Prominente gegen Rassismus

Weisse Polizisten, die in New York einen Schwarzen erschossen haben, kommen nun doch vor Gericht - dank gewaltlosen Protestmärschen.

Von Peter Hossli

Schauspielerin Susan Sarandon verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken. Widerstandslos liess sie sich Handschellen anlegen. Dann führte sie ein Polizist ab. Sarandon war am vergangenen Freitag die 86. von insgesamt 216 Demonstrierenden, die vor dem Polizeihauptquartier in New York unter Arrest gestellt wurden. Ihr Vergehen: ziviler Ungehorsam. Die Nacht verbrachte Sarandon hinter Gittern.

Der Star setzte sich gewaltlos gegen ein Unrecht zur Wehr. Vier weisse Polizisten hatten Anfang Februar in der Bronx den unbewaffneten westafrikanischen Einwanderer Amadou Diallo mit 41 Schüssen niedergestreckt. Die Täter wurden bisher von der Justiz verschont.

Umgehend forderten schwarze Bürgerrechtsaktivisten zu Protestmärschen auf. Seither spielen sich in Lower Manhattan, zwischen der Börse an der Wallstreet und Chinatown, Szenen ab, die an die Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre erinnern. Täglich begehren Hunderte mit «We Shall Overcome»-Gesängen gegen die Brutalität der angeblich rassistischen New-Yorker Polizei auf. Spruchbänder mit der Aufschrift «Schweigen ist die Stimme der Komplizen» klagen an. Ein Bild des New-Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani, verunstaltet mit einem Hitler-Schnäuzchen, ist an jedem Volksauflauf präsent.

Über tausend Leute wurden in knapp drei Wochen kurzzeitig festgenommen, darunter alternde Filmstars wie Ossie Davis und Ruby Dee oder der ehemalige schwarze Bürgermeister New Yorks, David Dinkins. Der führende Bürgerrechtler Jesse Jackson begleitete Susan Sarandon zur Demonstration und später ins Gefängnis. Für einmal geeint, wehrten sich liberale Weisse, Schwarze, Juden und Latinos gegen die staatliche Gewalt.

Mit beachtlichem Erfolg. Ende letzter Woche entschied eine Grand Jury in der Bronx, die verdächtigen Polizisten anzuklagen. Jetzt muss ein Richter be- urteilen, ob die Beweise für einen Prozess ausreichen. «Wir stoppen die Proteste erst», sagt der schwarze Reverend Al Sharpton, «wenn die Beamten vor Gericht stehen.»

Dem massiven Druck der Strasse hielt selbst der ansonsten mit harter Hand regierende Bürgermeister Giuliani nicht stand. In einer eilends einberufenen Pressekonferenz drückte er vergangene Woche – am elften Tag des öffentlichen Ungehorsams – ein «gewisses Verständnis» für Minderheiten aus, die sich von der mehrheitlich weissen Polizei unfair behandelt fühlten. Giuliani gestand zwar keine Fehler ein, zeigte aber Dialogbereitschaft. Dafür sei es jetzt zu spät, antworteten schwarze Politiker. Giuliani, dem die Wochenzeitung «Village Voice» offen Rassismus vorwirft, hätte während Jahren nie das Gespräch gesucht.

Die Erschiessung des Strassenhändlers Diallo führt vielen New-Yorkern vor, wie hoch der Preis für die sichere, fast kriminalitätsfreie Stadt geworden ist. «Zu hoch», schreibt die Kolumnistin der «New York Times», Maureen Dowd. Zahlen müssten nämlich all jene, die in dieser Stadt nicht weiss und reich seien.

Der Fall Diallo sorgt mittlerweile landesweit für Aufsehen. US-Justizministerin Janet Reno hat eine Untersuchung eingeleitet. Der Ungehorsam der Prominenz zeigt Wirkung.

Pech hatte der ehemalige New-Yorker Bürgermeister Edward Koch. Statt in der Zelle verbrachte er eine Nacht im Spital. Kurz bevor er zur Demo aufbrechen wollte, sank der Blutdruck des 74-Jährigen auf gefährlich tiefe Werte.