Von Stefan Barmettler und Peter Hossli
Über dem Eingangstor das Sternenbanner und ein Schwur: «Erwarte Herausforderungen, sei besser als alle anderen.» Die Norwich University ist eine traditionsreiche Militärakademie in Vermont, zur Vorlesung trägt man Uniform, Disziplin und Sport gehören zum Alltag. An dieser Kaderschmiede schloss Bradley Birkenfeld 1988 in Ökonomie ab. «Wir Norwich-Absolventen sind enttäuscht», sagt Daniel B., Mitstudent der «Class of 88». Brad habe den Ehrenkodex der Militärakademie – «kein Betrug, kein Diebstahl, keine Lüge» – gebrochen.
Am 10. Juni unterschrieb der einstige Banker ein Schuldbekenntnis. Er habe einem UBS-Kunden zur Steuerflucht und zum Steuerbetrug verholfen. Am Urteilstag Mitte August drohen ihm gemäss der Klageschrift von US-Staatsanwalt R. Alexander Acosta Gefängnis bis zu fünf Jahren, ein Berufsverbot und eine saftige Busse. Im schlimmsten Fall.
Damit die Strafe milder ausfällt, haben ihn die Anwälte zum Kronzeugen gegen das Swiss Banking gemacht. Je mehr er sich als Teil eines vermeintlichen Steuerbetrugssystems bekennt, je mehr pikante Interna er auftischt oder erfindet, desto glimpflicher kommt er weg.
Die perfide Strategie belastet die UBS massiv und treibt jeden Private Banker im Lande um. Wer nicht risikieren will, in die Fänge der amerikanischen Steuer- und Justizbehörden zu geraten, meidet derzeit selbst harmlose Ferienreisen in die USA. Geheimnisträger aus dem US-Private-Banking werden von Bank und Bankiervereinigung angehalten, bis auf weiteres auf US-Trips zu verzichten. Ihnen soll nicht das Schicksal von UBS-Direktor Martin Liechti, Leiter Wealth Management International Americas, widerfahren. Er wurde Ende April bei der Durchreise in die Karibik auf dem Flugplatz in Miami festgenommen, seither sitzt er mit elektronischen Fussfesseln als Zeuge fest. Ohne Anklage.
Ein Heer von Anwälten und Spezialisten für Steuer- und Rechtshilfefragen arbeitet derweil in der Schweiz daran, den Druck aus den USA abzufedern. «Wir fürchten um die Zukunft des Bankkundengeheimnisses», sagt ein Genfer Privatbankier. Das juristische Gerangel ist das eine, der Kampf um die öffentliche Meinung das andere. «Der Reputation ist der Fall Birkenfeld sicher nicht zuträglich», meint ein UBS-Topbanker. «Speed is key», ein anderer. So rasch wie möglich aus den Schlagzeilen raus. Kundenberater sind seit Wochen damit beschäftigt, die Klientel des weltgrössten Vermögensverwalters zu beruhigen. Nie mehr seit der Debatte um die Holocaust-Gelder standen Schweizer Banken derart im Visier der Weltöffentlichkeit. Wer in der Google-Suchmaske die Begriffe «UBS Birkenfeld» eintippt, findet mehr Einträge als bei «UBS Peter Kurer», dem Präsidenten der Bank.
Schon einmal kreuzten sich deren Wege. Birkenfeld prozessierte 2005 vor Arbeitsgericht gegen die Bank, weil er den ihm offerierten Bonus als zu mickrig befand. 2006 einigte man sich aussergerichtlich auf eine Abfindung von 500 000 Franken. Kurer war damals General Counsel, oberster UBS-Rechtsvertreter.
Über Birkenfeld, diesen Albtraum der Schweizer Bankenwelt, ist nur wenig bekannt. Seine ehemaligen Mitschüler beschreiben den 43-Jährigen als «smart», als«go-getter», als Draufgänger. Stets habe er ein gut verdienender Banker werden wollen, erinnert sich ein Norwich-Student. Gemäss Aussagen vor dem Richter dürfte er dreifacher Millionär sein.
Bei der Einvernahme gibt er weiter preis, dass er in Genf wohne, in Zermatt eine Ferienwohnung besitze (Wert: eine Million Franken), einen 50 000 Franken teuren BMW fahre. In North Weymouth bei Boston teilt er mit seinem Bruder eine exklusive Wohnung mit Tennisplatz und Blick auf den Hafen. Sein Vater ist Neurologe. Dieser und Birkenfelds Stiefmutter bürgen mit Haus und Pension für die Zwei-Millionen-Dollar-Kaution.
Amerikas Steuerfahnder glauben, mit Birkenfeld und seinem Milliardärskunden, Igor Olenicoff, zwei Whistleblowers der Sonderklasse an der Angel zu haben. 200 Millionen Dollar soll der Immobilienmagnat mit Hilfe des UBS-Bankers am Fiskus vorbeigeschleust haben, heisst es im Geständnis, das Birkenfeld unterschrieb. «Die Steuerbehörde Internal Revenue Service (IRS) ist auf den Fall UBS aufgesprungen, weil es sich hier nicht um einige hunderttausend Dollar, sondern um ein paar hundert Millionen Dollar handelt», sagt Rechtsprofessor John Coffee von der Columbia University. Offenkundig wollen die Behörden wissen, ob Birkenfelds Dienste einem Einzelnen entspringen oder ob sich dahinter womöglich ein Geschäftsmodell der UBS verbirgt, wie Birkenfeld behauptet.
Auf dem Prüfstand steht damit der QI-Status der UBS. Das Qualified-Intermediary-Abkommen regelt das Steuerprozedere bei US-Kunden, die im Ausland Konten unterhalten. Zimperlich sind die Behörden Amerikas nicht, der Fiskus will verlorenes Steuersubstrat repatriieren. Die Steuerkürzungen unter George W. Bush haben den Staatshaushalt in Schieflage gebracht. Nun gilt bei der IRS die Direktive, Grossverdiener härter anzufassen. Zu ihnen gehört Philip Anschutz, der mit Filmen, Sport und Immobilien ein Vermögen verdiente. In dieses Jagdklima passt der Fall Birkenfeld/UBS bestens. Geschickt beliefern US-Beamte Leitmedien wie die «New York Times» mit brisanten Details.
Selbst der einflussreiche Senator und Ex-Präsidentschaftskandidat John Kerry gerät beim Namen Birkenfeld ins Schwitzen. «Kürzlich überwiesen wir eine Summe im Umfang von Birkenfelds Spende einer Veteranenorganisation», bestätigt eine Kerry-Mitarbeiterin. 4300 Dollar spendete Birkenfeld den Demokraten. In den Formularen gab er sich als «Director UBS AG» und als «freischaffender Investment Banker» aus.
Erstaunlich. Im Frühling präsentierte er sich in Unterlagen zuhanden der Börsenaufsicht SEC als «Finanzberater von weltweit führenden Privatbanken wie UBS und Credit Suisse». Es trifft zwar zu, dass er von 1996 bis 1998 bei der CS arbeitete, allerdings nur im Backoffice des Private Banking, ohne Kundenkontakt und auf Projektbasis. Finanzberater oder Investment Banker war er nicht.
Gegenüber der SEC gab er sich auch als gefragter Gastdozent aus – zum einen an der Managementschule IMD in Lausanne, zum andern an der Thunderbird School of International Management im französischen Archamps. Auch hier: Geflunker. Am IMD kennt man keinen Dozenten namens Bradley Birkenfeld, und auch ein Schüler mit diesem Namen ist unbekannt. Thunderbird, wo Birkenfeld angeblich ebenfalls doziert, schloss den Management-Campus vor drei Jahren. «Wir haben keinen Hinweis, dass Herr Birkenfeld je als Gastdozent von uns Geld bezog», sagt eine Schulsprecherin.
Fürs 20-Jahr-Jubiläum der Alma Mater Norwich University liess er sich kürzlich entschuldigen, weil er, wie er prahlte, mit potenten Bankkunden ans Oktoberfest nach München reise. Ehemalige UBS-Kollegen bezeichnen den Blender als «geldgierig», «faul», «unkontrollierbar», stets für ein Party zu haben. An der Türe seiner Genfer Wohnung klebt ein Plakat mit dem Spruch «Strong ales – loose women» (Starkes Bier – lockere Frauen).
Birkenfelds Karrierturbo hiess Igor Olenicoff, den er 2001 zur UBS brachte. Mit dessen Millionen im Rücken konnte er sich «einen fetten Bonus» aushandeln, heisst es. Knapp unter einer Million soll er gelegen haben, weit über dem Durchschnitt der Abteilung. Die abgemachten Zielvorgaben erreichte er allerdings nicht, was man ihm im Jahresgespräch darlegte. Der Bonus für 2005 wurde massiv zusammengestrichen. Birkenfeld ging vor Arbeitsgericht, erstritt eine halbe Million und wechselte als Partner zum Finanzberater Union Charter in Genf.
Zuvor kopierte er interne Manuals, Kundenbriefe, Telefonlisten und übergab das vertrauliche Material den US-Behörden. Den rauchenden Revolver haben sie mit dem gestohlenen Material nicht zur Hand, dafür einen Serienbrief an den «Dear Client», den die Bank nach Abschluss des QI-Abkommens der verunsicherten US-Kundschaft schrieb: «Bitte beachten Sie, dass unsere Bank einen Leistungsausweis («successful track record») beim erfolgreichen Anfechten von Ausdehnungstendenzen der US-Behörden hat.»
Unvorsichtig war die Bank im Umgang mit Birkenfeld und Olenicoff allemal. Als Igor mit den Eltern von Moskau nach Kalifornien auswanderte, war er 15 und mittellos. 2006 tauchte er auf Rang 236 der «Forbes»-Reichstenliste auf. Geschätztes Vermögen: 1,7 Milliarden Dollar. Falsch, meinte Olenicoff: Olen Properties, die von ihm präsidierte Immobilienfirma, gehöre gar nicht ihm, sondern russischen Geldgebern um Ex-Präsident Boris Jelzin. Diese hätten in der Karibik investiert, ergo sei Olen Properties von einer russischen Finanzgesellschaft auf den British Virgin Islands beherrscht.
Russische Finanzgesellschaft, British Virgin Islands – das musste den Argwohn der Steuerbeamten wecken. Mit Olenicoff hatte man ohnehin seit zehn Jahren eine Rechnung offen. Steuererklärungen reichte er mit jahrelanger Verspätung ein, korrekte Zahlen waren Glückssache, wohlfeile Erklärungen stets zur Hand. 2002 forderte die IRS 148 Millionen Dollar von Olen Properties nach. Es kam zum Vergleich, Olenicoff zahlte Nachsteuern und eine Busse von 272 024 Dollar.
2003 klopfte die IRS neuerlich an. Diesmal waren 32 Millionen Dollar ausstehend. Ende 2004 kam die nächste Steuerforderung, nun waren 60,3 Millionen Dollar fällig. Das «Orange County Business Journal» titelte: «Olenicoff hit with another tax claim», «Forbes» spottete über den «Milliardär mit den leeren Taschen».
Der Dauerstreit mit den US-Steuerbehörden erschien erstaunlicherweise auf keinem Radar des UBS Risk Management. Auch sein Finanzberater sah keinen Anlass zur Sorge. Immerhin dürfte er mit den 200 Millionen, die er für Olenicoff verwaltete, gegen drei Millionen pro Jahr verdient haben. Auch hatte keiner Verdacht geschöpft, als Birkenfeld mit seinem Hochrisikokunden von Barclays zur UBS in Genf wechselte. Im Sommer 2001 schloss Barclays mit dem US-Fiskus ein QI-Abkommen ab. Die britische Bank soll darauf die US-Kundenliste gesäubert und Olenicoff durch die Hintertür verabschiedet haben.
Ab 2001 stand das Hochrisiko auf der UBS-Kundenliste. Dann begann ein hektisches Verschieben unversteuerter Vermögenswerte, Endstation waren meist Konten bei Offshore-Banken auf den Bahamas. Im Dezember 2001 landeten 89,4 Millionen Dollar bei der UBS, darauf stellte Birkenfeld fünf UBS-Kreditkarten aus und lieferte sie nach Kalifornien. Weitere Millionen wurden auf Firmenkonten in Liechtenstein transferiert, lautend auf eine dänische Finanzgesellschaft.
Gemäss der Aktenlage dürfte Bradley Birkenfeld gegen UBS-Reglemente, gegen amerikanische und Schweizer Zoll- und Steuergesetze verstossen haben. Allzu genau schien es der umtriebige Banker bei seiner Arbeit nicht zu nehmen: Ohne die notwendige SEC-Lizenz beriet er Bankkunden in den USA, schmuggelte Bargeld, Checks und Diamanten über die Grenzen, bewirtschaftete Konten, die offenbar mit Scheinkonstrukten verbunden waren.
Laut US-Justiz war ihm Mario Staggl (43), Treuhänder aus Schaan, zu treuen Diensten. Das Trio – UBS-Banker Birkenfeld, Treuhänder Staggl, Milliardär Olenicoff –- kommunizierte gemäss Gerichtsunterlagen fleissig per Fax, E-Mail oder Kurierdienst. Die Steuerbehörden fingen die Unterlagen ab und merkten schnell: Hier wurden unversteuerte Millionen von Dollars nach Liechtenstein und in die Schweiz verschoben. Als Relaisstation dienten karibische Briefkastenfirmen mit Fantasienamen wie Sovereign Bancorp Ltd. oder Guardian Guarantee Corporation, die ihrerseits Konten bei der UBS hielten.
Am 4. Dezember 2001 riet Staggl Olenicoff, er solle auf den British Virgin Islands, in Panama oder Gibraltar eine zusätzliche Firma gründen. So würde «unter Steuer- und Anonymitätsaspekten eine weitere Sicherheitsstufe» eingebaut. Als Millionen zu einer Finanzgesellschaft in Liechtenstein flossen, wurde Olenicoff misstrauisch, weil sein Name als wirtschaftlich Berechtigter nirgends in den Dokumenten auftauchte. Am 5. Mai 2002 beschwerte er sich per Mail bei Staggl und Birkenfeld und verlangte, dass auch sein Name aufscheinen müsse. Staggl schrieb zurück und dozierte, wenn sein Name im Liechtenstein-Konstrukt auftauche, sei «die Struktur in Gefahr». Zudem, erinnerte er den Amerikaner, habe er Blankovollmachten unterschrieben.
Nicht nur ums Bargeld und ums Aktienportfolio Olenicoffs waren die Finanzverwalter besorgt, auch seine 40-Meter-Yacht sollte in einem Steuerparadies vor Anker gehen. Als geeignet wurde Gibraltar befunden. Gemäss Gerichtsunterlagen habe Staggl die Sache mit ortskundigen Anwälten vorbesprochen. Am 19. Mai 2003 kabelte er in die USA: «Alles wurde vorbereitet, um die Eigentumsrechte der Yacht nach Gibraltar zu übertragen.»
Am 12. Juni 2005 traf sich das Trio zum Gipfeltreffen in Liechtenstein und einigte sich offenbar darauf, alle Vermögenswerte an Stiftungen im Fürstentum zu überschreiben. Finanzberater Birkenfeld dürfte kaum geärgert haben, dass Kapital von seinem Arbeitgeber abfloss. Längst war er mit der UBS über Kreuz, sein Absprung vorgespurt.
Die UBS will sich zum Fall Birkenfeld nicht äussern, betont aber, im Rahmen der Schweizer Gesetze mit den US-Behörden zu kooperieren. Mario Staggl, in den USA gesucht, und sein Anwalt halten die Anschuldigungen der Amerikaner für «mehr als absurd», konkrete Fragen beantworten sie nicht. Für Treuhänder Staggl gilt die Unschuldsvermutung, angeklagt ist er nicht, ein Rechtshilfegesuch bis dato nicht in Vaduz eingetroffen. Birkenfeld ist abgetaucht. Eine persönliche E-Mail beantwortete sein Anwalt Danny Onorato innert Minuten. «Mr Birkenfeld is unable to do any interviews, sorry», tippte er fehlerhaft in den Betreff. Die Mail-Adresse hatte Birkenfeld auf der Website eines Bestattungsinstitutes hinterlassen.