Eine Win-Win-Story

Das Kalkül ist aufgegangen, die mediale Schlacht am Golf gewonnen. Die patriotisch gesinnten US-Medien verbrüderten sich mit dem Militär. Verloren hat das amerikanische Publikum – statt Kontext erhielt es einen Infobrei.

Von Peter Hossli

Der spontane Augenblick der Freude entlud sich in ein langatmiges Seilziehen. Bestenfalls nach zwölf Stunden würde die Statue von Saddam Hussein fallen. Doch in Bagdad war es bereits spät am Nachmittag, bald zu dunkel für die Fotografen. Das hatten amerikanische Marinesoldaten rasch begriffen. Sie fuhren einen Panzer vor, legten dem eisernen Diktator einen Strick um den Hals und rissen das Denkmal noch vor Sonnenuntergang nieder. Die Iraker jubelten ihnen zu. Fertig war das symbolträchtige Fernsehbild.

Kaum war Saddam vom Sockel, belagerten etliche Kamerateams das Heim der Familie Chin in Brooklyn, New York. Es war nämlich Edward Chin gewesen, der das Haupt der Hussein-Statue zuerst mit einer US-, dann mit einer irakischen Flagge bedeckt hatte. Geduldig erläuterten die Chins, wie stolz sie auf ihren Sohn seien. «Ich hoffe, er kommt bald zurück», sagte verlegen dessen Verlobte, Anna Fu.

Eine runde und eine ergreifende Geschichte, die eines zeigt: Nicht der Hölle, einer perfekten Reality-TV-Show gleicht der Irakkrieg am amerikanischen Fernsehen, wobei die Show die Realität diktiert.

Selten zuvor hätten die US-Medien patriotischer über einen Krieg berichtet, sagt zudem der Journalismusprofessor der Columbia University und Pulitzerpreisträger, Josh Friedman. Dafür verantwortlich sei die enge Zusammenarbeit zwischen US-Militär und US-Medien.

Was mit einer zarten Annäherung begann, mündete auf dem Schlachtfeld in eine geradezu harmonische Beziehung. Als die Uno noch versuchte, den Krieg abzuwenden, lud das Pentagon bereits im letzten Jahr Hunderte von Journalisten in einwöchige Trainingslager ein. Sie lernten, als so genannt embedded Reporter an der Seite der Soldaten in den Krieg zu ziehen. «Eine komplett absurde Sache», sagt Friedman, der in Bosnien zwei Wochen lang mit einer Eliteeinheit verbracht hatte. «Die zeigten uns ihre Waffen und Nachtsichtbrillen. Wie kleine Jungs waren wir hingerissen vom Soldatenleben.»

Das habe sich im Irak wiederholt. Die Reporter, die strikte Vorgaben befolgten, hätten sich fraternisiert mit den G.I.s. Die schützten sie nicht bloss vor irakischen Salven, sondern versorgten sie mit Nahrung und Wasser. «Wer mit seinen Quellen ins Bett steigt, hat verloren», so Friedman. Statt unabhängig zu berichten, identifizierten sich die Reporter einseitig.

Zur patriotischen Grundstimmung beigetragen hätten zusätzlich die formidablen Einschaltquoten von Fox News. Fox, kontrolliert vom konservativen Medienzar Rupert Murdoch, schlug von Beginn weg einen Kriegs treibenden und nationalistischen Ton an – und erreichte damit unter den drei Nonstop-Newssendern am meisten Zuschauer. Die Konkurrenz, CNN und MSNBC, folgte prompt.

Nicht die Reporter im Feld, sondern die Produzenten zu Hause würden festlegen, was gesendet werde, betont Friedman. Selbst an Tagen mit schweren US-Rückschlägen überwogen daher die positiven News. «Finanzielle Überlegungen bestimmen die Inhalte der Medien weit mehr als politische Absichten», sagt er.

Meist gänzlich frei von Kontext wird live aus dem Schützengraben berichtet. Zeitgenössische Technologie – Satelliten-Telefone und drahtlose Übermittlung – erlaubt es den Reportern, ständig und überall auf Sendung zu sein. Hunderte von Artikeln haben überdies einzelne eingebettete Printjournalisten für die Internet-Ausgabe ihrer Zeitungen verfasst. Hohe Produktionskosten verlangten solch hohen Output. Reflexionen sind da selten. Zumal, wie Autor Frank Rich in einem Aufsatz notiert, US-Fernsehreporter oft sich selbst thematisiert hätten.

Dauerte es während des Zweiten Weltkriegs jeweils Wochen, bis Filmbilder von der Front ins Kino gelangten, ist nun alles sofort und jetzt – und bald wieder vergessen. Dass das Publikum so mehr erfährt, bezweifelt Rich. Beim D-day in der Normandie seien bloss 27 Journalisten dabei gewesen. Die hätten nützlichere Informationen geliefert als die Bataillone von High-Tech-Reporter.

«Guter Journalismus ist teuer», sagt Professor Friedman, «der Druck der Aktionäre auf US-Medienhäuser hat jüngst enorm zugenommen.» Es sei schlicht billiger, einen Journalisten unreflektiert live reden zu lassen als ihn wochenlang für eine Recherche freizustellen. Als die Quoten sanken, zogen die Sender etliche ihrer teuren Reporter ab. Nicht geheime Absprachen mit den Generälen bestimmten die Medien. «Es ist einfach Gier», sagt er.

Gut für das Geschäft sind saubere Bilder. Blut – getötete oder verletzte irakische Zivilisten – sieht das US-Fernsehpublikum nicht. Oft mit der Begründung, es sei geschmacklos, blutige Fotos zu veröffentlichen, verzichteten die Redaktionen darauf. Das machte die amerikanische Autorin Susan Sontag stutzig. Weltweit seien die Auswirkungen der Bomben zu sehen, nur nicht in den USA, sagte sie zur «New York Times». Geschmack sei Ansichtssache. «Es ist verdächtig, wenn Institutionen den Geschmack festlegen.» Traditionell würden Amerikaner den Tod verdrängen, sagt Josh Friedman, «aus Angst vor der eigenen Vergänglichkeit».

Insgesamt kommt die Berichterstattung bei den Meinungsmachern trotzdem gut weg. Als «win-win story» wird sie in einem Leitartikel von der «New York Times» beurteilt. Das Publikum hätte die «Realität des Konflikts» gesehen, die Journalisten die Realität der Truppe. «Unglücklich» nur, so das Blatt, dass dabei rund ein Dutzend Presseleute starb. Die leisen Proteste der hiesigen Journalistenverbände fanden wenig Gehör.

Wirklich neue Akzente hat der Krieg für die Medien ohnehin nicht gesetzt. Wer der US-Regierung nun übertriebene Beeinflussung vorwirft, verkennt die Geschichte. Kriege wurden schon stets mit Bomben – und mit Worten gefochten.

Erstmals im Sezessionskrieg verteilten amerikanische Generäle eigens verfasste Pressemeldungen. Während des Ersten Weltkriegs verabschiedete der Kongress den Espionage Act, ein Gesetz, mit dem missliebige Journalisten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden konnten.

Gar zu propagandistischen Höchstleistungen liessen sich amerikanische Journalisten während des Zweiten Weltkriegs bewegen. Nicht selten mit gestellten Bildern rapportierten eingebettete Reporter Heldentaten. Das vielleicht berühmteste Kriegsbild überhaupt – das Setzen des Sternenbanners auf der Pazifikinsel Iowa Jima – war kein Schnappschuss sondern entstand unter Anleitung des AP-Fotografen Joe Rosenthal. Der nun von Militär und Medien gemeinsam fürs Fernsehen orchestrierte Sturz der Saddam-Statue? Ein alter Trick für neue Technologie.

Wegen dem Vietnam-Trauma würden die Generäle nun die Medien kontrollieren wollen, lautet die gängige Losung. Die frei agierenden Journalisten trügen nämlich die Schuld am Debakel in Südostasien. Zu einem hilfreicheren Schluss kam unlängst das Pew Research Center. Laut einer repräsentativen Umfrage äussern sich die Befürworter des Irakkriegs mehrheitlich positiv über die Berichterstattung. Die Gegner gaben an, die eingebetteten Reporter seien parteiisch. Wer die Botschaft nicht mag, mag ergo den Botschafter nicht – und umgekehrt.

Zusagen dürfte das kaum reflektierte und blutfreie TV-Spektakel den hiesigen Amtsträgern. Im nächsten Jahr wird gewählt. Irak lenkt von der kraftlosen US-Wirtschaft ab. Oder vom Chaos, das der letzte Befreiungskrieg in Afghanistan hinterlassen hat. Eine neue Reality-Show aus Kabul wäre wohl ein Quoten-Killer.