Kerry zeuselt an der Tankstelle

Die Gallone Benzin zu 2.55 Dollar: An den US-Tankstellen steht, dass Präsident Bush nicht wieder gewählt wird. Die US-Wahl wird nicht zuletzt an der Zapfsäule entschieden. Da der Benzinpreis derzeit so hoch ist wie nie zuvor, weisen sich Präsident Bush und Herausforderer Kerry gegenseitig die Schuld zu. Hat das Weisse Haus einen geheimen Deal mit den Saudis gemacht?

Von Peter Hossli

Jeweils eine Stunde nach Mitternacht weiss Amerika, ob der nächste Tag ein guter Tag wird. Dann veröffentlicht die American Automobile Association (AAA) den Benzinpreis. In Sekunden eruiert ein Computer aus den Angaben von 60 000 Tankstellen die wichtigste Zahl Amerikas.

Was die 200 Millionen US-Automobilisten derzeit sehen, missfällt ihnen. Eine Gallone (3,78 Liter) des Sprits kostet im Schnitt 1.80 Dollar. Einige Tankstellen in Kalifornien verlangen bis zu drei Dollar. Entspannung ist nicht in Sicht. Im Sommer, wenn Amerika in die Ferien fährt, droht das Benzin noch teurer zu werden. So hoch stand der Preis noch nie. Er beträgt 30 Cents mehr als noch vor einem halben Jahr und 60 Cents mehr als während der Amtszeit von Bill Clinton.

Allerdings bezahlten Amerikaner trotz nominalem Rekord schon mehr. In heutigen Dollar gemessen erreichte der Durchschnittspreis 1981 infolge der iranischen Geiselkrise knapp 2.80 Dollar. Während der Ölkrise bildeten sich lange Schlangen vor Tankstellen – mit ein Grund dafür, dass Jimmy Carter nicht wiedergewählt wurde.

Das weiss Präsident Bush. Sorgen bereitet ihm eine AAA-Studie, die belegt, dass jeder US-Haushalt im Schnitt derzeit jährlich 600 Dollar mehr für Benzin ausgibt als üblich.

Der Benzinklau häuft sich. Autofahrer in Kalifornien brausen besonders oft davon, ohne zu zahlen. Dort kostet der Sprit so viel wie nirgends sonst. Präsidentschaftskandidat John Kerry stellte sich unlängst plakativ vor eine Tankstelle in San Diego, wo die Gallone 2.55 Dollar kostet. Unter Applaus vieler Autofahrer attackierte er Bush. Der Präsident hätte vor dem Irak-Krieg die falsche Hoffnung verbreitet, die irakischen Ölquellen würden rasch wieder sprudeln, das Angebot an Rohöl würde vergrössert und die Preise sänken.

Stattdessen ist das Fass Öl auf fast 40 Dollar gestiegen, nicht zuletzt wegen der unstabilen Lage im Irak und im Nahen Osten. Der Präsident habe es unterlassen, bei der Opec forsch genug zu intervenieren, sagte Kerry. Tatsächlich beschloss die Organisation der Erdöl exportierenden Länder, den Ausstoss um eine Million Fässer täglich (4 Prozent der Gesamtproduktion) zu drosseln.

Amerikas Benzinlager haben einen tiefen Pegelstand erreicht. Als Präsident würde er in solchen Situationen kurzfristig die strategischen Reserven des Landes anzapfen, versprach Kerry. Damit sei es Clinton im Jahr 2000 gelungen, die Heizölpreise zu senken.

Der Demokrat John Kerry setzt auf erneuerbare Energien

Wie politisch aufgeladen die Debatte ist, unterstreicht Kerrys letzte Forderung. Er verlangte von Vizepräsident Dick Cheney, die Protokolle von den Sitzungen der Energiekommission im Jahre 2001 zu veröffentlichen. Kerry will wissen, «mit welchem Ölmagnaten er [Cheney] sich im Geheimen getroffen hat, um die Ölpolitik der USA festzusetzen».

Bush spielte den Ball just zurück. In einem Werbespot unterstellte er Kerry, der liberale Senator aus Massachusetts hätte sich für die Erhöhung der Benzinsteuer um 50 Cents eingesetzt. Das würde jede Familie zusätzlich 657 Dollar kosten. Allerdings stützte sich Bush auf ein zehn Jahre altes Gesetzespaket ab, das nie zur Abstimmung kam.

Vorschläge, wie die USA aus der Ölabhängigkeit geführt werden können, unterbreiten währenddessen beide Parteien.

Kerry setzt auf erneuerbare Energien und effizientere Verbrennungsmotoren. Amerika könne damit täglich zwei Millionen Fässer sparen, «etwa so viel, wie wir aus dem Persischen Golf importieren», sagt er. Das «Wall Street Journal» vermutet gar, der Senator werde die wegweisende Energienutzung zum zentralen Thema erheben.

Konservative hoffen darauf, dass der hohe Benzinpreis den Widerstand gegen Probebohrungen im Arctic National Wildlife Refuge in Alaska schwächen wird. Unter dem letzten unberührten Flecken Amerika werden riesige Ölreserven vermutet. Umweltschützer sagen hingegen, dass allein schon die Suche schwere Schäden bringe.

Der teure Sprit hat in den USA überdies eine alte Frage wieder aufs Tapet gebracht: Wie lange reichen die Ölreserven noch? Die Glaubensfrage reicht ins Jahr 1880 zurück, als der Verwalter der Standard-Oil-Stiftung Firmenaktien abstiess, weil er befürchtete, die USA hätten mehr als die Hälfte der nationalen Reserven angepumpt. Die meisten zeitgenössischen Analysten schätzen, dass in den nächsten zehn Jahren der Höchststand der Förderung erreicht werde. Dann falle der Ölausstoss, was die Preise noch mehr in die Höhe treibe.

Ein paar wenige Optimisten halten dagegen, es seien noch längst nicht alle Felder erschlossen. Es steht fest, dass die Nachfrage nach fossiler Energie enorm steigt, vor allem in Asien. In erster Linie heben nicht die Opec und die niedrigen Bestände der US-Benzinlager den amerikanischen Benzinpreis, sondern Indien und China.

Letzte Woche erhöhte die Opec die Verbrauchsprognosen für dieses Jahr. Der Grund ist die Nachfrage aus China. Der chinesische Durst nach Öl nahm im letzten Jahr um 33 Prozent zu. Dass in China Autos die Fahrräder ersetzen, verstärkt diese Tendenz. US-Politiker, egal, welcher politischen Couleur, können daran nichts ändern.

Präsident Bush hat in der Frage des Benzinpreises noch einen Trumpf in der Hinterhand. In seinem neuen Buch, «Plan of Attack», enthüllt Bob Woodward, dass der einflussreiche Saudi-Botschafter Prince Bandar vor dem Irak-Krieg einen Deal mit dem Weissen Haus gemacht habe: Wenn die USA Saddam stürzten, würde Saudi-Arabien im Sommer vor der Wahl die Ölförderung wieder ankurbeln und für tiefe Benzinpreise sorgen.

Auf der Autobahn droht die Maut

Bis anhin war die Benützung amerikanischer Nationalstrassen kostenlos. Im Jahr 1822 hatte der damalige Präsident James Monroe sein Veto gegen eine Mautgebühr für die Reparatur nationaler Wege eingelegt und einen Präzedenzfall geschaffen. Seither werden US-Autobahnen allein mit Hilfe der Benzinsteuer unterhalten. Da das Nationalstrassennetz jedoch in einem desolaten Zustand ist, sperrt sich das Weisse Haus nun nicht mehr gegen die Einführung der Gebühr. Das wiederum erzürnt die Konservativen. Damit breche Präsident George W. Bush nämlich sein Versprechen, als Präsident nie die Steuern zu erhöhen, sagen sie. Bush junior droht in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, den die in Steuerfragen Konservativen fallen liessen, nachdem er trotz des «Read my lips»-Versprechens die Steuern angehoben hatte.