Von Peter Hossli
Das kulante Angebot verhiess einen aussichtsreichen Anfang. «Forty acres and a mule», 16 Hektaren Land und ein gesundes Maultier, versprach die US-Regierung 1865 allen eben befreiten Sklaven. Acker und Gaul würden den einst gewaltsam verschleppten Afrikanern in der Neuen Welt den amerikanischen Traum bescheren. Der blieb aber genauso aus wie das zugesicherte Startkapital. Schon 1869 widerrief Präsident Andrew Johnson die Geste. Geduldig warten die Schwarzen seither auf angemessene Wiedergutmachung für Sklaverei und Rassentrennung. Erst hundert Jahre nach der Befreiung wurden ihnen die vollen Bürgerrechte zugesprochen.
Das sei eine nationale Schande, sagte der demokratische Kongressabgeordnete Tony Hall aus Ohio am 19. Juni vor den Medien. Feierlich reichte er im Kongress eine Resolution ein, mit der sich das Volk der USA bei den Schwarzen entschuldigen soll. Überdies will er prüfen, in welchem Umfang und wie Entschädigungszahlungen zu leisten seien. Entlang der Mall in Washington, wo Museen die Schrecken des Holocausts und der Ausrottung der Urbevölkerung aufarbeiten, gehöre ein lehrreiches Sklavereimuseum samt Gedenkstätte hin.
Mit markigen Worten begründete Hall den angestrebten Pardon für sechs Millionen Versklavte und deren Nachkommen: «Wir haben ihre Familien auseinander gerissen. Wir haben viele umgebracht. Wir haben sie gefoltert. Wir haben sie der Freiheit beraubt.» 246 Jahre dauerte in den USA die Unterjochung. Keine andere Rasse, ethnische oder religiöse Gruppe wurde länger ausgenützt. Die Ausbeuter profitierten enorm – mit der Sklavenarbeit bauten sie die weltweit mächtigste Wirtschaftsmacht auf. US-Ökonomen bezeichnen den Wert der Gratisarbeit als «unschätzbar».
Nach wie vor sind die Folgen spürbar. Keine andere US-Minderheit weist höhere Arbeitslosenquoten auf oder hat mehr Leute im Gefängnis. Drogensucht und Armut grassieren. Die Hälfte aller Kinder wächst vaterlos auf. Prominente schwarze Fürsprecher glauben, es würde den Afroamerikanern bedeutend besser gehen, wenn sie damals Land und Maultier bekommen hätten. Provokativ nennt Filmer Spike Lee («Malcolm X») seine Produktionsfirma «Forty Acres and a Mule».
Gleichwohl löst die Debatte heftigste Reaktionen aus. Max Finberg, Assistent des weissen Abgeordneten Hall, erhält kistenweise Hassbriefe. «Viele sind rassistisch», sagt er. Andere schreiben, Schwarze erhielten ohnehin genug staatliche Hilfe. Nachfahren von weissen Immigranten, die erst im 20. Jahrhundert in den USA ankamen, sagen, sie seien nicht verantwortlich und könnten sich kaum entschuldigen. Die Rassenkommission von Präsident Bill Clinton spricht sich bis jetzt ebenfalls gegen eine öffentliche Entschuldigung aus.
Mitauslöser der US-Diskussion sei das zweifelhafte schweizerische Verhalten während des Zweiten Weltkriegs, sagt Hall-Mitarbeiter Finberg. Darüber hinaus bewog ihn die jüngste Entschuldigung des Papstes in Israel für das Gebaren der katholischen Kirche, seine Resolution einzubringen. Parlamentarische Entschuldigungen in der einstigen DDR und die versprochene und am vergangenen Montag bewilligte Reparationszahlung von zehn Milliarden Mark (siehe Box) an deutsche NS-Zwangsarbeiter spornten Hall genauso an wie eine Entschuldigung des britischen Premiers Tony Blair. Der sagte «sorry» für die Mitschuld der Briten an der irischen Hungersnot im 19. Jahrhundert.
«Wir sind eine grosse Nation», sagt Hall, «sie muss Grösse zeigen, ihre Vergehen anzuerkennen.» Einmal taten die USA dies schon. Präsident Ronald Reagan entschuldigte sich bei Amerikanern japanischer Abstammung, die im Zweiten Weltkrieg in Konzentrationslagern interniert worden waren. Indianer, die jetzt dank satten Gewinnen aus Reservatskasinos teure Anwälte anheuern, erhalten Land zurück. Erfolgreich argumentieren sie, die Weissen hielten sich selten an alte Verträge.
Die Schwarzen bekamen bisher nichts. Zu Recht, sagen die Gegner der Hall-Resolution. Es sei nicht nur unfair, sondern verfassungswidrig, jemanden für Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen, die andere begingen. Juristisch dürfte es kaum möglich sein, Sammelklagen einzureichen. Sklaverei war bis zu deren Abschaffung 1865 legal. Zudem ist die US-Regierung immun – niemand kann gegen sie prozessieren.
Eine blosse Entschuldigung sei zu wenig, sagt die National Coalition of Blacks for Reparations in America. Die schwarze Wiedergutmachungslobby will Bares. Doch wer bekäme was? Das letzte Sklavenschiff legte 1808 in den USA an. Werden Nachkommen aller nichtweissen Immigranten, die später ins Land kamen und ebenfalls unter Rassismus litten, ausgeschlossen? Und sollen die Kindeskinder der Sklavenhändler enterbt werden? Wer zahlt überhaupt, nur die Amerikaner oder letzten Endes gar die Europäer?
Niemand vermag genaue Zahlen zu nennen
US-Gegner von Reparationszahlungen argumentieren, es seien afrikanische Sklavenhändler gewesen, die ihre Landsleute europäischen Seeleuten verkauft hätten – sie gehörten an den Pranger. Erstmals griffen 1444 Portugiesen Afrika an – und raubten tausende von Afrikanern.
Zudem mangelt es an Daten. Seit 1989 blockiert das US-Repräsentantenhaus eine Studie, mit der Historiker die Auswirkungen der Sklaverei untersuchen könnten. Ökonomen sagen, es sei unmöglich, den Beitrag der Sklaverei an die US-Prosperität zu beziffern. Niemand mag errechnen, wie viele Kinder Sklaventreiber gewaltsam gezeugt haben oder welche finanziellen Nachteile durch offene und versteckte Diskriminierung entstehen. Eine Schadensumme vermag keiner zu nennen. Es sei unmöglich, schreibt der schwarze Autor Randall Robinson, obwohl er das im Titel seines Buches verspricht: «The Debt: What America Owes to Blacks». Der schwarze Anwalt und Aktivist Robert Brock fordert mehrere tausend Milliarden Dollar. Viele wären schon mit dem versprochenen Land, dem Maultier und den aufgelaufenen Zinsen zufrieden. Der Journalist Tom Teepen hält eine nationale Entschuldigung für unmöglich: «Das ist eine zu grosse Büchse voller Würmer. Da langt keiner rein.»
Einzelne Bundesstaaten suchen eigene Lösungen. So will Michigan allen Schwarzen die Steuern um 330’000 Dollar erlassen, was meist lebenslänglicher Steuerbefreiung gleichkäme. Das Parlament von Oklahoma behandelt eine Initiative, die verlangt, den Nachkommen von 300 während eines Massakers im Jahr 1921 getöteten Schwarzen je 20’000 Dollar zu bezahlen.