Von Peter Hossli
Das Zusammentreffen mit dem Präsidenten im Weissen Haus beeindruckte den jungen Journalisten. «Ein herzensguter Mann, so liebenswürdig.»
Der Reporter konnte kaum fassen, dass dem zuvorkommenden, leicht angegrauten Herrn der Prozess gemacht wurde, dass gar dessen Amtsenthebung bevorstand. Die Ankläger aus dem Kongress, schrieb der Berichterstatter ins Notizbuch, seien selber «Amerikas ausgesuchteste Gruppe von Kriminellen» sowie «eine Ansammlung korrupter Clowns». Zum Polittheater, das Impeachment hiess, notierte der für diverse Zeitungen wirkende Journalist: «Die politische Moral der USA entspricht nicht einer einzigen Speise, die den Hunger nach Lachen stillt, eher einem Bankett.»
Die Gedanken entstanden in Washington D. C. – nicht vergangene Woche, sondern vor 131 Jahren, im Februar 1868.
Der Journalist hiess Samuel L. Clemens, später unter dem Namen Mark Twain angesehener Schriftsteller und Schöpfer der Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Auf der Anklagebank sass Präsident Andrew Johnson, bis vor kurzem das einzige US-Staatsoberhaupt, das ein Impeachment über sich hat ergehen lassen müssen. Johnson, ein Demokrat aus Tennessee, war nach der Ermordung von Abraham Lincoln als Vizepräsident ins höchste Amt gerutscht. Dort entliess er den Verteidigungsminis-ter. Für die machtgierigen Republikaner Grund genug, ihm den Prozess zu machen.
Twain, 32, sass auf der Pressetribüne. Er galt als hoffnungsvoller Schreiberling und war bloss nach Washington gekommen, um sich die Zeit zu vertreiben. Sein ägyptisch-europäisches Reisetagebuch «The Innocents Abroad» befand sich im Druck. Aus den überlieferten Artikeln wird klar: Twain empfand die Staats- angelegenheit als absurdes Theater.
«Twain schätzte den Kongress und den Politapparat gering ein», sagt der Präsident der New-Yorker Mark Twain Society, Peter Salwen. Die Gentlemen der Hauptstadt seien «beste Quellen für dessen sarkastische Seite» gewesen.
Im «Chicago Republican» publizierte Twain vor Prozessbeginn einen verfrühten Nachruf auf das Impeachment, von dem «niemand genau wusste, was es ist, aber sie alle hatten eine Vorahnung, dass es in der Form einer Lawine oder eines Donnerschlags oder eines Dacheinsturzes dereinst über sie hereinbrechen würde».
Tage darauf, als sich die Lage für Johnson zuspitzte, schrieb Twain in seiner Kolumne «Mark Twain’s Letter»: «Aus dem Nebel der politischen Düsterheit ist das Impeachment, dieser reglose Körper, auferstanden. Jetzt schreitet er voran.»
Während des von März bis Mai dauernden Verfahrens besuchte Twain öfters das Weisse Haus. Johnson, «ruhelos und wehmütig», tat ihm Leid. «Ich habe nie zuvor einen Mann getroffen», schrieb Twain, «der weniger Freunde hatte und der verlassener zu sein schien.»
Anfang Mai, Tage vor Schluss des Verfahrens, das knapp mit einem Freispruch endete, packte Twain die Koffer. Er wurde Schriftsteller. «Von der Politik», sagt Twain-Kenner Salwen, «hatte er endgültig genug.» Vor der Abreise schrieb Twain über Washington: «Ein Ort, an dem man von jedem Anwesenden eine erbärmliche Meinung bekommt.»