Von Peter Hossli
Richard L.Berke ist ein privilegierter Mann – der US-Präsident ruft ihn gelegentlich an, wenn er der Welt etwas Wichtiges mitzuteilen hat. Berke, 41, schreibt für die “New York Times” über Politik und gilt als derzeit einflussreichster Journalist der USA. Wer im kommenden Jahr ins Weisse Haus einziehen will, sagt mancher Kollege ehrfurchtsvoll, der müsse zuerst Rick Berke beeindrucken.
Brüsk zu spüren bekam dies vergangenen Mai Vizepräsident Al Gore. Ungefragt wählte dessen Chef, Bill Clinton, Berkes Nummer. “Hi Rick, hier spricht der Präsident.” Er tat kund, Gores Kampagne ums höchste Amt im Staat stocke arg. Der Vize sei zwar ein beschlagener Politiker. Um beim Wahlvolk anzukommen, müsse er jedoch lockerer werden.
Tags darauf veröffentlichte Berke in der “Times” einen Artikel, gespickt mit peinlichen präsidialen Zitaten. Der clintonsche Dolchstoss, urteilten die Auguren abends, hatten Gores Chancen minimiert. Gleichzeitig festigten sie Berkes Position. Der Journalist, prophezeite das US-Medienmagazin “Brill’s Content”, werde den nächsten Präsidenten machen. Als “big kahuna” pries ihn die “Washington Post”. Einer, der die Fäden zieht.
Angenehme Vorteile der Macht
Verspätet kommt Berke im “Bombay Club” an; ein schickes indisches Restaurant, steinwurfweit vom Weissen Haus entfernt. Clinton isst hier öfters. Ein Power-Club, in dem Presseleute mit Politikern speisen, wo jeder schaut, wer mit wem an welchem Tisch hockt, und alle leise palavern. “Niemand darf mithören”, erklärt Berke, die blaue Krawatte zum edlen, blau karierten Anzug perfekt geschnürt. Sein Interview fürs Fernsehen dauerte länger. Macht nichts, der beste Platz im Haus wartet auf ihn. “Für die «Times» zu schreiben”, lacht er verschmitzt, “bringt angenehme Vorteile mit sich.” Den Tisch am Fenster beispielsweise. Und, sagt Berke, “ich kann jederzeit an jeden Ort fliegen, um jede beliebige Geschichte zu schreiben”. Fleissig sammle er Flugmeilen. Sein Blatt, die “New York Times”, gilt als historisches Gedächtnis und globaler Massstab zugleich. Was drin steht, das ist wichtig.
Nichtsdestotrotz, Richard Berke wirkt moderat, beinahe scheu. Wenn er sagt, “meine permanente Unsicherheit, die gute Story zu verpassen, treibt mich an”, nimmt man es ihm ab. Auch, dass er “taff mit sich selbst” sei. Er redet nicht gerne über den “enormen politischen Einfluss”, den ihm die “Washington Post” oder die “Los Angeles Times” zuschreiben. “Ich mache meine Arbeit, that’s it.”
Nachhaltig und breitflächig
Nach einer Arizona-Reise schrieb Berke, der Senator des amerikanischen Wüstenstaates und hoffnungsvolle Präsidentschaftskandidat John McCain könne sein aufbrausendes Temperament kaum beherrschen. Wie das Schwert des Damokles hängt dieses Verdikt seither über McCain. Die grossen US-Nachrichtenmagazine “Time” und “Newsweek” titelten sarkastisch, ob das Oval Office einen Jähzornigen aushalte. TV-Psychologen sinnierten über die Vietnamkriegserfahrungen des forschen Republikaners. Der “New Yorker” interviewte dazu dessen erwachsene Tochter. “Ich hätte nie erwartet”, sagt Berke, “dass dies derart viel Staub aufwirbelt.” Als müsste er sich dafür entschuldigen. Ähnlich wie dem vermeintlichen Choleriker McCain erging es Elizabeth Dole, bis vor kurzem als einzige Frau im Rennen ums Präsidentenamt. Durchaus mit Chancen. Bis Doles Gatte, Ex-Senator Bob Dole, Berke anvertraute, er selbst bezweifle deren Erfolgsaussichten. Kurz darauf gab Mrs.Dole entnervt auf. Von den Folgen des Berke-Artikels – niederträchtige Karikaturen, Talkshows und Witzeleien im Spätprogramm – erholte sich die Gemahlin nimmer.
Bill Bradley hingegen entdeckte Berke. Im Frühjahr, die meisten kannten den Senator aus New Jersey kaum, räumte er ihm reelle Chancen auf die demokratische Nomination ein. Heute liegt der Basketballer bei Umfragen gleichauf mit dem vermeintlichen Kronprinzen Vize Gore.
Dichtes Beziehungsnetz
Intelligent, scharf und pointiert beobachtet und beschreibt Berke die Politkaste, nicht etwa vom beschaulichen Hochsitz eines Kommentators aus. Berke ist Vollblutjournalist, ständig auf der Suche nach der “guten, stets etwas anderen, originelleren Geschichte”. Er hängt am Telefon, luncht, hört zu, sieht sich um. Keiner versteht das komplexe Machtspiel der amerikanischen Hauptstadt besser, wenige spinnen an dichteren Beziehungsnetzen. Informanten verliert er selten. Er geniesst Vertrauen. “Klar”, gesteht er, “die rufen mich nicht wegen meines Charmes an, das wäre ja schön. Es ist einzig die Vitrine, für die ich schreibe.” Druckts die “New York Times”, weiss es die Welt.
Zwar lande er öfters einen Scoop. An den Kragen anderer wolle er aber keineswegs. “Hart und fair” nennt er als Credo. “Ich mag es nicht, Feinde zu machen.” Nur einer telefoniere nicht mehr: der einst engste Clinton-Berater Dick Morris. Berke hegte 1996 berechtigte Zweifel an dessen Loyalität. Seither sei das Verhältnis frostig, “nicht zu meinem Nachteil”, sagt Berke. Er erfülle nach wie vor seine Pflicht. Morris hingegen hätte jeden Einfluss bei der “Times” verloren.
Zynismus und PR, beides unabdingbares Elixier der US-Presse, widern ihn an. Berke ist ein aufrichtiger Bursche. Der zugibt, “der plötzliche Ruhm tut meinem Ego gut” – und dabei errötet. Am Fernsehen tritt er nur auf, um Analysen abzugeben, nie Meinungen oder Kommentare. “Ich bin kein Ideologe”, sagt er, “lieber stelle ich Ansichten anderer dar.” Diffus beantwortet er bloss die Frage, ob ihn einer der Kandidaten beeindrucke. “Bush sammelte viel Geld”, sagt er, “Bradley kam aus dem Nichts recht weit.”
Erster Primeur mit 17 Jahren
Was brauchts zum Sieg? “Viel Geld”, sagt Berke, der bereits zum vierten Mal eine nationale Wahl begleitet. Journalisten, Politberater, die so genannten Spinmaster, selbst der Kandidat, sie alle trügen zum Erfolg bei. Die Sache ist derart komplex, und es gibt derzeit sicher hundert Amerikaner, die allesamt bessere Präsidenten abgäben als die jetzigen Bewerber.” Letztlich entscheide die Finanzkraft. Festlegen mag er sich partout nicht. Allerdings: “Gewiss; George W.Bush hat eine beachtliche Summe beisammen.”
Zeitungmachen scheint Berke im Blut. Kaum in der dritten Klasse, verlegte er das Journal “Berke Life”, zu Hause getextet, in der Bibliothek kopiert und mit Klammern aneinander geheftet. Den ersten global beachteten Primeur landete er, gerade 17-jährig, noch vor der Matura. Er wies nach, dass Ex-Präsident Nixon l959 in Moskau einer massiven Dosis radioaktiver Strahlen ausgesetzt war. Nachrichtenagenturen nannten ihn den “neuen Woodward”. Später studierte das Recherchiertalent Politologie und Journalismus. Bei der “Baltimore Evening Sun” begann er als Washington-Korrespondent, dann kam er zur “New York Times”.
Übereifrige Manipulatoren
Etwas anderes als politischen Journalismus gedenkt er nicht zu machen. Obwohl das Genre vergangenes Jahr “einen tristen Tiefpunkt” erlebt habe. Die Sexspielchen Clintons mit der Praktikantin bestimmten “zu lange” die Agenda. “Eine bizarre Angelegenheit, über die ich höchst ungern berichtete.” Die Schuld trage fraglos der Präsident. “Er ritt uns ins Schlamassel.” Die Presse hatte dabei aber “miserabel” ausgesehen und massiv an Glaubwürdigkeit eingebüsst. Nicht mehr Redaktoren, dreiste PR-Leute verdrehten und bestimmten die Nachrichtenlage. Ihn hätten die übereifrigen Politmanipulatoren nie beeindruckt. “Bezahlte PR ist Müll”, sagt Berke.
Es ist fast drei Uhr nachmittags. Plötzlich packt ihn die Angst vor der nahenden Deadline. Abrupt bricht er ab. Blick auf die Armbanduhr. Morgen steht eine Fernsehdebatte der republikanischen Aspiranten an. “Muss bis sechs liefern.” Beim Herausgehen stoppt er. Aufmerksam beäugt er eine junge Frau. “Sitzt da Chelsea?”, flüstert er. Falsch, es ist nicht die Präsidententochter. Das Adrenalin peitschte er damit zur Schreibbereitschaft hoch. “Good bye”, und geht.