letzten Ölkrise in den Siebzigerjahren noch rund 24 Prozent ihrer fossilen Brennstoffe importiert, seien es nun fast 70 Prozent. Allein dieses Jahr flössen 700 Milliarden Dollar für Erdöl ins Ausland. Das US-Kapital geht primär in Länder, deren Volkswirtschaften zu klein sind, um genügend eigene Anlageobjekte für die enorme Liquidität bereitzustellen. Just inves- tieren sie ihre Erdöleinnahmen in den USA › um den besten Kunden zahlungsfähig zu halten. Achtzig Prozent der US-Staatsanleihen kauften zwischen 2004 und 2007 ausländische Investoren. Da der fallende Dollar deren Wert mindert, halten Anleger vermehrt Ausschau nach realen Werten.

Mit Risiken für Amerika, warnte unlängst ein Bericht des McKinsey Global Institute. Länder wie Iran, Venezuela oder Libyen könnten den Ölreichtum für «antiamerikanische Zwecke» verwenden. «Wenn wir ausländisches Öl kaufen, bereichern wir unsere Feinde», sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain. Eine Furcht, die zuweilen die Runde macht. «Können Terroristen ihre Waffen nun direkter ins Chrysler Building liefern?», fragte etwas hilflos ein Hörer einer New Yorker Radiostation live auf Sendung.