Der Sieger ist ein Verlierer

Das amerikanische Wahlvolk gewährt George W. Bush eine zweite Amtszeit. Innert vier Jahren muss der Präsident die enormen Staatsschulden abtragen, ein gespaltenes Land einen, den unerledigten Krieg gegen Terroristen führen sowie ein ausufernd teures und gefährliches Chaos im Irak aufräumen. Er will seine konservative Revolution vorantreiben.

Von Peter Hossli

Monatelang hatte Rick Dyer aus Wattsonville, Pennsylvania, mit seinem Entscheid gerungen. Bush oder Kerry? Dyer wählte schliesslich Bush, «weil der seine Sauerei selber aufräumen soll», sagt der 43-Jährige Müllhaldenarbeiter. Einfach wird das für Bush nicht werden. Er gilt als Präsident, der weder Fehler noch Schwächen eingesteht. Vom eingeschlagenen Weg denkt er nicht abzukommen. Im Gegenteil, Bush hat Revolutionäres vor. Er möchte die Altersvorsorge privatisieren, weitere Steuern kürzen und die Staatsquote drastisch senken. Bewältigen muss Bush diese Aufgaben:

Das geteilte Land
Die Vereinigten Staaten von Amerika präsentieren sich alles andere als vereint. Nie zuvor haben die Wähler parteiischer gewählt als heuer. «Amerika ist heute gespaltener als je zuvor», urteilt der Meinungsforscher John Zogby, «kulturell, spirituell, demografisch und ideologisch». Gehässig und gereizt verlief der Wahlkampf, geschürt von Nonstop-Nachrichtensendern, auf denen sich Tatsachenverdreher unaufhörlich verbale Boxkämpfe lieferten statt Themen aufrichtig zu debattieren. «Es gibt mehr Hass als je zuvor», beschreibt der ehemalige republikanische Senator von New Hampshire, Warren Rudman, das politische Klima in Washington. Parlamentarier stimmen nicht mehr aufgrund von Sachargumenten, sondern strikt nach Parteilichkeit ab, was den politischen Prozess zum belanglosen Theater degradiert. Der Bush-Sieg dürfte daran wenig ändern. Kein Präsident in der US-Geschichte erzeugt bei der Hälfte der Wähler derart negative Reaktionen, nicht einmal Richard Nixon. Bush möchte seine zweite Amtszeit nutzen, um konservative Ziele umzusetzen – was das Land weiter spalten dürfte.

Irak
Irak kommt nicht zur Ruhe. Angriffe auf US- und irakische Soldaten häufen sich. Über 1100 Amerikaner sind im Zweistromland bisher gestorben. Hinzu kommen, je nach Schätzung zwischen 30000 und 100000 tote irakische Zivilisten. Bisher hat die Operation 225 Milliarden Dollar verschlungen. Irak droht zum Terroristennest oder zur radikalen islamischen Diktatur zu verkommen. Eine Lösung zu finden, scheint schwierig. Zumal die Bush-Regierung bisher keinerlei Fehler eingestanden hat. Vizepräsident Dick Cheney nennt Irak gar eine «beimerkenswerte Erfolgsgeschichte». Die Alliierten werden kaum Hand bieten. Um das Zweistromland zu stabilisieren, möchte der Präsident weitere irakische Soldaten ausbilden, ein Unterfangen, das bisher weit gehend fehlgeschlagen ist. Geplant ist eine Grossoffensive gegen die Aufständischen.

Die Wirtschaft
Ein düsteres Bild für die Entwicklung der Weltwirtschaft zeichnete unlängst der Chefökonom von Morgan Stanley, Stephen Roach. Das globale Wachstum könnte im ersten Quartal 2005 «abgewürgt» werden. «Nicht nur in den USA, sondern global». Schuld sei vor allem die mangelnde Zugkraft der US-Wirtschaft. Da während Bushs erster Amtszeit keine neuen Jobs geschaffen wurden, mangele es den Konsumenten an Geld, um Impulse zu geben. Eine letzte Woche veröffentlichte Studie der University of Michigan bestätigt Roachs Einschätzung. Wegen den hohen Energiekosten und der angespannten Lage am Arbeitsmarkt hat sich das Vertrauen der Konsumenten abgekühlt. Das Bruttoinlandprodukt wuchs im dritten Quartal 2004 bloss um 3,7 statt den erwarteten 4,3 Prozent. Gar mit einer Rezession müsse sich Bush herumschlagen, prognostiziert «Fortune». Michael Metz, Chefanalyst bei Oppenheimer & Co, befürchtet eine Stagflation, also hohe Inflation und hohe Arbeitslosigkeit. Schuld daran seien das enorme Budgetdefizit von 412 Milliarden Dollar und die Schuldenlast von 7 Billionen. Das drücke die Zinsen in die Höhe, argumentiert Metz.

Dennoch möchte Bush weiterhin Steuern kürzen. War der 1,77 Billionen Dollar umfassende Steuerschnitt der ersten Amtsperiode zeitlich begrenzt, möchte ihn Bush als permanent verabschieden. Sein Berater in Steuerfragen, Grover Norquist, geht noch weiter. Er drängt den Präsident dazu, die Steuern auf Kapitalgewinne abzuschaffen, was ein direkter Angriff auf den Bankenplatz Schweiz darstellt. In der zweiten Amtszeit soll der Grundstein für die konservative Revolution gelegt werden. Binnen 25 Jahren, so Norquist, möchte die republikanische Partei die Staatsquote halbieren. Abgesehen von der Landesverteidigung und den Gerichten soll die Bundesregierung keine Aufgaben mehr übernehmen. Bereits in den ersten zwei Jahren will Bush die Privatisierung der Altersvorsorge einleiten. Jährlich mehrere hundert Milliarden Dollar sollen in die Aktienmärkte fliessen und die Börsen boomen lassen.

Der Oberste Gerichtshof
Acht der neun obersten US-Richter sind über 65 Jahre alt. Der Vorsitzende, der 80-jährige William Rehnquist, wurde vorletzte Woche wegen Krebs operiert. Mindestens drei Richter wird Bush ersetzen, was die Zusammensetzung der obersten Entscheidungsinstanz für Jahrzehnte festlegen dürfte. Da der Kongress gespalteten ist, dürfte die Nominierung und Bestätigung der neuen Richter zum Kräfte raubenden Ränkespiel werden. Wobei soziale Themen im Zentrum stehen. Bush dürfte Kandidaten nominieren, die sich als Abtreibungsgegner aussprechen, was das Land weiter spalten wird.

Krieg gegen den Terror
Amerikas Grenzen sind so porös wie vor dem 11. September 2001. Der Geheimdienst CIA und die Bundespolizei FBI leisten sich nach wie vor Grabenkämpfe. Der Irakkrieg wurde zur Werbeveranstaltung für Terroristen. Die Terrororganisation Al Qaida ist in über 60 Ländern aktiv. Mit einem dreisten Video unterstrich Terrorfürst Osama bin Laden letzte Woche seine Bereitschaft zu weiteren Anschlägen. Bush beabsichtigt, einen Anti-Terror-Zar einzusetzen, der über FBI und CIA gebietet. Er möchte die Grenzen stärken und biometrische Kontrollen an den wichtigsten Einreisestellen einführen. Statt die Truppenzahl zu erhöhen, plant Bush, Truppen aus Europa abzuziehen und in den Mittleren Osten zu verlegen. Der Patriot Act soll verschärft erneuert werden.