Springsteen, die 41 und der Zorn der Cops

Der Freispruch von vier weissen Polizisten, die im Februar einen unbewaffneten afrikanischen Strassenhändler erschossen hatten, sorgt in New York für andauernden Protest. Nun hat auch der Rockstar Bruce Springsteen einen Song darüber geschrieben. Die Polizei ist stocksauer.

Von Peter Hossli

Die Zahl 41 teilt New York in Schwarz und Weiss. 41 mal drückten im Februar vor einem Jahr vier weisse Polizisten ab. Neunzehn ihrer Patronen durchlöcherten den schmächtigen Körper des afrikanischen Einwanderers Amadou Diallo. Der Mann aus Guinea starb auf der Stelle.

Vor dem Eingang seiner Wohnung in der Bronx hatte der unbewaffnete Strassenhändler ruckartig seine Brieftasche gezückt; er wollte sich wohl ausweisen. Die Polizisten dachten, sie sähen eine Pistole und schossen ihre Magazine leer. Ein Gericht sprach die Schützen diesen Frühling vom Mordvorwurf frei.

Rassismus als Motiv?

Seither kommt New York nicht zur Ruhe. Fast täglich zählen Demonstrierende öffentlich von 1 auf 41. Künstlerinnen malen Serien auf 41 Tableaus. Dichter liefern Kurztexte mit 41 Wörtern ab. Sie alle unterschieben den Todesschützen Rassismus. Aufs Titelblatt des US-Magazins «The New Yorker» kritzelte der bissige Cartoonist Art Spiegelman einen dickhalsigen Polizisten, der in einer Jahrmarktschiessbude für 10 Cents 41 Schüsse ersteht – und damit auf Schwarze zielt.

Nun singt auch Bruce Springsteen von den 41 Schüssen – und das im Madison Square Garden, mitten in New York City. Diesen Montag starteten der legendäre Rocker («Born in the U.S.A.») und seine E Street Band einen restlos ausverkauften, zehntägigen Konzertmarathon. Emotionaler Höhepunkt des Abends ist jeweils der neuste Song «American Skin». Ohne Diallo namentlich zu nennen, fragt Springsteen darin provokativ, «Ist es eine Waffe? Ist es ein Messer? Ist es eine Brieftasche?» 24 Mal singt er im Refrain aufwühlend «41 Shots».

Schwere Vorwürfe richtet Springsteen an das unbedarfte und angeblich rassistische Gebaren der vier Polizisten. Sie hätten den von Vorstrafen freien Diallo bloss wegen dessen Hautfarbe verdächtigt und völlig grundlos angehalten: «Du kannst hier ermordet werden, nur weil Du in Deiner amerikanischen Haut lebst», singt er.

«Verfluchter Drecksack»

Aufgebracht reagierten die New Yorker Gesetzeshüter auf das kontroverse Stück Rock ‘n’ Roll. Polizeichef Howard Safir beschuldigte Springsteen, er wiegle die Stadt unnötigerweise auf. Der Präsident einer der zahlreichen Polizeigewerkschaften, Patrick Lynch, hielt alle Cops an, die Springsteen-Tournee zu boykottieren und dem «Boss» die üblichen Schutzmassnahmen zu versagen. «Es ist abscheulich», sagte Lynch, «dass Springsteen sich bereichert, indem er alte Wunden zu einem Zeitpunkt aufreisst, in dem sich die Polizei und die Bevölkerung wieder annähern.»

Etliche Polizisten schlossen sich dem Boykott-Aufruf an. Bürgermeister Rudolph W. Giuliani, dessen Beliebtheitsgrad nach der Ermordung Diallos rasant absackte, zeigt Verständnis für seine Cops. «Es gibt noch immer Leute, die der Polizei die Schuld für einen tragischen Unfall unterschieben wollen», sagte er an einer eilends einberufenen Pressekonferenz. «Es ist falsch, Freigesprochene im Nachhinein in Popsongs zu verurteilen», bekräftigte Giuliani. Um einiges weniger zimperlich fasste der Vorsteher einer New Yorker Polizeiverbindung, Bob Lucente, den streitbaren Songschreiber Springsteen an: Gemäss der Zeitung «USA Today» nannte er Springsteen einen «verfluchten Drecksack».

Dabei verdiente der begnadete Gitarrist bisher kein Geld mit «American Skin». Der umstrittene Song ist nicht auf CDs gepresst. Kaufen kann ihn niemand. Erstmals sang der 50-jährige Musiker «American Skin» am 4. Juni an einem Konzert in Atlanta. Auf Springsteen-Fan-Sites im Internet sind bloss lausige Raubkopien zu hören. Als «einen der stärksten Springsteen-Songs der letzten fünfzehn Jahre», bezeichnet eines der vielen Springsteen-Online-Magazine «American Skin». Weder der Sänger noch sein Pressesprecher haben sich bisher zur «Skin»-Kontroverse geäussert.

Giuliani gibt sich versöhnlich

Die Debatte um die Erschiessung von Amadou Diallo verdeutlicht einmal mehr den tiefen Graben zwischen Schwarz und Weiss in den USA. Während viele Weisse in Umfragen angeben, sie verstünden die Reaktion der Polizei, die ja schliesslich täglicher Gewalt ausgesetzt sei, reagieren Schwarze mit Empörung auf die Brutalität der Polizei. Die Erschiessung des 22-jährigen Strassenhändlers Diallo führte überdies vielen New Yorkern drastisch vor, wie hoch der Preis für Sicherheit und weniger Kriminalität – ein Versprechen von Bürgermeister Giuliani – ist. «Zu hoch», schrieb die mit dem Pulitzerpreis gekrönte Kolumnistin Maureen Dowd in der «New York Times». Zahlen müssten nämlich all jene, die in dieser Stadt nicht weiss und reich seien.

Worte, die selbst der angeschuldigte und mit harter Hand regierende Giuliani jetzt ernst zu nehmen vorgibt. Seit ihm vor Monatsfrist Prostatakrebs diagnostiziert wurde und er deshalb seine Senatskandidatur aufgeben musste, gibt sich Giuliani versöhnlich. Er wolle in seinen beiden verbleibenden Amtsjahren zu all jenen Bevölkerungskreisen Brücken schlagen, die bis anhin zu kurz kamen, sagt er.

Einladung an die Mutter

So versuchen Giulianis Gehilfen seit einiger Zeit, ein privates Treffen mit Amadou Diallos Mutter Kadiatou zu organisieren. Erfolglos. Sie pilgert lieber in den Madison Square Garden. Springsteens Song «American Skin» zeige, «dass sich die Leute tatsächlich darum kümmern, was mit Amadou geschah», sagte sie in einem Interview mit der Zeitung «New York Daily News». Auf persönliche Einladung von Springsteen besuchte Kadiatou Diallo am Montagabend das Eröffnungskonzert der Springsteen-Tour.