Von Peter Hossli
John Lennon gab dem Frieden eine Chance und starb trotzdem spätabends im Kugelhagel. Am 8. Dezember 1980 streckte der damals 25-jährige Mark David Chapman den Ex-Beatle unweit des New Yorker Central Parks mit vier gezielten Schüssen nieder. Um sicher zu gehen, benutzte er bewusst Hohlschussmunition – die reisst faustdicke Löcher in den Leib. Rasch verblutete Lennon, 40. Später sagte der Schütze kaltblütig: «Ich war ein Niemand, bis ich das weltweit grösste Jemand tötete.» Ein irrer Fan, der den Ruhm seines Idols nicht ertrug.
Yoko Ono fürchtet um das Wohlergehen der Lennon-Söhne
Schon bald könnte er frei sein. In der ersten Oktoberwoche tritt Chapman vor den Gnadenausschuss des Staates New York. Drei Mitglieder entscheiden innert weniger Tage, ob die lebenslängliche Haftstrafe des Mörders in eine Freisetzung auf Bewährung umgewandelt wird. Sie beurteilen die Schwere des damaligen Verbrechens; die Folgen für die Hinterbliebenen; mögliche Gefahren, die vom freien Täter ausgehen könnten; dessen Verhalten im Gefängnis; dessen Pläne für die Bewährungszeit sowie von der Öffentlichkeit eingereichte, geheim gehaltene Stellungnahmen. Chapman gilt als Musterhäftling. Er bedauerte die Tat und huldigt nun Gott. Lässt das Komitee Gnade walten, ist er noch vor Weihnachten ein freier Mann.
Das ist wohl im Sinne John Lennons. Zusammen mit seiner Gattin Yoko Ono forderte der Musiker 1971 eine Generalamnestie. «Befreit die Gefangenen, sperrt die Richter ein, befreit alle Gefangenen überall», sang das Paar nach dem Häftlingsaufstand in Attica, dem berüchtigten Zuchthaus im Norden New Yorks, wo seit 20 Jahren auch Chapman einsitzt. Um ihn vor Attentaten zu schützen, lebt er von anderen Insassen isoliert.
Geht es nach Yoko Ono, soll das so bleiben. Die einstige Amnestieverfechterin sandte dem Gnadenausschuss ein Schreiben, in dem sie ihre Furcht um die eigene Sicherheit sowie das Wohlbefinden der Lennon-Söhne Sean und Julian ausdrückt. «Sie will unbedingt verhindern, dass Chapman entlassen wird», sagt Ono-Sprecher Elliot Mintz. Von Vergebung – neben Liebe und Frieden Hauptanliegen in Lennons Post-Beatle-Werk – mag Ono nichts mehr wissen.
Genauso denkt die Mehrheit der New Yorker. Selbst Liberale verschmerzen und verzeihen die Bluttat an Lennon nicht. Noch immer hinterlassen im Central Park täglich Dutzende frische Blumen oder beschriebene Zettel auf einer Granitgedenkplatte mit der Inschrift «Imagine».
Chapman habe einen Traum zerstört, sagt der populäre TV-Talker Geraldo Rivera. «Ich will ihn nie mehr vor dem Dakota Building sehen», sagt Rivera. Noch immer wohnt Yoko Ono im Dakota.
Zwei weitere prominente Attentäter hoffen auf baldige Gnade
Die erschreckende Beliebigkeit, mit der Chapman mordete, sei Grund genug, ihn im Gefängnis zu behalten, sagt Ed Koch, Ex-Bürgermeister von New York. Und werde der Mörder jetzt entlassen, fürchtet die «San Diego Union-Tribune», sei das eine «gefährliche Einladung an psychotische Nobodys, Prominente abzuknallen».
Derweil hoffen zwei weitere prominente US-Attentäter auf baldige Gnade. In Kalifornien trat Bishara Sirhan, der 1968 Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy erschoss, unlängst zum zehnten Mal vor den Ausschuss. «Ich habe meine Strafe abgesessen und mich vorbildlich verhalten», sagte er bei seiner letzten Anhörung.
Jeweils tageweise und unter strenger Kontrolle bewegte sich in den vergangenen eineinhalb Jahren der psychiatrisierte John Hinckley auf freiem Fuss. Beim von ihm verübten Attentat entging 1981 Ex-Präsident Ronald Reagan knapp dem Tod. Erst nachdem Hinckleys Ärzte feststellten, dass er draussen mit Vorliebe gewalttätige Bücher liest, zogen sie das jüngst eingereichte Gesuch zurück, ihn künftig übers Wochenende unbeaufsichtigt bei den Eltern zu belassen.
Killer von Prominenten kämen in den USA «nie und nimmer frei», sagt der Strafrechtsprofessor und Bewährungsspezialist der New York University, Harry Subin. «Es würde die Schwere der Tat mindern.» Ausserdem walte der New Yorker Gnadenausschuss selbstherrlich und verhindere grundsätzlich Entlassungen. «Chapman bleibt drin», sagt Subin.