Mehr Bars, weniger Büros

Die Einwohner New Yorks dürfen mitreden, was an Stelle der eingestürzten Twin Towers gebaut werden soll.

Von Peter Hossli

Was soll wie und wann errichtet werden, wo einst die Zwillingstürme des World Trade Center standen? Angeregt, aufmerksam und überraschend freundlich debattierten 5000 New-Yorker am vergangenen Wochenende diese Fragen an runden Tischen im New-Yorker Jacob-K.-Javits-Center. Dezent im Hintergrund blieb für einmal der Patriotismus. Zu Beginn nur sang eine Studentin «America the Beautiful».

Geladen zur Veranstaltung «Listening to the City» hatte die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC), jene Firma, die vor einer Woche unter harscher Kritik sechs Entwürfe für das bedeutendste urbane Bauprojekt der USA vorlegte.

Den freien Samstag opfere er, «weil ich meine Stadt so sehr liebe und weil ich die zerstörte Skyline wiederherstellen möchte», sagt Dave, knapp dreissig und Konzeptkünstler aus Brooklyn. Er sitzt am Tisch 75 neben Barbara, Autorin aus Tribeca, die «eine dem ungeheuren Ereignis angemessene Gedenkstätte» sowie eine «menschenfreundliche Anlage mit vielen offenen Plätzen» fordert.

Lower Manhattan dürfe nicht allein zur Touristen-Destination verkommen, verlangt Lindsay, Mitte zwanzig und für den U.S. Forest Service tätig. «Es muss ein Ort werden, wo auch wir New-Yorker leben, arbeiten und spielen.» Ermöglichen sollen das Gärten, Fussgängerzonen und günstige Wohnungen. «Nichts überstürzen, Schritt für Schritt» möchte Programmierer Jerry in Downtown bauen. «Wir brauchen Zeit.» Ein «grossartiges Stück Architektur» verlangt Shani, Stadtplanerin aus Brooklyn. Kollegin Martha ist wichtig, dass Süd-Manhattan kein Disneyland wird.

«Mach dir da keine Sorgen, die Welt passt auf und verhindert Mittelmässigkeit», sagt Dave. «Das ist doch gerade das Problem», wendet Autorin Barbara ein, «zu viel Demokratie erstickt oft den Mut zu wahrer Grösse.» Sie erinnert an die Baugeschichte: «Hinter allen bedeutenden Gebäuden New Yorks stehen egomanische Architekten und ihre Bauherren.»

Gehör finden all diese Stimmen – dank ausgeklügelter Technologie. Rasch sammelt und verknüpft ein Redaktionsteam die an 500 Tischen geäusserten und digital abgespeicherten Meinungen. Mehrmals stimmt die Halle elektronisch über neue Befunde ab. So will eine klare Mehrheit beide «Fussabdrücke» – wo die Zwillingstürme einst standen – unbebaut lassen. Die Skyline müsse «visuell interessant» werden. Die meisten bejahen eine bepflanzte Promenade zwischen Battery Park City und dem künftigen Komplex.

Nach dem Lunch – Truthahn-, Käse- und vegetarische Sandwiches, Chips und Schokokekse – zerzausen die Anwesenden die sechs unter strikten Vorgaben ausgearbeiteten Vorschläge für die Zukunft von Ground Zero.

«Zu ähnlich» seien sie, «nicht ehrgeizig genug». Die Gebäude seien «viel zu klein». Das «wirklich Monumentale» und damit das New York Entsprechende fehle. Die einhellig geforderte Gedenkstätte müsse den 2832 Opfern gerecht werden, dürfe aber nicht morbide ausfallen, lautet der Tenor. Das könne nur ein 24/7-Quartier schaffen – ein Viertel mit Bars und Kulturstätten, die rund um die Uhr offen hätten, aber wenig Büros.

«Wir nehmen eure Vorschläge ernst», versprach LMDC-Präsident Louis Tomson am Abend. Bis im Herbst würden die Entwürfe überarbeitet. Ende Jahr wolle er eine endgültige Fassung vorlegen. Geht alles nach Plan, rotieren im Frühling 2003 erstmals die Betonmischer. Etwas länger wird die Realisierung dauern. Vor 2010 dürfte das neue Quartier nicht fertig sein.